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Denken und Sprechen

In einem Punkte hat Steinthal sicherlich recht, wenn er nämlich sagt, dass man die Gesetze des Denkens nicht genau genug kenne, um aus ihnen die Gesetze der Sprache abzuleiten ; dass die Sprache materieller, klarer sei und dass es darum ratsamer wäre, umgekehrt die Gesetze des Denkens aus der Sprache zu erschließen. Doch zu der Einsicht, dass Sprache und Denken ein und dasselbe seien, ein und derselbe wirkliche Vorgang im Gehirn, nur eine Wirklichkeit, deren Gesetze wir nicht kennen, bis zu dieser Einsicht ist Steinthal nicht vorgedrungen, weil er zwar um vieles klarer als Humboldt (Charakteristik S. 74) das Wesen der Sprache ausdrücklich als bloßen psychischen Prozeß erfassen wollte, aber daneben oder darüber immer wieder den Geist oder das Denken oder sonst etwas als einen gesetzgebenden Fetisch erblickte.

In diesem letzten Punkte ging es ihm genau wie seinem Meister Wilhelm von Humboldt. Dieser wirkte in der Zeit des beginnenden Historismus, aber er stand eigentlich immer noch auf dem Boden des alten Rationalismus. Er hatte von Kant das Beste nicht zu lernen vermocht. Er wurde den Zwiespalt zwischen Rationalismus und Historismus auch bei seiner "inneren Sprachform" nicht los. Auch sonst ist dieser Begriff ein beachtenswertes Beispiel eines inneren Widerspruchs; bezeichnet man doch durch Form sonst immer das Äußere. Es ist eine solche Wortbildung fast nur in der philosophischen Sprache der Deutschen möglich und wäre vorher nur in dem spezifisch aristotelischen Griechisch und dann im Mönchslatein der Aristoteliker möglich gewesen. Wir fragen uns aber jetzt, auf welchem Wege ein so feiner und reiner Geist wie Humboldt zu diesem hölzernen Eisen gelangt ist.

Wir müssen da den berühmten Begründer der Sprachphilosophie nicht allzu streng beim Worte nehmen. Humboldt war kein Systematiker, glücklicherweise. Es läßt sich an vielen Stellen seiner Schriften zeigen, dass er die Sprache im allgemeinen, das Gemeinsame in den menschlichen Sprachen gar wohl als eine Abstraktion erkannte, dass er aber anderseits die Wertlosigkeit aller Abstraktion nicht ahnte und darum nach der einen Idee aller Sprache forschte. Sehr schön (für seine Zeit) definiert er die Sprache als die Arbeit des menschlichen Geistes, den artikulierten Laut zum Ausdruck des Gedankens fähig zu machen. Der kluge Politiker Humboldt, der Historiker, hätte den Begriff der Entwicklung verstehen, hätte wissen müssen, dass eine solche unaufhörliche und endlose Arbeit sich nicht an eine Idee halten kann, dass sie sich vielmehr den Umständen anpassen muß. Aber der Darwinismus war damals noch nicht in den Köpfen, was immer man auch von den vielgerühmten Vorläufern Darwins rede. Goethes sogenannter Darwinismus stellte sich noch keine Einheit der Entwicklung vor, sondern vielmehr nur eine Einheit des Typus. Goethes Urpflanze und Urtier sind nicht als die ersten in der Ahnenreihe gedacht, sondern als Schemata, als Fiktionen des Urtypus. Diese Goethesche Einheit des Typus mag wohl auch Humboldt bei seiner Einheit der Sprachidee vorgeschwebt haben. Mehr nicht.