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Wühler

Wühler wird seit dem Jahr 1848 als gang und gäbe Schelte der Demokraten sehr beliebt, um dadurch ihr Treiben als ein den Staat untergrabendes an den Pranger zu stellen. Dieses Kampfeswort war freilich seit längerem vorbereitet. Meyer orientiert S. 58 f. über die Geschichte des Ausdrucks an anschaulichen Zeugnissen.

Eigentlich bezeichnet Wühler den Maulwurf. Aber schon Em. Fröhlich (1825) deutet das Wort im polemischen Sinne bildlich aus, um damit die geheimen Umtriebe der Ultramontanen zu treffen. Wohl möglich, dass das Wort in solcher Anwendung seinen Weg von der Schweiz nach Deutschland nahm. Jedenfalls fehlt es nicht an Belegen für ähnliche Verwendung dieser Wortsippe in den folgenden Jahrzehnten. So wird in den Hallischen Jahrbüchern (vom 21. Juni 1838) als eine Äußerung Heinr. Leos angeführt: „Ich weiß die Empfindung, die seit den letzten Jahren sich meiner bemächtigt, so oft ich meine Blicke dem dämonischen Wühlen der Gegenwart (!) in Allem, was dem Menschen das Teuerste ist, in Religion, Wissenschaft und Staat zuwende — ich weiß sie nicht anders zu beschreiben, als indem ich sie diesen Träumen vergleiche.“ Detmold, Randzeichnungen (Reclam) S. 44 spöttelt im Jahre 1844: „Die Regierungen müssen auf ihrer Hut sein, denn sie wissen, ihre Feinde ruhen und rasten nicht, sondern unterwühlen fort und fort den Boden, um so Thron als Altar zu stürzen.“ Und die Grenzboten zitieren 1845, 1. Sem. 2, 591 einen Passus über „die wühlerischen Lehren des Marheinecke, Bruno Bauer und Feuerbach“.

So bot sich gegen die Führer und Anhänger der Revolutionsbewegung das Schlagwort fast von allein dar. Überdies wurde es von den Gescholtenen zum Teil auch im verdienstlichen Sinne umzubiegen versucht. Meyer verweist aus Robert Blums Rede vom 20. Juni 1848, worin dieser mit Selbstbewusstsein versichert: „Man wirft mitunter schielende Blicke auf einzelne Parteien und Personen und sagt, dass sie die Anarchie, die Wühlerei und wer weiß was wolle. Diese Partei lässt sich den Vorwurf der Wühlerei gern gefallen; sie hat gewühlt ein Menschenalter lang, mit Hintansetzung von Gut und Blut, mindestens von allen den Gütern, die die Erde gewährt; sie hat den Boden ausgehöhlt, aus dem die Tyrannei stand, bis sie fallen musste.“ Vgl. auch einen Passus im Volksblatt 1848, 1410: „Unsere ganze Revolutions-Partei von dem kühnen Gagern bis herab zum gemeinsten Wühler und Aufwiegler huldigt mit Begeisterung der jesuitischen Lehre von der Volkssouveränität.“

Aber auch zur Parodie fordert das abgehetzte Schlagwort sehr bald heraus. Meyer erwähnt ein im Jahre 1849 erschienenes Heftchen: „Wühlerpraxis. Kommentar zu Struwwelpeters „Handbuch für Wühler". Zum Besten eines allgemeinen deutschen Wühlerspitals“, eine Art Naturgeschichte des Wühlers mit allerlei Spielarten, wie Sumpf- und Hetzwühler, ferner Volks-, Kammer- und Wahlwühlerei. Hingewiesen sei auch aus Jeremias Gotthelfs Schrift „Doktor Dorbach der Wühler und die Bürglenherren in der heiligen Weihnachtsnacht anno 1847“, über welche die Blätter für lit. Unt. 1849, 340 urteilen: „Die rasch mit dem Wort fertige Zeit hat freilich bereits eine firme und feste Kategorie der „Wühler“ hingestellt, aber solch ein Besteck wie es hier in der Person des Doktor Dorbach in der Schweiz herumläuft, begriffen in einer rastlosen Wühlerei, gegen welche das Wandeln im Irrsal des Ewigen Juden noch eine Sabbathruhe ist, ein solch Geschöpf, aus Schimpfen, Verleumden, Begeifern, Frechheit absoluter Ichsucht und Zerstörungswut und radikalem Unglauben zusammengesetzt, … ein solcher Wechselbalg kann doch tatsächlich nichts Anderes als für eine Humoreske gelten.“

Ebenda wird S. 405 Joh. Jak. Wagner ein philosophischer Wühler genannt und diese Bezeichnung aus einer edleren Auffassung vom Begriff des Wühlens erklärt: „Er bezeichnet geschäftige Tätigkeit und Unruhe, Sucht etwas Vorhandenes wegzuschaffen, Anderes an dessen Stelle zu setzen, Neudrang zu irgend einem Ziele oder ganz ins Weite, heiße dies Republik oder Humanität oder Wissenschaft.“ Nachdem das Stichwort um die Mitte der sechziger Jahre nochmals einen lebhaften Impuls erhalten hat, fängt es an zu verklingen. Neuerdings fristet es nur eine verhältnismäßig bescheidene Existenz. Doch ist es nach Meyers Angabe auch nach Russland und in Ibsens Dramen gedrungen. Vgl. übrigens Sanders 3, 1670b und Ergb. S. 656.