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Etymologische Möglichkeiten

Geiger hat einen bewundernswerten Fleiß aufgewendet, um mit Hilfe der Etymologie nachzuweisen, dass eine große Anzahl von Bezeichnungen für verhältnismäßig späte menschliche Begriffe (für Werkzeuge, Waffen, Geräte, Kunsttätigkeiten, also für Vorstellungen, welche nicht in die letzte Urzeit der Menschen hinabreichen können) auf eine Sprachepoche zurückgeht, in welcher der Mensch sich noch nicht allzusehr vom Tiere zu unterscheiden brauchte. Sein Fleiß war vergeblich. Mit den Mitteln der gesicherten Etymologie kann er nur die Entwicklung der historischen Zeit beleuchten, nicht aber den dunklen Abgrund der Vorzeit. Dennoch sind Geigers Beispiele sehr beachtenswert, weil sie für die historische Zeit bereits die Tendenz der Sprache beweisen, mit den einfachsten Vorstellungen zu beginnen, und unsere Phantasie dadurch in den Stand gesetzt wird, den Ursprung der Sprache oder Vernunft vorzustellen. Der Gegensatz von Mensch und Tier wird kleiner, wenn wir erfahren, dass die Begriffe Garten, Haus, Gewand, Wagen auf Vorstellungen vielleicht zurückführen, die der Urmensch besitzen konnte, bevor er sich eine Wohnung gebaut, bevor er den Begriff des Eigentums entwickelt hatte, bevor er sich bekleidete und bevor er Werkzeuge kannte. Wir sehen im Wagen (im Hebräischen, Griechischen und Lateinischen) den Begriff des Rades, wir sehen, dass der Mensch einen runden Holzblock, eine Walze, einen zufällig rund geformten Stein vielleicht so nannte, und wir bemerken nebenbei mit Vergnügen, dass das alberne Bild vom Sonnenwagen vielleicht daher kommt, dass der Begriff Sonnenrad allmählich die Bedeutung Wagen mit übernahm. Die etymologische Zurückführung solcher Ausdrücke könnte, wenn sie vollständig und gesichert wäre, wirklich Körnchen an Körnchen hinzufügen, so dass man nicht sagen könnte, wo das Häuflein Tierverstand aufhört und der Haufe Menschenverstand beginnt. Geigers Beispiele zeigen wahrscheinlich in keinem einzigen Falle, wie das Wort entstanden ist; aber sie zeigen die Möglichkeiten der Entstehung. Wenn wir alte Worte für Messer, Schere, Nadel finden, so entsteht zunächst die Frage, wie man denn ein Messer, eine Schere, eine Nadel erfinden konnte, wenn man nicht vorher die Vorstellung oder die Absicht zu schneiden oder zu nähen hatte? Besaß man aber die Begriffe des Schneidens oder Nähens, so mußte man doch vorher die Tätigkeit kennen, also die Werkzeuge besitzen. Geiger sucht sehr hübsch nachzuweisen, dass diese Bedeutungen den Wörtern nicht ursprünglich sind, dass sie vielmehr vorher eine ähnliche, aber ohne Werkzeug zustande kommende Wirkung bezeichnen konnten. Es brauchte also das Werkzeug nicht ersonnen zu werden. Es brauchte nur ein zufälliges Reißen einen Namen zu bekommen und im Laufe der Entwicklung der Name auf ein kunstgemäßeres Schneiden überzugehen. Es bleibt dann für Schneiden und Nähen die auch den Tieren wohlbekannte Vorstellung vom Trennen und Verbinden übrig, und insbesondere für das Trennen wären die tierischen Vorstellungen vom Wühlen, Scharren, Nagen usw. bei der Hand. Es ist natürlich Phantasie, wenn man die Worte etymologisch so weit zurückführen will. Aber bei neueren Werkzeugen gelingt dies bisweilen, wie z. B. die Schere, welche jetzt zwei gegeneinander wirkende Messer mit einem bequemen Handgriffe bedeutet (im Französischen Mehrzahl, im Sanskrit Dual), ursprünglich ein Schermesser oder Schabemesser bedeutete. Das Wort für "scheren'"' scheint aber wieder auf eine ältere Gewohnheit der Wollgewinnung, auf das "Rupfen" der Schafe zurückzuführen, so dass unser elegantes Werkzeug seinen Namen von einer wenig vernünftigen Tätigkeit besäße.