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Denken und Sprechen

Da ich die Lehren Geigers doch nicht anders als kritisierend darstellen kann, möchte ich an dieser Stelle innehalten, um auszusprechen, was seine und meine Anschauung von der Sprache trennt. Da könnte ich nun sagen, dass Geiger eine zu starre Grenze zwischen dem Tiere und dem Menschen aufstelle, während ich annehme, dass auch das Tier sein bescheideneres Denken besitze und — da Denken und Sprechen nur eins ist — auch irgendwelche uns unverständliche Begriffszeichen haben müsse. Das ist jedoch kein wesentlicher Umstand, weil erstens Geiger in seiner Vorstellung vom Tierdenken schwankt und weil zweitens bei allen solchen Untersuchungen im Grunde immer nur von der Menschensprache die Rede ist und die Gewohnheit des systematischen Denkens allein immer wieder die Frage nach der Tiersprache hineinzieht. Sodann könnte ich sagen, dass Geiger die Vernunft als ein höheres Wesen aus der Sprache entstehen lasse, während ich, wie soeben erst, Sprechen und Denken völlig gleichsetze; wir werden aber sehen, dass auch Geiger in besonders guten Augenblicken die Vernunft mit der Sprache gleichsetzt, und ich wiederum werde in besonders resignierten Augenblicken einsehen, dass die Gleichstellung von Sprechen und Denken doch wieder nur eine kriegerische Behauptung ist, eine vorübergehende Wahrheit, gut im Kampf gegen den Aberglauben an die Vernunft, aber doch selbst wieder eine Äußerung des versteckten Wortaberglaubens, da die Erscheinungsgruppe Sprechen und die Erscheinungsgruppe Denken schließlich dieselbe Sache von zwei nicht ganz identischen Standpunkten ist, wie die beiden Photographien eines Stereoskopenbildes nicht ganz genau dasselbe zeigen (vgl. I, S. 176—232). Es wäre also die Lehre Geigers, die mit weit glänzenderen Mitteln verteidigt wird als die meine, von dieser gar nicht so verschieden, wenn nicht bei derartigen Weltanschauungsfragen noch etwas hinzukäme, was weit über die beweisbaren Sätze hinausgeht. Ein Gegner mag das so charakterisieren, dass Geiger vor dem menschlichen Denken mit andächtigem Staunen stehen bleibt, ich aber es mit höhnischem Gelächter an seinen Früchten zu erkennen suche. Ich würde das, höflicher gegen mich selbst, so ausdrücken, dass ich das menschliche Denken der Sprache gleichstelle, dass ich aus Begriffen, Urteilen und Schlüssen nur ein ödes, ewig tautologisches Geschwätz heraushöre, dass ich darum die Sprache als vollkommen wertlos für die Aufgabe der Welterkenntnis ansehe, dass Geiger dagegen an die Vernunft glaubt wie an eine allmächtige Gottheit, dass er die Vernunft darum als eine höhere Potenz aus der Sprache hervorgehen läßt und Vernunft und Sprache der Tiere zu niedrig einschätzt, nur um Menschenvernunft und Menschensprache zu hoch einschätzen zu können. Es werden nämlich immer Weltanschauungen von heimlichen Wertbegriffen bestimmt, also von unkontrollierbaren Stimmungen, welche im ganz klaren Denken keinen Platz haben sollten.