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Waterloo

Unterdrückte Blätter aus den Geständnissen

Es sind nicht bloß die Franzosen und der Kaiser, welche zu Waterloo unterlagen – die Franzosen stritten dort freilich für ihren eignen Herd, aber sie waren zu gleicher Zeit die heiligen Kohorten, welche die Sache der Revolution vertraten, und ihr Kaiser kämpfte hier nicht sowohl für seine Krone als auch für das Banner der Revolution, das er trug; er war der Gonfaloniere der Demokratie, wie Wellington der Fahnenjunker der Aristokratie war, als beider Heere auf dem Blachfelde von Waterloo sich gegenüberstanden – Und diese letztere siegte, die schlechte Sache des verjährten Vorrechts, der servile Knechtsinn und die Lüge triumphierten, und es waren die Interessen der Freiheit, der Gleichheit, der Brüderschaft, der Wahrheit und der Vernunft, es war die Menschheit, welche zu Waterloo die Schlacht verloren. Wir in Deutschland, wir waren nicht die Düpes jener plenipotentiaren Tartüffe, welche, mit der rohen Übermacht die feige Heuchelei verbindend, in ihren Proklamationen erklärten, daß sie nur gegen einen einzigen Menschen, der Napoleon Bonaparte heiße, den Krieg führten: wir wußten sehr gut, daß man, wie das Sprichwort sagt, auf den Sack schlägt und den Esel meint, daß man in jenem einzigen Mann auch uns schlug, auch uns verhöhnte, uns kreuzigte, daß der „Bellerophon“ auch uns transportierte, daß Hudson Lowe auch uns quälte, daß der Marterfelsen von Sankt Helena unser eignes Golgatha war und unsre erste Leidensstation Waterloo hieß!

Waterloo! fataler Name! Es vergingen viele Jahre, und wir konnten diesen Namen nicht nennen hören, ohne daß alle Schlangen des ohnmächtigen Zorns in unsrer Brust aufzischten und uns die Ohren gellten wie vom Hohngelächter unsrer Feinde. Ihren Speichel fühlten wir alsdann auf den errötenden Wangen – Gottlob, der schnöde Zauber ist jetzt gebrochen, und die herzzerreißende, verzweiflungsvolle Bedeutung jenes Namens ist jetzt verschwunden!

