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Flüche

An diese Eigenheit grenzt der Euphemismus bei Flüchen. Diese waren anfangs wohl immer Anrufungen bestimmter Gottheiten, welche nach dem herrschenden Volksglauben oder nach der Lehre der herrschenden Kirche die Lüge von Amts wegen bestrafen sollten. Derselbe Byzantinismus, welcher die Hinterindier und uns Westeuropäer veranlaßt, die Namen der Kaiser hinter allerlei Verehrungskategorien zu verstecken, führte die Leute wohl auch dazu, die Namen ihrer verehrten Götter nicht leichthin auszusprechen, nicht "unnützlich", wie es in unserer Bibel und bei den Menschenfressern der Südsee heißt. Es ergab sich daraus die Schwierigkeit, daß der fromme Mann einerseits den Namen seines Gottes zur Beteuerung der Wahrheit anrufen sollte, anderseits diesen Namen nicht aussprechen durfte. In sehr vielen Flüchen (Soldatenflüchen besonders, vielleicht weil Fluchen nach der Standesehre der Soldaten etwas Lobenswertes, nach den Geboten frommer Feldherren etwas Tadelnswertes war) machte man die Laute unkenntlich durch (anfangs) bewußten parodistischen Lautwandel. Aus "Gottes" wurde "Potz" (heute noch allgemein), "Botz, Kotz"; aus sacre nom de Dieu. wurde das bekannte sacre bleu oder gar sac-à-papier. Diesem Lautwandel mußten sich nachher — durch falsche Analogie — die Teile von Flüchen unterwerfen, die nicht Götternamen waren, so "Donnerleder" für "Donnerwetter". (Wer untersucht die Frage, ob die vielen Flüche mit "Donner", die Ersetzung von "Donner" durch Blitz oder Hagel nicht aus einer Zeit stammen, wo Donner als Göttername noch geläufig war?) Dazu kam der traurige Umstand, daß Religionen schließlich wechseln, daß die Götter starben, ihre Namen aber, gerade weil sie in frommer Scheu entstellt worden waren, sich dauernd erhielten. So glaube ich bestimmt, daß ein Sachse auch noch nach der Ersetzung des Christentums durch eine neue Religion sein "Herr-jeh" oder "Ach Herrjeh" rufen wird, weil er den Namen Jesus nicht mehr darin erkennen wird; so wie wir heute unsere deutschen oder englischen Wochentagsnamen gebrauchen, ohne an die in ihnen enthaltenen germanischen Götternamen zu denken; wie der Franzose seine Wochentage nennt ohne einen Schimmer der Wahrheit, daß sie nach den lateinischen Göttern heißen, denen ihr vermeintliches Planetenverhältnis geweiht war.

Der vorhin erwähnte Unterschied zwischen Männer- und Weibersprache, soweit er nur den sozialen Unterschied ausdrückt, sollte nur ein weiterer Beleg sein für die Tatsache, daß nicht zwei Menschengruppen die gleiche Sprache reden. Was man die Sprache einer Gruppe nennt, das ist ungefähr ein Kreis, den man von einem unsicheren Mittelpunkte aus mit einem unsicheren Halbmesser zieht. Insoweit unsere Weiber, insbesondere die Salonweiber, weniger gelernt haben als die gesuchteren Männer dieser Salons, die Studierten und die Begabten, insoweit mag der Kreis der Weibersprache ungefähr den Kreis der glatten Halbbildung mit umfassen. Nach meiner Beobachtung z. B. in Deutschland der unnötige Gebrauch des Fremdworts für diese Weibersprache bezeichnend. Die gebildete Männersprache vermeidet es; das Volk kennt es nicht. Das Salonweib ist in der Anwendung überflüssiger Fremdwörter ebenso zurückgeblieben, wie in der Anwendung zweideutiger Worte. Das halbgebildete Weib weiß noch nicht, daß ein gewisser Gebrauch französischer Redensarten ein Zeichen von Unbildung sein kann.

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