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Über die Malerei oder Zeichen und Mal

A. Das Zeichen

Die Sphäre des Zeichens umfaßt verschiedene Gebiete, die sich durch die wechselnde Bedeutung die in ihnen die Linie hat charakterisieren. Solche Bedeutungen sind: die Linie der Geometrie, die Linie des Schriftzeichens, die graphische Linie, die Linie des absoluten Zeichens (die als solche, d. h. nicht durch dasjenige, was sie etwa darstellt, magische Linie).

a), b) Die Linie der Geometrie und der Schriftzeichen bleiben in diesem Zusammenhang unberücksichtigt.

c) Die graphische Linie. Die graphische Linie ist durch den Gegensatz zur Fläche bestimmt; dieser Gegensatz hat bei ihr nicht etwa nur visuelle sondern metaphysische Bedeutung. Es ist nämlich der graphischen Linie ihr Untergrund zugeordnet. Die graphische Linie bezeichnet die Fläche und bestimmt damit diese indem sie sie sich selbst als ihrem Untergrund zuordnet. Umgekehrt gibt es auch eine graphische Linie nur auf diesem Untergrunde, sodaß beispielsweise eine Zeichnung, die ihren Untergrund restlos bedecken würde, aufhören würde eine solche zu sein. Damit ist dem Untergrund eine bestimmte, für den Sinn der Zeichnung unerläßliche Stelle angewiesen, sodaß innerhalb der Graphik zwei Linien nur relativ zu ihrem Untergrunde auch ihre Beziehung zueinander bestimmen können, übrigens eine Erscheinung, bei der die Verschiedenheit zwischen graphischer und geometrischer Linie besonders klar hervortritt. – Die graphische Linie verleiht ihrem Untergrunde Identität. Die Identität, welche der Untergrund einer Zeichnung hat, ist eine ganz andere als die derjenigen weißen Papierfläche, auf der sie sich befindet und der sie sogar wahrscheinlich abzusprechen wäre, wollte man sie als ein Gewoge (eventuell mit bloßem Auge nicht unterscheidbarer) weißer Farbwellen auffassen. Die reine Zeichnung wird die graphisch sinngebende Funktion ihres Untergrundes nicht dadurch alterieren, daß sie ihn als weißer Farbgrund »ausspart«; daraus erhellt, daß unter Umständen die Darstellung von Wolken und Himmel auf Zeichnungen gefährlich und bisweilen Prüfstein der Reinheit ihres Stils sein könnte.

d) Das absolute Zeichen. Um das absolute Zeichen, d. h. das mythologische Wesen des Zeichens zu verstehen, müßte man über die eingangs erwähnte Sphäre des Zeichens überhaupt etwas wissen. Jedenfalls ist diese Sphäre wahrscheinlich kein Medium, sondern stellt eine uns höchstwahrscheinlich zur Zeit gänzlich unbekannte Ordnung dar. Auffallend ist aber der Gegensatz der Natur des absoluten Zeichens zu der des absoluten Mals. Diesen Gegensatz, der metaphysisch von ungeheurer Wichtigkeit ist, hätte man erst zu suchen. Das Zeichen scheint mehr ausgesprochen räumliche Relation und mehr Beziehung auf die Person, das Mal (wie sich ergeben wird) mehr zeitliche und das Personale geradezu ausstoßende Bedeutung zu haben. Absolute Zeichen sind: z. B. das Kainszeichen, das Zeichen mit dem bei der zehnten Plage in Agypten die Häuser der Israeliten bezeichnet waren, das vermutlich ähnliche Zeichen in Ali Baba und den vierzig Räubern; mit der nötigen Zurückhaltung kann man aus diesen Fällen vermuten, daß das absolute Zeichen vorwiegend räumliche und personale Bedeutung hat.

