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Zirrwitt! Diddellitt!1

Die Sonne schien;
Kein Lüftchen weht.
Der Dorfpoet
Ergriff seinen Stock, um
Zu spazieren nach Loccum.
Und wie er so geht
Auf der graden Chaussee
Und die Augen verdreht
Nach der Rehburger Höh,
Wo kürzlich
Drei Musen gesessen,
Um roten
Kohlsalat zu essen,
Den sie sonst nicht kriegten,
Fing er natürlich
Gleich an zu dichten.

Es war — es war —
Na, sagen wir mal —
Es war einmal ein reizendes Tal,
Da saß in ihrem Blumenpalais
Eine Sommerfee,
Die göttliche Zephira,
Und spielte auf ihrer Lyra.
Sie klimpert so hübsch,
Sie trillert so schön,
Kann keiner da vorübergehn;
Wer es auch ist,
Der Fußtourist,
Der Ritter zu Roß,
Er muß und muß
In das Zauberschloß.
Und ist er mal dort,
Kommt er nie mehr fort,
Denn die — denn die...

Hier kann der Poet,
Der Versebereiter,
Urplötzlich nicht mehr weiter.
Die Dichtung stockt,
Der Pegasus bockt.
O diese Nanda!
Schrie nämlich ganz
Dicht bei ihm an da
Ein Klapperstorch,
Der selig allein
In der Wiese stand
Auf dem linken Bein. —

Ei, sieh da! Meister Storch!
Also kennt Ihr die? —
Na, ob und wie!
Bin hübsch lang
In Frankfurt gewesen,
Mein Lieber!
Fünfzig Jahre und darüber;
Könnt jeden fragen,
Den Ihr dort trefft.
Hab’ ich doch gehabt
Mein Geschäft
Auf der Bockenheimer Gass’,
Links oben am Schlot.
Und flott ging die Sach’,
Potz zapperlot!
Hatt’ meine Ruhe nie.
Kommt da auch mal,
Es war so im Juni,
Eine schöne Frau
Aus der Wiesenau. —
Herr Storch — hat sie gesagt -,
Könnten S’ mir nit für morgen
Wieder etwas besorgen? —
Wieviel, Madam?
Eins oder mehr? —
Nein, danke recht sehr!
Nur eins!
Aber ein Mädel, ein feins. —
Schon recht, Madam,
So prompt wie’s geht,
Und prima Qualität.
Also ich fort sogleich
Zu meinem Bäbiliteich.
Hab’ gefischt und gefuscht —
Die erst’ war nischt,
Die zweit’ war nuscht —
Aber beim drittenmal,
Da hab’ ich’s erwischt.
Fürwahr,
Ein Prachtexemplar!
Und Augen hat’s gemacht,
Und gleich hat’s gelacht,
Und gestrampelt hat’s,
Wie ’ne wilde Katz.
Und wie ich mich aufmach’
Und flieg’ zurück —
Bei der Sachsenhäuser Brück’
Hat’s mich gerupft und gestupst,
Fast wär’ mir’s entschlupft
Und in den Main geplumpst.
Und wie ich vorbeikomm’
An Rothschild seinem Haus,
Ruft die Frau Rothschild
Zum Fenster heraus:
Herr von Storch,
Herr von Storch!
Fliegen S’ nicht so dorch.
Lassen S’ es hier,
Geben S’ es mir,
Geb’ gleich
10 000 Gulden dafür! —
Frau Baronin —
Hab’ ich gesagt-,
Um kein Geld in der Welt.
Die Sach’ ist bestellt! —
Und weiter flog ich,
Ohne lang zu warten,
Über Gontards Garten
Und besorgte mein Päckchen. —
Drum heißt sie jetzt Nanda
Und nicht Rebeckchen. —

Der Poet,
Als der Storch so gesprochen,
Verneigt sich tief —
Er wär’ in der Mitte
Fast abgebrochen —
Und sprach:
Herr Kommerzienrat!
Wegen dieser
Eurer hochherzigen Tat
Kann Euch die gute Stadt
Frankfurt am Main,
Wo Juden und Christen
Sich überlisten,
Nur dankbar sein. —

Bitte, Herr Hofpoet! —
Aber jetzt muß ich was fragen:
Wollt Ihr mir nicht
Gefälligst mal sagen,
Wie’s weiterging
Mit der Zephira
Und ihrer Lyra? —

Stehe zu Diensten! —
Ganz recht — jaja -,
Ist einer mal da —
Und ist mal dort,
Kann er nie mehr fort;
Denn die Hex’,
Und wär’ er auch noch so kühn,
Behandelt, bezaubert,
Verwandelt ihn,
Bis er schwirrt und girrt
Und auf einmal
Ein richtiger Vogel wird.
Wohl zwanzig und mehre
Hat sie bereits in ihrer Voliere;
Verschiedenerlei,
Specht, Zeisig,
Gimpel und Papagei,
Und sogar einen alten
Uhu mit gräßlichen Falten.
Die sitzen nun da
In Federröcken
Auf Stangen und Pflöcken
Und recken sich
Und necken und packen sich
Und warten, daß ihre
Verehrte Zephire
Herbeikommt mit
Futter und Saitenspiel.
Aber es gibt nicht viel.
Ah! — Da tritt sie aus ihrer
Kemnate
Im luftigen, duftigen
Morgenstaate.
Bon jour, Messieurs!
Bin ich nicht
Eine entzückende Fee? —
Sofort — denn jeder will
Immer der erste sein —
Erhebt sich ein begeisterndes
Piepsen und Schrein:
Heil dir, Zephire!
Du bist die Schönste
Im ganzen Reviere!
Zirrwitt, uhu!
Diddellitt, uhu! —
Bravo, ihr Herrn!
Man weiß es ja selbst,
Aber man hört’s doch gern!
Hier, meine lieben
Höflichen Mätzchen,
Habt ihr Hanfkörner
Und Zuckerplätzchen!
Doch du, alter Kauz,
Warum singst du nicht mit
So wie die andern:
Zirrwitt, Diddellitt?
Nur kein Huhuh mehr,
Das bitt’ ich mir aus,
Du alter Mucker und
Butzeklaus! —