Welchem mirakulosen Ereignisse wir die Befreiung vom Waterloo-Alp verdanken, ist bekannt. Schon durch die Juliusrevolution ward uns eine große Satisfaktion gewährt, sie war jedoch nicht komplett; es war nur Balsam für die alte Wunde, die aber noch nicht vernarben konnte. Die Franzosen hatten freilich die ältere Bourbonenlinie weggejagt, welche mit dem doppelten Unglück behaftet war, daß sie den Besiegten von den fremden Siegern aufgedrungen worden, nachdem dieses alte, abgelebte Königsgeschlecht vorher die schrecklichste Beleidigung in Frankreich erduldet hatte. Die schmachvolle Hinrichtung des gutmütigen und menschenfreundlichen Ludwigs XVI., dieses schauderhafte Vergehen, konnte zwar bei den Beleidigten Verzeihung finden, aber nimmermehr bei den Beleidigern; denn der Beleidiger verzeiht nie. Der 21. Januar war in der Tat ein zu unvergeßliches Datum, als daß ein Franzose ruhig schlafen konnte, solange ein Bourbone von der ältern Linie auf dem Throne Frankreichs saß; diese Linie war unmöglich geworden und mußte früh oder spät, gleich einem Geschwür, aus dem französischen Staatskörper ausgeschnitten werden, ganz so, wie es den Stuarts in England geschah, als dort ähnliche Ursachen der Scham und des Mißtrauens obwalteten. Ludwig Philipp und seine Familie war möglich, weil sein Vater an dem Nationalvergehen teilgenommen und er selbst zu den Vorkämpen der Revolution einst gehörte. Ludwig Philipp war ein großer und edler König. Er besaß alle bürgerlichen Tugenden eines Bourgeois und kein einziges Laster eines Grandseigneur. Er saß gut zu Pferd und hatte zu Jemappes und Valmy gefochten. Frau von Genlis leitete seine Erziehung, und er war wissenschaftlich gebildet wie ein Gelehrter; auch konnte er im Falle der Not durch Unterricht in der Mathematik sein Brot verdienen oder einen Bedienten, den der Schlag getroffen, gleich zur Ader lassen, weshalb er auch ein Feldschereretui beständig bei sich trug. Er war höflich, großmütig und verzieh ebensowohl seinen legitimistischen Verleumdern wie seinen republikanischen Meuchelmördern; er fürchtete nicht die Kugeln, womit die eigne Brust bedroht war, doch als es galt, auf das Volk schießen zu lassen, überschlich ihn die alte philanthropische Weichherzigkeit, und er warf die Krone von sich, ergriff seinen Hut und nahm seinen alten Regenschirm und seine Frau unter den Arm und empfahl sich. Er war ein Mensch. Fabelhaft groß war sein Reichtum, und doch blieb er arbeitsam wie der ärmste Handwerker. Er war vakziniert; ist auch nie von den Pocken heimgesucht worden. Er war gerecht und brach nie den Eid, den er den Gesetzen geschworen. Er gab den Franzosen achtzehn Jahre Frieden und Freiheit. Er war genügsam, keusch und hatte nur eine einzige Geliebte, welche Marie Amalie hieß. Er war tolerant und liebte die Jesuiten nicht. Er war das Muster eines Königs, ein Marc Aurel mit einem modernen Toupet, ein gekrönter Weiser, ein ehrlicher Mann – Und dennoch konnten ihn die Franzosen auf die Länge nicht behalten, denn er war nicht nationalen Ursprungs, er war nicht der Erwählte des Volks, sondern einer kleinen Koterie von Geldmenschen, die ihn auf den vakanten Thron gesetzt, weil er ihnen die beste Garantie ihrer Besitztümer dünkte und weil bei dieser Besetzung keine große Einrede von seiten der europäischen Aristokratie zu befürchten stand, die ja einst nicht so sehr aus Liebe für Ludwig XVIII. als vielmehr aus Haß gegen Napoleon, den einzigen, gegen den sie Krieg zu führen vorgab, die Restauration betrieben hatte. Ganz recht war es freilich den Fürsten des Nordens nicht, daß ihre Protegés so ohne Umstände fortgejagt wurden, aber sie hatten dieselben nie wahrhaft geliebt; Ludwig Philipps Quasilegitimität, seine erlauchte Geburt und sein sanftes Dulden erweichte endlich die hohen Unzufriedenen, und sie ließen sich den gallischen Hahn gefallen – weil er kein Adler war.

Obgleich wir gern zugeben, daß man dem König Ludwig Philipp großes Unrecht getan, daß man ihn mit dem unwürdigsten Undank behandelt, daß er ein wahrer Märtyrer war und daß die Februarrevolution überhaupt sich als ein beklagenswertes Ereignis auswies, das unsäglich viel Unheil über die Welt brachte, so müssen wir nichtsdestoweniger gestehen, daß sie wieder für die Franzosen, deren Nationalgefühl dadurch erhoben worden, sowie auch für die Demokratie im allgemeinen, deren ideales Bewußtsein sich daran stärkte, eine große Genugtuung war. Doch vollständig war diese letztere noch nicht, und sie schlug bald über in eine klägliche Demütigung. Dieses verschuldeten jene ungetreuen Mandatare des Volks, die den großen Akt der Volkssouveränität, der ihnen die unumschränkteste Macht verlieh, durch ihr Ungeschick oder ihre Feigheit oder ihr Doppelspiel verzettelten. Ich will nicht sagen, daß sie schlechte Menschen waren; im Gegenteil, es wäre uns besser ergangen, wenn wir entschiedenen Bösewichtern in die Hände gefallen wären, die energisch und konsequent gehandelt und vielleicht viel Blut vergossen, aber etwas Großes für das Volk getan hätten. Ein ungeheures Verbrechen begingen jene guten Leute und schlechten Musikanten, die sich aus Ehrgeiz im Augenblick des entsetzlichsten Sturmes ans Steuerruder des Staates drängten und, ohne die geringsten Kenntnisse politischer Nautik, das Kommando des Schiffes übernahmen, als einzige Bussole nur ihre Eitelkeit konsultierend. Unvermeidlich war der Schiffbruch.

