Frostig

Frostig. (Schöne Künste) In dem kritischen Werk, das von vielen dem Demetrius Phaleräus zugeschrieben wird, findet man folgende Erklärung des Frostigen, die dem Theophrastus zugeschrieben wird, angeführt. Frostig ist dasjenige, was die eigentliche Beschaffenheit seiner Art überschreitet. Dieses scheint aber mehr auf das Übertriebene zu passen, das in der Tat bisweilen frostig ist. Eigentlich ist dasjenige Frostig, was durch die übertriebene oder falsche Veranstaltung, die Art der Kraft, die man ihm hat geben wollen, ganz verliert; wenn das, was man hat erheben wollen, durch die Mittel, die man dazu braucht, niedrig und platt wird; wenn das, was Schreckhaft sein sollte, durch die Veranstaltung Lächerlich, das Lächerliche abgeschmackt oder verdrüßlich wird. So wie der, der zu viel beweist, eigentlich gar nichts beweist, so wird auch zu viel falsche, ästhetische Kraft völlig unkräftig oder Frostig. Überhaupt scheint alles, was unzeitig gegen die Absicht vergrößert oder verschönert wird, auch alles, was einen falschen Schein hat; aller falsche, übertriebene und unzeitige Witz, ins Frostige zu fallen. Der oben angeführte unbekannte Schriftsteller sagt ganz artig, das Frostige gleiche einem Prahler, der sich rühmet, Dinge zu besitzen, die er nicht hat.

Plutarchus rechnet folgenden übertriebenen Einfall unter das höchst Frostige. Weil der Tempel der Diana zu Ephesus an eben dem Tag abgebrannt war, an welchem Alexander geboren worden, hatte danach ein Witzling den Einfall, die Göttin habe den Tempel nicht löschen können, weil sie zu viel mit des Helden Geburt zu tun gehabt habe. Frostig ist bei Shakespear der Gedanke des Laertes, der auf die Nachricht, dass seine Schwester sich ersäuft habe, sagt: da sie zu viel Wasser habe, wolle er es durch seine Tränen nicht noch vermehren [im Hamlet]. Frostig ist dieses, das Seneka dem Theseus in den Mund legt

 

        –– –– si novi Herculem,

Lycus Creonti debitas poenas dabit.

Lentum est, dabit; dat: hoc quoque est

lentum; dedit*).

 

Das Frostige ist einer der schlimmsten Fehler in den Werken des Geschmacks, weil es sehr beleidigt. Das parturiunt montes, hat immer dabei statt; man wird bös auf den Künstler und kehrt das Auge von seinem Werke weg. Also ist kaum ein Fehler, vor dem man sich sorgfältiger in Acht zu nehmen habe. Deswegen hat Aristoteles in seiner Rhetorik einen eigenen Abschnitt, um die Ursachen des Frostigen zu untersuchen.

Der allgemeine Grund alles Frostigen ist der Mangel der Beurteilungskraft, bei der Begierde etwas ausserordentliches und besonders kräftiges hervorzubringen. Was Longinus hierüber sagt, verdient erwogen zu werden [Kap. III.]. Dieser allgemeine Mangel der Beurteilung wird auf verschiedene Weise eine Quelle des Frostigen.

Erstlich, wenn man sich einbildet, durch bloß äußerliche Mittel, die den Sachen nicht einmal angemessen sind, ihnen Kraft zu geben, als; wenn man gemeine Gedanken durch hohe Worte oder durch einen hochtrabenden Ton erheben wollte.

Zweitens, wenn figürliche Redensarten, Tropen und Bilder, wodurch die Sachen lebhafter sollten gemacht werden, da, wo sie gebraucht werden, nicht passen.

Drittens, bei übel angewandtem oder übertriebenem Leidenschaftlichen; wenn man gleichgültigen Dingen einen Anstrich des Ernsthaften oder Traurigen oder Lustigen geben will oder wenn überhaupt dieses Leidenschaftliche bloß aus Verstellung und nicht aus wirklicher Empfindung herkommt. Nicht nur Redner und Dichter, sondern auch andere Künstler, können in alle Arten des Frostigen fallen. Die Schauspieler können bei den schönsten Szenen sehr frostig werden, wenn sie da, wo sie bloß Würde zeigen sollen, hochtrabend sind; wenn sie anstatt stiller Größe, einen feurigen Ausbruch der Empfindungen äussern; wenn sie lächerliche Gebährden und einen lächerli chen Ton annehmen, wo gar keine Ursache zum Lachen ist u. s. f. Nicht selten fallen die Tonsetzer in das Frostige, wenn sie sich zu sehr an einzelne Worte binden und wenn sie, zumal am unrechten Orte, so genannte Malereien anbringen [s. Malerei der Musik].

Die sichersten Mittel, sich allezeit vor diesem Fehler zu verwahren, sind: erstlich eine genaue Aufmerksamkeit auf das, was natürlich und schicklich ist; denn jede Art des Frostigen hat etwas unnatürliches: zweitens der Vorsatz, nie mehr auszudrücken als so viel man selbst fühlt; denn gerade da, wo man andere warm oder lebhaft machen will, da man es selbst nicht ist, entsteht allgemein das Frostige: drittens die genaue Erwägung der Wichtigkeit jeder Sache; weil man fast allezeit Frostig wird, wenn man etwas geringes als wichtig vorstellen will.

 

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*) Hercules fur. vs 642.


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