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Götter sind Worte

Der Entwicklung des Gottesbegriffs entspricht aber noch mehr die Entwicklung des Seelenbegriffs. Auch in der Psychologie nahm man früher eine substantielle, eine persönliche Seele an; jetzt neigt mau dazu, den gesamten Organismus als durchgängig beseelt zu verstehen, ohne daß darum die Seele aufgehört hätte, eine Personifikation zu sein. Auch der älteren Mythologie, deren Vielgötter aus Legenden, Volksetymologien und gewiß oft aus Stammesmythen entstanden, entspricht ein Zustand der Psychologie, der verschiedenen Funktionen verschiedene Seelen als Stammregenten zuwies.

Wir müssen uns zunächst von einigen hergebrachten Vorstellungen zu befreien suchen, wenn wir die ganze Bedeutung dieser Anschauung empfinden wollen, daß die Götter nur Worte seien. Eine aufgeklärte Religionsgeschichte glaubte den Göttern eins zu versetzen, wenn sie sie mit den Worten verglich, trotzdem die Religionsgeschichte ihrerseits wieder rechten Wortaberglauben treibt. Sie sagt: Götter sind bloße Worte. Wir aber möchten unsere geringe Meinung von dem Werte der menschlichen Worte dadurch recht überzeugend machen, daß wir auch unserseits die Worte mit den Götzen vergleichen. Wir sagen: Die Worte sind bloße Götter.

Wir müssen vor allem die überlieferte Vorstellung fallen lassen, als ob ein wesentlicher Unterschied bestehe zwischen dem Fetischismus der rohesten Negervölker und irgend einer geläuterten oder meinetwegen philosophischen Religion. Ein Fetisch ist ein wahrnehmbares Ding, mit dessen sinnlicher Erscheinung sich der Gläubige eine übernatürliche helfende Kraft verbunden denkt. Es ist wahr, der Neger schmeißt den von ihm selbst aus Holz geschnitzten Fetisch fort, wenn er ihm nicht geholfen hat. Der katholische Räuber in Italien prügelt seine holzgeschnitzte Madonna nur, wenn ein Anschlag fehlgegangen ist, und betet das nächste Mal doch wieder zu dem geprügelten Bilde. Die Hauptsache ist in beiden Fällen ein Ding, in welchem eine geheime Kraft übernatürlich hilft. Daß da etwas gegen die Natur geschehe, hegt schon im Namen "Fetisch", den zuerst portugiesische Reisende den afrikanischen Zauberfiguren beilegten. Lateinisch facticius heißt künstlich (im Gegensatze zu: natürlich); daraus (ital.: fattizio) wurde port. feitico (Zauberei), feiticeiro (Zauberer)1). Der Zauber ist Hilfe auf unnatürlichem Wege. Und diese beiden Begriffe, der des übernatürlichen Wunders und der der Hilfe in der Not, sind auch noch in der sublimsten Religionsvorstellung vorhanden. Man nehme z. B. die Religion, welche als der Neue Glaube von D. Friedrich Strauß nach der Zertrümmerung des christlichen Dogmas noch übrig bleibt. Er glaubt nicht einmal mehr an den fast unpersönlichen Gott der Deisten und ist damit über den Wortfetischismus von Voltaire hinausgelangt. Er glaubt aber noch, und er selbst nennt es noch schüchtern Religion, wenn er eine einheitliche Weltordnung annimmt. Ein Universum, das französisch Univers (mit großem U) übersetzt werden mußte. Die Vorstellung von einem übernatürlichen Faktor wäre an sich noch nicht Religion, weil doch auch wir über oder außer den bekannten Gruppen von Naturerscheinungen, die wir Naturgesetze zu nennen pflegen, etwas Unbekanntes annehmen müssen, ein Ding-an-sich der Natur. Zur Religion wird diese übernatürliche Natur erst dadurch, daß sie dem Gläubigen helfen soll. Helfen allerdings nicht in der groben Art, wie man in Afrika und Europa den Lokalgott, den Fetisch oder das wundertätige Bild um Regen, um Heilung und dergleichen anfleht; helfen soll die sublimierte Religion des Universums in der intimsten Seelennot, in dem geistigen Mangel des Menschen, der sich die Welt nicht erklären kann. Befriedigung schenken soll dieser letzte Schimmer von Religion; um Befriedigung, um Frieden wird dieser abstrakteste Wortfetisch angefleht. Erst wenn der Mensch vom Worte ebensowenig will wie vom groben Negerfetisch, erst wenn er interesselos, d. h. uneigennützig der interesselosen, d. h. gleichgültigen Natur gegenübersteht, erst wenn er mit Spinoza ganz resigniert der taubstummen und fühllosen Notwendigkeit gegenübersteht, erst dann hat er den Fetischismus oder die Religion überwunden. Wie man sieht, will ich damit nichts gegen die Religion sagen.


  1. Im Spanischen hechizo und hechioero; wäre es nicht möglich, daß unser "Hexe", dessen Kantsche Herleitung aus h. e. c (hoc est corpus) phantastisch, dessen Erklärung als Flurschädigerin oder Waldreiterin im Grunde nicht wissenschaftlicher ist, sich an das spanische hechizo (irgend ein germanisches Wort, dessen Anfang "hag" lautete, muß allerdings schon viel früher bestanden haben) in der Bedeutung angelehnt hätte? Die Sache, die christliche Hexe nämlich, kam uns aus Spanien und Südfrankreich. Sollte die Gleichung hechiceria — Hexerei wirklich nur Zufall sein?