Gleich in der ersten Stunde der Provisorischen Regierung, die sich eben diesen Namen gab, offenbarte sich das Unvermögen der kleinen Menschen. Schon dieser Name „Provisorische Regierung“ bekundete offiziell ihre Zagnis und annullierte von vornherein alles, was sie etwa Tüchtiges für das vertrauende Volk, das ihnen die höchste Gewalt erteilte und sie mit einer Leibgarde von 300000 Mann beschützte, tun konnten. Nie hat das Volk, das große Waisenkind, aus dem Glückstopf der Revolution miserablere Nieten gezogen, als die Personen waren, welche jene Provisorische Regierung bildeten. Es befanden sich unter ihnen miserable Komödianten, die bis aufs Haar, bis auf die Farbe des Barthaars, jenen Heldenspielern des Liebhabertheaters glichen, das uns Shakespeare im „Sommernachtstraum“ so ergötzlich vorführt. Diese täppischen Gesellen hatten in der Tat vor nichts mehr Angst, als daß man ihr Spiel für Ernst halten möchte, und Snug der Tischler versicherte im voraus, daß er kein wirklicher Löwe, sondern nur ein provisorischer Löwe, nur Snug der Tischler sei, daß sich das Publikum vor seinem Brüllen nicht zu fürchten brauche, da es nur ein provisorisches Brüllen sei – und dabei, in seiner Eitelkeit, hatte er Lust, alle Rollen zu spielen, und die Hauptsache war für ihn die Farbe des Bartes, womit eine Rolle tragiert werden müsse, ob es ein zindelroter oder ein trikolorer Bart sei.

Wahrlich, die auswärtigen Mächte hatten keinen Grund, sich vor diesen provisorischen Löwen zu fürchten – sie waren wohl im Beginn etwas verdutzt, aber sie faßten sich bald, als sie sahen, welche Tiere in der Löwenhaut steckten, und sie brauchten keineswegs die Februarrevolution als eine politische Beleidigung, als eine patzige Herausforderung anzusehen – denn sie konnten mit Recht sagen: „Es ist uns gleich, wer in Frankreich regiert. Wir haben zwar Anno 1815 die ältern Bourbonen auf den Thron gesetzt, aber es geschah nicht aus Zärtlichkeit für diese, sondern aus Haß gegen den Napoleon Bonaparte, mit welchem wir damals Krieg führten und den wir bei Waterloo erschlugen und zu Sankt Helena, Gott sei Dank! begruben – Solange er lebte, hatten wir keine ruhige Stunde – Nun, da dieser tot ist und unter den provisorischen Regierungslöwen keiner sich befindet, der uns wieder unsre liebe Nachtruhe rauben könnte, so ist es uns gleichgültig, wer in Frankreich herrscht. Es kümmert uns gar nicht, wer dort regiert, ob Louis Blanc oder der General Tom Pouce, der Zwerg beider Welten, der noch weit berühmter ist als ersterer, aber freilich ebensowenig wie sein Mitzwerg Louis Blanc in der Winzigkeit einen Vergleich aushalten könnte mit dem seligen Bogulawski, den man in eine Pastete buk und auf die Tafel des Kurfürsten von Sachsen setzte – der tapfere Pole biß und hieb sich aber mit seinen Zähnen und seinem kleinen Säbel aus dem Backwerk heraus und spazierte auf der kurfürstlichen Tafel als Sieger einher, ein Heldenstück, welches vielleicht eurem Homunkulus Louis Blanc nicht gelingen dürfte, der sich schwerlich so heroisch aus der Februarpastete wieder herausfrißt.“

Ich bemerke ausdrücklich, daß es die auswärtigen Fürsten sind, die sich in so wegwerfender Weise über Louis Blanc äußern. Mit größerer Anerkennung würde ich selbst von diesem Tribunen reden, der während seiner ephemeren Machthaberei sich zwar nicht durch Intelligenz, aber desto mehr durch eine fast deutsche Sentimentalität auszeichnete. In allen seinen Reden war er immer von den schönen Gefühlswallungen seines Herzens überwältigt, er wiederholte darin beständig, daß er bis zu Tränen gerührt sei, und er flennte dabei so beträchtlich, daß diese wäßrichte Gemütlichkeit ihm auch jenseits des Rheins eine gewisse Popularität erwarb, indem nämlich die deutschen Ammen und Kindermägde ihren kleinen Schreihälsen, die beständig weinen, den Namen des larmoyanten französischen Demagogen erteilten. Es haben viele über das kindische Äußere desselben gescherzt. Ich aber habe niemals sein Köpfchen betrachten können, ohne von einem gewissen Erstaunen ergriffen zu sein; nicht, weil ich etwa das viele Wissen des Männchens bewundert hätte – nein, er ist im Gegenteil von aller Wissenschaft gänzlich entblößt –, ich war vielmehr verwundert, wie in einem so kleinen Köpfchen soviel Unwissenheit Platz finden konnte; ich begriff nie, wie dieser bornierte, winzige Schädel jene kolossalen Massen von Ignoranz zu enthalten vermochte, die er in so reicher, ja verschwenderischer Fülle bei jeder Gelegenheit auskramte – da zeigt sich die Allmacht Gottes! Trotz allem Mangel an Wissenschaft und Gelahrtheit bekundet Herr Louis Blanc dennoch ein wahrhaftes Talent für Geschichtschreibung. Nur ist zu bedauern, daß er just jene Titanenkämpfe beschreiben wollte, welche wir die Geschichte der französischen Revolution nennen. Es ist schade, daß er nicht lieber einen Stoff wählte, dem er gewachsen wäre, der seiner Statur angemessener, z.B. die Kriege der Pygmäen mit den Kranichen, wovon uns Herodot berichtet.