Dieser Kauz
War früher ein Laienbruder,
Ein kreuzbraves Luder,
Den hatte sein Kloster
Ausgesandt
Nach Lourdes ins Frankenland,
Damit er von dort
In einer Literphiole
Potzwundersam
Kräftiges Wasser hole,
Das besorgt er denn auch,
Bezahlt, was Brauch,
Verstöpselt die Flasche,
Verwahrt sie in seiner
Pilgertasche
Und begibt sich alsbald
Auf den Heimweg
Nach dem Ardenner Wald.
Natürlich ist all sein
Denken und Sinnen
Beschaulichermaßen
Gerichtet nach innen;
Und weil es schon spät
Und dunkel wird —
— Natürlich, so geht’s -,
Er hat sich verirrt.
Erst ist er geduldig,
Dann wird er verdrießlich,
Dann schimpft er tüchtig
Und leider schließlich
Flucht er sogar
Ob dieser Bedrängnis.
Das war sein Verhängnis.
Verlockt durch eines
Lichtes Schein,
Kehrt er im Zauberschlosse ein.
Und — ach! — da sitzt sie,
Die himmlische Fee,
Auf dem rosigen kosigen
Kanapee,
Im Abendkleide
Von goldener Seide,
Im Silberschleier
Und singt zur Leier.
Dem Klosterbruder
War’s nicht geheuer. —
Hu, ’ne Hex, ’ne Hex!
Geschwind furt, furt!
Oh, hilf mir,
Du heiliges Wasser von Lurd! —
Aber es half nicht —
Versimpelt, berauscht,
Mit offnem Maul,
Steht er da und lauscht,
Und eh’ er bemerkt,
Worum es sich handelt,
Ist er schon verwandelt.
Die Kutte wird zum
Federgewand,
Zum Flügel die Hand,
Die Nase wird knöchern,
Starr glotzen die Augen
Aus runden Löchern.
Der Kauz ist fertig, haha, hihi!
Marsch fort,
Zu dem übrigen Federvieh!

So trieb es diese Zauberin,
Mit Lachen
Und mit leichtem Sinn,
Mit Saitenspiel und mit Gesang,
Den ganzen lieben
Sommer lang.
Doch eines Morgens
Ward es kühl,
Das Thermometer fiel und fiel;
Und eines Abends
Wird es kalt. —
O weh, welch eine Mißgestalt?
Was ist das für ’ne alte Frau?
Sie geht am Stock,
Ist krumm und grau.
Sie klopft ans Tor. —
Wer ist davor? —
Mach auf, Zephirchen,
Laß mich ein!
Bin halt ein alt kalt
Mütterlein! —
Weg, weg! Bleib fern!
Die alten Weiber
Hab’ ich nicht gern! —
Oho, ohe!
Mein Schatz,
Ich bin die Winterfee! —
Sie tät sich recken,
Sie schwang den
Mächtigen Zauberstecken. —
Verschwinde! rief sie.
Verschwinde!
In alle Winde!
Samt Blumen,
Leier und Hofgesinde! —
Das war ein Schreck.
Puh! Alles ist weg!
Sowohl Zephire
Wie auch ihre sämtlichen
Schnabeltiere. —
Wo ist sie nun?
Kann sie
Noch immer nicht ruhn? —
Sie ist der Hauch,
Der die Wellen kräuselt,
Der in Blättern säuselt,
Der durch die
Aeolsharfen geht,
Der uns neckisch
Den Hut vom Kopfe weht;
Aber manchmal
Ist sie kein bloßer Hauch,
Sondern stürmt wohl auch.
Und ihre getreuen
Vöglein schweifen
Stets um sie her in der Luft
Und pfeifen.
Sind Regenvögel,
Die in der Regel
Nicht sehr beliebt sind
Bei ländlichen Tanten,
Welche Seile spannten,
Um Wäsche zu trocknen
Im Sonnenschein.
Oh! seufzt der Storch —
Und trat vom linken
Auf’s rechte Bein.
Wie bin ich froh!
Unsre Fernanda,
Die ist nicht so!
Im übrigen glaub’ ich,
Herr Dorfpoet,
Ist’s geraten, daß Ihr Euch
Heimwärts dreht,
Falls Ihr nicht etwa
Verregnen wollt —
Zephire grollt!
Schon hör’ ich sie rauschen
In den Föhren,
Schon lassen sich ihre
Vögel hören,
Und dort der Kumulus
Über dem Walde verspricht
Einen Regenguß. —
Adieu, Herr Langbein!
Ich empfehle mich! —
Empfehl’ mich gehorsamst,
Herr Dichterich!

Schleunigst macht sich der Poet
Auf die Socken.
Im Winde flattern
Die Dichterlocken.
Er schaut nicht um.
Die Wolke naht sich mit
Donnergebrumm.
Und als er sein kleines
Hüttchen erreicht,
Ist er ganz durchweicht
Und durchgewaschen
Bis in die Taschen,
Vom Strohhut oben
Bis tief in die Schuh.
Gottlob!
Jetzt macht er die Türe zu!


  1. Einer liebenswürdigen Frau, die vermutlich demnächst im Juni ihr Wiegenfest feiert, geschrieben und gezeichnet von
    Wilh. Busch