B. Das Mal

a) Das absolute Mal. Sofern sich über die Natur des absoluten Mals, d. h. über das mythische Wesen des Mals, etwas ausmachen läßt, ist das von Wichtigkeit für die ganze Sphäre des Mals im Gegensatz zu der des Zeichens. Hier ist nun der erste fundamentale Unterschied darin zu sehen, daß das Zeichen aufgedrückt wird, das Mal dagegen hervortritt. Dies weist darauf hin, daß die Sphäre des Mals die eines Mediums ist. Während das absolute Zeichen nicht vorwiegend am Lebendigen erscheint, sondern auch leblosen Gebäuden, Bäumen aufgeprägt wird, erscheint das Mal vorzüglich am Lebendigen (Wundmale Christi, Erröten, vielleicht der Aussatz, Muttermal). Den Gegensatz zwischen Mal und absolutem Mal gibt es nicht, denn das Mal ist immer absolut, und ist im Erscheinen nichts anderem ähnlich. Ganz auffallend ist wie das Mal gemäß seinem Auftreten am Lebendigen so oft mit Schuld (Erröten) bzw. Unschuld (Wundmale Christi) verbunden ist; ja selbst wo das Mal an Leblosem erscheint (Sonnenkringel in Strindbergs »Advent«) ist es oft mahnendes Zeichen der Schuld. In diesem Sinne erscheint es aber zugleich mit dem Zeichen (Belsazar) und das Ungeheure der Erscheinung beruht zum großen Teil auf der nur Gott zuzuschreibenden Vereinigung dieser beiden Gebilde. Insofern der Zusammenhang von Schuld und Sühne ein zeitlich magischer ist, erscheint vorzüglich diese zeitliche Magie im Mal in dem Sinne, daß der Widerstand der Gegenwart zwischen Vergangenheit und Zukunft ausgeschaltet wird und diese auf magische Weise vereint über den Sünder hereinbrechen. Doch hat das Medium des Mals nicht allein diese zeitliche Bedeutung, sondern zugleich auch, wie es besonders im Erröten ganz erschütternd hervortritt, eine die Persönlichkeit in gewisse Urelemente auflösende. Dies führt wiederum auf den Zusammenhang zwischen Mal und Schuld. Das Zeichen aber erscheint nicht selten als ein die Person auszeichnendes und auch dieser Gegensatz zwischen Zeichen und Mal scheint der metaphysischen Ordnung anzugehören. Was die Sphäre des Mals überhaupt (d. i. das Medium des Mals überhaupt) angeht, so wird das einzige was in diesem Zusammenhang darüber erkannt werden kann nach der Betrachtung der Malerei gesagt werden. Doch ist, wie erwähnt, Alles was vom absoluten Mal gilt von großer Bedeutung für das Medium des Mals überhaupt.

b) Die Malerei. Das Bild hat keinen Untergrund. Auch liegt eine Farbe nie auf der andern auf, sondern erscheint höchstens im Medium derselben. Auch das läßt sich vielleicht oft gar nicht ausmachen, und so könnte man, prinzipiell betrachtet, bei manchen Gemälden gar nicht unterscheiden, ob eine Farbe die untergründigste oder die vordergründigste ist. Diese Frage ist aber sinnlos. Es gibt in der Malerei keinen Untergrund, und es gibt in ihr keine graphische Linie. Die gegenseitige Begrenzung der Farbflächen (Komposition) auf einem Raffaelschen Bilde beruht nicht auf der graphischen Linie. Dieser Irrtum kommt zum Teil aus der ästhetischen Verwertung der rein technischen Tatsache, daß Maler vor dem Malen ihre Bilder zeichnerisch komponieren. Das Wesen solcher Komposition hat aber mit Graphik gar nichts zu tun. Der einzige Fall, in dem Linie und Farbe sich zusammenfinden, ist das getuschte Bild, auf dem die Konturen des Stiftes sichtbar und die Farbe durchsichtig aufgetragen ist. Der Untergrund ist dort, wenn auch gefärbt, erhalten.