Sowohl in bezug auf Talent als auch Gesinnung, so klein er war, überragte Louis Blanc dennoch mehre seiner Kollegen von jener Provisorischen Regierung, welche den nordischen Potentaten sowenig Furcht einjagte. Alles, was diese Fürsten sagten, ist reine Wahrheit. Unter den Mitgliedern der Provisorischen Regierung war kein einziger, der im mindesten Ähnlichkeit hatte mit jenem Störefried, mit jenem Unfugstifter, jenem schrecklichen korsikanischen Taugenichts, der in allen Hauptstädten der Welt die Wache prügelte, überall die Fenster einwarf, die Laternen zerschlug und unsre ehrwürdigen Monarchen wie alte Portiers behandelte, indem er sie des Nachts aus dem Schlafe klingelte und ihr Silberhaar verlangte. Unsre gekrönten Pipelets konnten ruhig ihren Nachtschlaf genießen während der Herrschaft der Provisorischen Regierung in Frankreich –

Nein, unter den Helden dieser Tafelrunde glich keiner einem Napoleon, keiner von ihnen war jemals so unartig gewesen, die Schlacht von Marengo zu gewinnen, keiner von ihnen hatte die Impertinenz gehabt, bei Jena die Preußen zu schlagen, keiner von ihnen erlaubte sich bei Austerlitz oder bei Wagram irgendeinen Exzeß des Sieges, keiner von ihnen gewann die Schlacht bei den Pyramiden – Was man auch dem Herrn de Lamartine, dem Flügelmann der Februarhelden, vorwerfen mag, man kann ihm doch nicht nachsagen, daß er bei den Pyramiden die Mamelucken niedergemetzelt habe – Es ist wahr, er unternahm eine Reise in den Orient, und in Ägypten kam er den Pyramiden vorüber, von deren Spitze zirka vierzig Jahrhunderte ihn betrachten konnten, wenn sie wollten, doch auf die Pyramiden selbst machte der Anblick seiner berühmten Person keinen sonderlichen Eindruck, sie blieben unbewegt, sintemalen sie fast blasiert sind in bezug auf große Männer, deren größte ihnen zu Gesicht gekommen, z.B. Moses, Pythagoras, Plato, Julius Cäsar, Christus und Napoleon, welcher letztere auf einem Kamelritt – Es ist möglich, daß Herr de Lamartine ebenfalls auf einem Kamel durch das Niltal geritten, aber sicherlich hat er dort keine Schlacht geliefert und keine Mamelucken verschluckt – Nein, dieser Kamelreuter war ein Chamäleon, aber kein Napoleon, er war kein Mameluckenfresser, er war immer zahm und sanftmäulig, und als er im Februar 1848 die Rolle eines provisorischen Löwen zu spielen hatte, brüllte er so zärtlich, so süßlich, so schmachtend, wie in der Shakespeareschen Komödie Snug der Tischler zu brüllen versprach, um nicht die Damen zu erschrecken – In den Kanzleien des Nordens erschrak wirklich niemand beim Empfang der melodischen Manifeste des neuen französischen ministre des affaires étrangères, den man mit Recht einen ministre étranger aux affaires nannte, und seine diplomatischen Meditationen und Harmonien belustigten sehr die Fürsten der absoluten Prosa –

In der Tat, diese letzteren waren sehr beruhigt über die Absichten des Löwen, welcher damals die Marseillaise des Friedens gezwitschert hatte, und sie waren vollkommen überzeugt, daß er kein Napoleon war, kein Kanonendonnergott, kein Gott des Blitzes, kein Blitz Gottes – Sie hatten vielleicht schon lange vor uns die Bemerkung gemacht, daß jener zweideutige Mann nicht bloß kein Blitz, sondern gerade das Gegenteil, nämlich ein Blitzableiter war, und sie begriffen, von welchem Nutzen ihnen ein solcher sein konnte zu einer Zeit, wo das ungeheuerlichste Volksgewitter das alte gotische Gesellschaftsgebäude zu zerschmettern drohte –

