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Fröhliche Wissenschaft

Fröhliche Wissenschaft, in dieser im 14. Jahrhundert von Toulouse aus ergangenen Devise der Troubadours fand Nietzsche den willkommenen Ausdruck für das Frohlocken über die wiederkehrende Kraft nach langer Entbehrung und Ohnmacht und adoptierte ihn zu einem seiner Lieblingsschlagworte. Die fröhliche Wissenschaft ("la gaya scienza") betitelte er ein 1882 entstandenes Werk, in dessen Vorrede zur 2. Ausgabe von 1886 er erläuternd erklärte: „„Fröhliche Wissenschaft“: das bedeutet die Saturnalien eines Geistes, der einem furchtbaren langen Druck geduldig widerstanden hat — geduldig, streng, kalt, ohne sich zu unterwerfen, aber ohne Hoffnung — und der jetzt mit einem Male von der Hoffnung angefallen wird, von der Hoffnung aus Gesundheit, von der Trunkenheit der Genesung.“ Ähnlich 7, 296 (1887): „Die Heiterkeit nämlich, oder um es in meiner Sprache zu sagen, die fröhliche Wissenschaft — ist ein Lohn: ein Lohn für einen langen, tapferen, arbeitsamen und unterirdischen Ernst, der freilich nicht Jedermanns Sache ist.“ Auch 7, 243 (1886) spricht er von „den provençalischen Ritter-Dichtern .., jenen prachtvollen Menschen des „gai saber", denen Europa so Vieles und beinahe sich selbst verdankt“, und 7, 270 wünscht er, dass man gegen den Kultus unmännlichen Mitleids sich das gute Amulet „gai saber“ um Herz und Hals lege — „„fröhliche Wissenschaft“, um es den Deutschen zu verdeutlichen.“

So hat Nietzsche das alte Motto, das im Gegensatz zur Theologie und Philosophie die provençalische Minnepoesie schlagend bezeichnete, mit neuem Inhalt versehen und frisch beflügelt. Vgl. z. B. Holz, Sozialarist. S. 86: „Ich habe bloß mal erst n biskn so in de „Fröhliche Wissenschaft“ geschmökert. Der Titl hat mer so jefalln.“

Doch hatte schon etwa ein Jahrhundert früher Herder 18, 37 (1796) ausgerufen: „Glück also zum ersten Strahl der neueren poetischen Morgenröte in Europa! Sie hat einen schönen Namen: die fröhliche Wissenschaft (gaya ciencia, gay saber), möchte sie dessen immer wert sein!“ Und noch wiederholt gedenkt er in den Humanitätsbriefen dieser anmutigen gereimten Hofverskunst, z. B. außer 18, 35 und 66 etwas eingehender eben 18, 37: „Die ursprüngliche fröhliche Wissenschaft (gaya ciencia) ging also von Artigkeiten des Gesprächs, von Fragen und Unterredungen, von einer angenehmen Unterhaltung aus, auch in Sonnetten der Liebe, im Lob und im Tadel, ja bei jedem Inhalt blieb dieser Charakter den Provenzalen.“ Wenn er aber 18, 120 besonders Wieland einen echten Jünger jener alten gaya ciencia nennt, so stimmt in gewissem Sinne dazu Friedr. Schlegels bedauerndes Urteil 2, 190 (1812) über die Oberondichtung: „Schade nur, dass der Dichter diese Bahn der fröhlichen Wissenschaft der alten Rittersänger, und überhaupt die Poesie so bald verließ.“ Der gleiche Schriftstelter hatte schon 1799 in seiner Lucinde (Reclam) S. 26 geäußert: „„Sieh, ich lernte von selbst, und ein Gott hat mancherlei Weisen mir in die Seele gepflanzt.“ so darf ich kühnlich sagen, wenn nicht von der fröhlichen Wissenschaft der Poesie die Rede ist, sondern von der gottähnlichen Kunst der Faulheit.“

Auch Immermann 9, 39 (1822) gesteht: „Meine Bewandertheit in der akademischen gaya sciencia erregte Bewunderung.“ so geht das Stichwort zunächst im Kreise der wissenschaftlich Gebildeten von Hand zu Hand, bis es sich dann später auch das allgemeine Publikum erobert.