Das Medium der Malerei wird bezeichnet als das Mal im engern Sinne; denn die Malerei ist ein Medium, ein solches Mal, da sie weder Untergrund noch graphische Linie kennt. Das Problem des malerischen Gebildes ergibt sich erst dem, der sich über die Natur des Mals im engeren Sinne klar ist, eben dadurch aber erstaunen muß, im Bilde Komposition vorzufinden, die er doch nicht auf Graphik zurückführen kann. Daß nun aber das Vorhandensein einer solchen Komposition nicht ein Schein ist, daß beispielsweise der Beschauer eines Raffaelschen Bildes nicht nur zufällig oder aus Versehen Konfigurationen von Menschen, Bäumen, Tieren im Mal vorfindet, erhellt aus folgendem: wäre das Bild nur Mal, so wäre eben damit es ganz unmöglich, es zu benennen. Nun ist aber das eigentliche Problem der Malerei in dem Satze zu finden, daß das Bild zwar Mal sei, und umgekehrt daß das Mal im engern Sinne nur im Bild sei, und weiter, daß das Bild, insofern es Mal ist, nur im Bild selber Mal sei, aber: daß andrerseits das Bild auf etwas das es nicht selbst ist, d. h. auf etwas, das nicht Mal ist, und zwar indem es benannt wird, bezogen werde. Diese Beziehung auf das, wonach das Bild benannt wird, auf das dem Male Transzendente, leistet die Komposition. Diese ist der Eintritt einer höhern Macht in das Medium des Mals, welche, darin in ihrer Neutralität verharrend, d. h. keineswegs durch Graphik das Mal sprengend, in demselben eben deshalb ihren Platz ohne es zu sprengen findet, weil sie zwar unermeßlich höher als dies Mal, jedoch ihm nicht feindlich, sondern verwandt ist. Diese Macht ist das sprachliche Wort, das sich im Medium der malerischen Sprache, unsichtbar als ein solches, nur in der Komposition sich offenbarend, nieder läßt. Das Bild wird nach der Komposition benannt. Mit dem Gesagten versteht es sich von selbst, daß Mal und Komposition Elemente jedes Bildes sind, welches auf Benennbarkeit Anspruch macht. Ein Bild jedoch, das dies nicht täte, würde aufhören ein solches zu sein und nun freilich mit in das Medium des Mals überhaupt eintreten, wovon wir uns aber gar keine Vorstellung machen können.

Die großen Epochen in der Malerei unterscheiden sich nach Komposition und Medium, danach, welches Wort und in welches Mal es eintritt. Selbstverständlich handelt es sich hier bei Mal und Wort nicht um die Möglichkeit beliebiger Kombinationen. Beispielsweise wäre es wohl denkbar, daß in den Gemälden eines Raffael vorwiegend der Name, in den Gemälden der heutigen Maler etwa das richtende Wort in das Mal eingegangen sei. Für die Erkenntnis des Zusammenhanges des Bildes mit dem Wort ist die Komposition, d. i. die Benennung maßgebend; überhaupt aber ist der metaphysische Ort einer Malerschule und eines Gemäldes nach Art des Mals und Wortes zu bestimmen und setzt also zum wenigsten eine ausgebildete Unterscheidung der Arten des Mals und des Wortes voraus, von der es wohl noch kaum die Anfänge gibt.

c) Das Mal im Raum. Die Sphäre des Mals tritt auch in räumlichen Gebilden auf, wie auch das Zeichen in einer gewissen Funktion der Linie zweifellos architektonische Bedeutung (und also auch räumliche) hat. Solche Mäler im Raum hängen schon sichtlich durch die Bedeutung mit der Sphäre des Mals zusammen, in welcher Art aber muß gen au er Untersuchung vorbehalten bleiben. Vor allem erscheinen sie nämlich als Totenoder Grabmale, von denen aber im genauen Sinn natürlich nur architektonisch und plastisch ungeformte Gebilde Mäler sind.