Nicht ich habe Herrn de Lamartine einen Blitzableiter genannt; er selbst hat sich das Brandmal dieses Namens aufgedrückt. Denn wie es allen Schwätzern ergeht, denen nie die Plappermühle stillesteht, entschlüpften ihm einst die naiven Worte: man beschuldige ihn, mit den Rädelsführern der republikanischen Partei gegen die Ordnung der Dinge konspiriert zu haben, ja, er habe mit ihnen konspiriert, aber wie der Blitzableiter mit dem Blitze konspiriere. Dieser falsche Bruder war bei all seiner Duplizität auch die Unfähigkeit selbst, und da er für einen Dichter gilt, so konnten jetzt wieder die prosaischen Weltleute darüber spötteln, was dabei herauskomme, wenn man einem Dichter die Staatsangelegenheiten anvertraue. Nein, ihr irrt euch; die großen Dichter waren oft auch große Staatsmänner; die Musen sind ganz unschuldig an der gouvernementalen Ineptie des zweideutigen Mannes, und es ist noch eine Frage, ob das überhaupt Poesie ist, was bei ihm die Franzosen bewundern. Seine Schönrednerei, seine brillante Suade erinnert viel mehr an einen Rhetor als einen Dichter. Soviel ist gewiß, der chantre d’Eloah sündigte nicht durch Überfluß an Poesie; er ist nur ein lyrischer Ehrgeizling, der uns in Versen immer gelangweilt und in Prosa düpiert hat.

Ich brauche wohl nicht besonders zu erörtern, daß erst am 20. Dezember 1852 das französische Volk die vollständige Genugtuung empfing, wodurch die alte Wunde seines gekränkten Nationalgefühls vernarben kann. Ich empfinde in tiefster Seele diesen Triumph, da ich einst die Niederlage so schmerzlich mitempfunden. Ich bin selbst ein Veteran, ein Krüppel mit beleidigtem Herzen, und begreife den Jubel armer Stelzfüße. Dazu habe ich auch die Schadenfreude, daß ich die Gedanken lese auf den Gesichtern unsrer alten Feinde, die gute Miene zum bösen Spiel machen. Es ist nicht ein neuer Mann, der jetzt auf dem französischen Thron sitzt, sondern derselbe Napoleon Bonaparte ist es, den die Heilige Allianz in die Acht erklärt hat, gegen den sie den Krieg geführt und den sie entsetzt und getötet zu haben behauptete: er lebt noch immer, regiert noch immer – denn wie einst der König im alten Frankreich nie starb, so stirbt im neuen Frankreich auch der Kaiser nicht – und eben indem er sich jetzt Napoleon III. nennen läßt, protestiert er gegen den Anschein, als habe er je aufgehört zu regieren, und indem die auswärtigen Mächte den heutigen Kaiser unter diesem Namen anerkannten, versöhnen sie das französische Nationalgefühl durch einen ebenso klugen wie gerechten Widerruf früherer Beleidigung.

Die Konsequenzen einer solchen Rehabilitation sind unendlich und werden gewiß heilsam sein für alle Völker Europas, namentlich für die Deutschen. Es ist nur schade, daß viele der alten Waterloo-Helden diese Zeit nicht erlebt. Ihr Achilles, der Herzog von Wellington, hatte davon schon einen Vorgeschmack, und bei dem letzten Waterloo-Dinner, das er mit seinen Myrmidonen am Jahrestag der Schlacht feierte, soll er miserabler und katzenjämmerlicher als je ausgesehen haben. Er ist auch bald hernach verreckt, und John Bull steht an seinem Grab, kratzt sich hinter den Ohren und brummt: „So hab ich mich nun umsonst in die ungeheure Schuldenlast gestürzt, die mich zwingt, wie ein Galeerensklave zu arbeiten – was nutzt mir jetzt die Schlacht bei Waterloo?“ Ja, diese hat jetzt ihre frühere schnöde Bedeutung verloren, und Waterloo ist nur der Name einer verlorenen Schlacht, nichts mehr, nichts weniger, wie etwa Crécy und Azincourt oder, um deutsch zu reden, wie Jena und Austerlitz.