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Farben und Farbenworte

Dafür, dass ein Mensch Farben sehen könne, für welche seine Sprache keine Bezeichnung habe, gibt es, aber Beweise, die noch etwas zwingender sind als die aus der ägyptischen Psychologie entnommenen; es sind die Berichte von Reisenden. Mir selbst hat der Photochemiker H. W. Vogel einmal erzählt, dass er auf einer Südseeinsel ein Volk antraf, welches nur vier Farbenworte in seiner Sprache besaß; als er den Leuten aber eine Farbentafel von sechzig verschiedenen Nuancen vorlegte, konnten sie mit großer Genauigkeit jedes Feld mit dem entsprechend gefärbten Täfelchen belegen. Wir sehen daraus, dass die Schlüsse aus der Sprache auf die Tätigkeit der Sinnesorgane sehr vorsichtig vollzogen werden müssen. Die Verfasser der Veden, des Avesta und der homerischen Gesänge standen an Vollendung ihres Auges schwerlich unter den Eskimos und den Südseeinsulanern und haben die blaue Farbe von der grauen sicherlich unterschieden, wenn sie auch kein Wort für den Unterschied hatten. Eine Beobachtung aus der allerneuesten Sprachgeschichte wird uns vielleicht helfen, diese Schwierigkeit aufzuklären.

In den letzten zwanzig Jahren sind eine ganze Masse von neuen Farbennuancen Mode geworden, für welche man die Bezeichnungen umsonst in einem Wörterbuche der deutschen Sprache, umsonst in den Büchern guter Schriftsteller gesucht hätte. In wirklichem Sprachgebrauch waren sie nur bei verkaufenden Ladenjünglingen und kaufenden Damen; es ist ein Nebenumstand, dass dieser gemeinsame Sprachgeist die Worte über Paris erhalten hatte. Cremefarben oder fraise écrasée z. B. hieß der so gefärbte Stoff und sonst nichts auf der Welt. Insbesondere die Dichter hätten es als entsetzlich prosaisch und geschmacklos gefunden, die Bezeichnung für eine Modefarbe in ihre Verse aufzunehmen. Darin hat die Schule des Naturalismus in den letzten Jahrzehnten Wandel geschaffen. Ein Jüngling, der von sich reden machen wollte, könnte mit großem Behagen die untere Rückengegend seiner Geliebten, oder die hellen Wolken eines Winterhimmels, oder das glatte Meer bei besonderer Beleuchtung cremefarben nennen, oder die Schamröte fraise écrasée, wobei nicht zu übersehen ist, dass die meisten Modefarben es noch zu keinem eigentlichen Sprachausdruck gebracht haben, oder dass — richtiger — die Vergleichung mit einem bestimmten so und so gefärbten Dinge im Sprachbewußtsein noch zu deutlich ist. Die Metapher ist noch nicht unbewußt, noch nicht Sprache geworden. Ich stelle mir nun vor, dass in alter Zeit die blaue Farbe zu den weniger beachteten Nuancen gehörte, für welche die allgemeine Volkssprache darum kein einfaches Farbenwort besaß und für welche darum die Dichter keinen geschmackvollen Ausdruck gebrauchen konnten. Wer den Himmel blau genannt hätte, wäre damals ebenso affektiert gewesen, wie wer heute cremefarben oder fraise écrasée schreibt. Abgesehen von den da hineinspielenden Fragen der Mode und des Geschmacks, läge dann der Fall so, dass die alten Dichter sowie die neuen Südseeinsulaner die Nuance blau unterschieden, wenn ihre Aufmerksamkeit darauf gelenkt wurde, dass aber ihre natürliche Aufmerksamkeit dem Blau nicht galt. (Vgl. dazu: Marty, Geschichtl. Entw. d. Farbensinns.)

Dieser Mangel an Aufmerksamkeit wird sofort zugestanden werden, wenn wir daran erinnern, dass der Regenbogen, doch gewiß eine der auffallendsten, ja verblüffendsten Erscheinungen der ganzen Natur, der Regenbogen, dessen unzählige Übergänge wir in sieben Farben einzuteilen pflegen, den europäischen und arabischen Gelehrten des Mittelalters nur nach drei Farben geläufig war. Ja selbst wir haben für die siebente Farbe des Regenbogens, für die violette Farbe, heute noch keinen selbständigen Farbenausdruck, da in violett (französisch: veilchenblau) die Vergleichung mit dem Veilchen im Sprachbewußtsein noch nicht überwunden ist. In der offiziellen Skala ist also violett die jüngste Farbe; es läßt sich da begreifen, dass auch blau, dem violett im Regenbogen benachbart, ein verhältnismäßig junges Farbenwort sei. Im Mittelalter nannte man nur Rot, Gelb und Blau Grundfarben des Regenbogens, und weil Weiß und Schwarz als besondere Farben hinzukamen, gab es fünf Grundfarben, wie heute noch bei den Chinesen, bei denen allerdings die Zahl fünf einen heiligen Charakter hat und häufig zu etwas wie einer Fünfeinigkeit geführt hat. Ich erwähne, dass bei den Griechen der Regenbogen (Iris) dreifarbig ist, dass er in der Edda als dreifarbige Brücke aufgefaßt wird. Ich glaube ihn vierfarbig zu sehen, ganz deutlich.

Für die Technik der Farben muß ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass ganz zuverlässige römische Berichterstatter (unter ihnen Cicero und Quintilian) uns berichten, die alten Griechen seien mit fünf respektive mit vier Grundfarben bei ihren Malereien ausgekommen. Ich lasse es dahingestellt, ob die griechischen Maler wirklich auf ihren Tafeln nur vier respektive fünf Farben zeigten oder ob sie diese Farben ebenso naturalistisch mischten, wie es unsere Maler mit ihren mehr als zwanzig Farben tun. Die neueste Erfindung des natürlichen Farbendrucks erzeugt bekanntlich alle Nuancen der Natur durch die Verwendung von nur drei Farben: Rot, Gelb und Blau. Sie konnte ebenso gut irgend welche drei andere einander genau ergänzende Farben wählen; denn die Natur mit ihren unzähligen Nuancen lacht der Worte.