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Mineralogie

Die chemische Klassifikation ist also wie jede andere nur der Versuch, die uns bekannten Ähnlichkeiten der wirklichen Körper in unserem Kopfe übersichtlich zu ordnen. Was in der Wirklichkeit vorgeht, das ist jedenfalls etwas Anderes, als was in unserem Kopfe vorgeht. Denn die Natur braucht sich nicht im mindesten um menschliches Interesse zu bekümmern, nicht einmal um unser menschliches wissenschaftliches Interesse, das doch wieder nur ein Bequemlichkeitsinteresse des Gedächtnisses ist; der Mensch aber hat bewußt und unbewußt nur sich im Auge bei der Ordnung seiner Naturerkenntnis und weiß es nur für gewöhnlich nicht, wie subjektiv seine berühmte objektive Wissenschaft ist. Ein starkes Beispiel dafür bietet die Existenz einer besonderen Wissenschaft, die sich Mineralogie nennt, neben der wissenschaftlichen Chemie. Beide Wissenschaften haben es, wenn man genau zusieht, mit den gleichen Körpern zu tun; beide wollen doch nur die Summe aller unorganischen Naturkörper beschreiben und ordnen, welches Ordnen ohne eine erklärende Hypothese nicht möglich ist. Dass eine Sammlung von Mineralien anders aussieht als eine Sammlung von Chemikalien, beruht doch wohl nur auf dem verschiedenen Interesse der Sammler. Eine vollständige Mineraliensammlung wäre identisch mit einer vollständigen Chemikaliensammlung. Der Umstand, dass manche unorganische Körper seltener vorkommen als andere, dass manche in keinem natürlichen Laboratorium erzeugt werden, tut ja nichts zur Sache. Rechnet man doch zu den Mineralien die Stoffe, die im Ofen eines Vulkans entstehen. Und rechnet man doch zu den Tieren die Taubenvarietäten, die durch künstliche Züchtung hervorgebracht worden sind. So müßte denn eine natürliche Klassifikation der Mineralien identisch sein mit der natürlichen Klassifikation der Chemie.

Heute scheidet sich Mineralogie und Chemie so, dass die erste hauptsächlich Kristallographie ist, die zweite die Bestandteile der Körper untersucht. Über kurz oder lang werden diese beiden Disziplinen zu einer einzigen Wissenschaft zusammengehen müssen, und wenn einmal zwischen Zusammensetzung und Kristallform regelmäßige Gleichungen aufgefunden sein werden, wird sicherlich auch eine neue mineralogisch-chemische Sprache entstehen. Und vielleicht wird diese technische Sprache der Zukunft in einer noch späteren Zukunft in die Umgangssprache übergehen.

Dieses abwechselnde Borgverhältnis zwischen technischer Sprache und Umgangssprache läßt sich bis in die ältesten Zeiten der Geschichte der Mineralogie zurückverfolgen. Wenn Aristoteles etwa wie ein Dorfjunge unserer Zeit nur den Hauptunterschied zwischen Steinen und Erzen aufstellte, so hatte ihm den Begriff der metallführenden Erze sicherlich die Technik der Metallarbeiter geliefert, und die Kenntnis der Edelsteine, des Statuenmaterials und der Töpfererden verdankte er offenbar anderen Handwerkern, die damals mehr als heute die Rohstoffe ihres Gewerbes kennen mußten. Es ist erstaunlich, wie viele Jahrhunderte sich die Welt mit diesen groben Einteilungen begnügte.

Der intensive Bergbau war es, der dann immer wieder genauere und reichere Beobachtungen lieferte und eine technische Bergbausprache zur Folge hatte, die erst vor etwa hundert Jahren auf dem Wege über die technische Sprache der Wissenschaft teilweise Gemeinsprache geworden ist.