Feuer

Feuer. (Schöne Künste) Durch diesen metaphorischen Ausdruck wird diejenige Lebhaftigkeit der Seelenkräfte ausgedrückt, die eine schnelle Wirksamkeit, so wohl der Vorstellungs- als der Begehrungskräfte hervorbringt. In diesem Zustande folgen die Begriffe schnell auf einander, sie drängen sich hervor, die Seele wirkt und begehrt mit Heftigkeit, so dass auch dadurch das Geblüth schneller angetrieben und eine Vermehrung der innerlichen Wärme des Körpers gespührt wird. Ein geringerer Grad des Feuers wird die Lebhaftigkeit, ein stärkerer die Wut, die Begeisterung genannt.

  In so fern dieser Zustand des Gemüts durch ästhetische Gegenstände hervorgebracht wird und auf die Bearbeitung derselben einfließt, gehört die Betrachtung seines Ursprungs und seiner Wirkung zur Theorie der Künste. Denn es ist bekannt genug, was für vorteilhaften Einfluss dieser Zustand auf die Werke des Geschmacks hat.

  Einigen Menschen ist dieses Feuer angeboren. Ihre Nerven haben mehr Reizbarkeit als anderer Menschen; sie sind in ihren Begierden heftig. Was andere mit Ruhe angenehm oder unangenehm empfinden, erweckt bei diesen starke Begierden und starken Abscheu. Aus geringer Veranlassung erfolgt ein allgemeines Bestreben aller Seelenkräfte, die sich auf ein Ziel, wie in einem Brennpunkt vereinigen. Von dieser Art scheinen Homer, Äschylus, Demosthenes und Michael Angelo gewesen zu sein; unter den neueren besitzt Voltaire diese Gabe der Natur vorzüglich.

 Andre, von Natur weniger empfindlich, werden nur bei seltenern Gelegenheiten in diese Lebhaftigkeit gesetzt, die in ein Feuer ausbricht. Ihre Seele scheint nicht von allen Seiten her empfindlich und ihre Nerven nur für gewisse Gegenstände stark reizbar. Es geschieht nur bei ganz besonderen Veranlassungen und durch eine besondere Verbindung der Umstände, dass ihre ganze Seele in außerordentliche Wirksamkeit gebracht wird. Bei dem einen tut der Schall der Posaune und das Feldgeschrei diese Wirkung; bei dem anderen der Klang der Weingläser oder der Reiz einer schönen Gestalt. Einen anderen lokt der Glanz des Ruhms zur Anstrengung seiner Kräfte. Diese sehen wir bei solchen besonderen Gelegenheiten in dem Feuer der Einbildungskraft. Jene größere Köpfe aber scheinen durch jeden starken ästhetischen Gegenstand leicht aufzubringen.

 Da wir die allgemeinen und besonderen Ursachen dieses geistlichen Feuers in den Artikeln Begeisterung und Einbildungskraft bereits näher betrachtet, auch verschiedenes von seinen Wirkungen auf den Geist angemerkt haben, so wollen wir hier seine Wirkungen, insofern man sie in den Werken des Geschmacks findet, etwas umständlicher betrachten. Man erkennt aber das Feuer, in welchem der Künstler gearbeitet hat, sogleich an einem kühnen, etwas wilden und wenn es sehr stark gewesen ist, etwas ausschweifenden Wesen. In den zeichnenden Künsten gebiehrt dieses Feuer kühne und kernhafte Striche, die mit wenigem viel ausdrücken; Dreistigkeit und Lebhaftigkeit in den Stellungen und Bewegungen der Figuren; ein mehr eckigtes als sanft laufendes Wesen in den Umrissen; starke Massen des Hellen und Dunkeln; starke Lichter und Schatten. Alles gekünstelte, fein ausgezeichnete, vertriebene und verblasene Wesen ist fern von der Wirkung des Feuers. Die meiste Stärke liegt in den Hauptsachen und Nebendinge sind etwas flüchtig behandelt. In der Musik zeigt sich die Wirkung des Feuers in schnellen, fortrauschenden Gängen, in ungewöhnlichen dreisten Akkorden und plötzlichen Ausweichungen; in kühnen Figuren und in großen Intervallen. In der Rede, sie sei gebunden oder ungebunden, in schnell fließenden Worten; kurzen Sätzen, starken und ungewöhnlichen Redensarten und Figuren, kühnen Metaphern, in einem etwas strengen Ton und Numerus. Das Feuer hat in der Dichtkunst hauptsächlich in Oden und in dem Tragischen und Epischen statt, wo kühne Taten, hitzige Reden, starke Leidenschaften, insbesondere Freude, Zorn, Rachsucht geschildert werden.

 Das Feuer, welches sich in den Werken der Kunst zeigt, ist ansteckend, es reißet uns schnell fort, unsere Seelenkräfte werden zu einer starken Anstrengung gereizt und es kann uns in Bewunderung setzen; folglich grenzt es in Ansehung seiner Wirkung an das Erhabene.

 Man sieht aber leicht, dass das Feuer, wenn es den Künstler nicht in Ausschweifungen verführen soll, mit einem großen und sichern Geschmack muss verbunden sein. Denn in der Hitze der Einbildungskraft weicht die Besonnenheit und Überlegung. Es kann also leicht geschehen, dass man ausschweifft. Der feurige Künstler, der seinen Geschmack nicht auf das strengste, durch ein anhaltendes Studium geläutert hat, gerät leicht auf Abwege; er wird ausschweifend und ungeheuer. Wird aber das Feuer nur durch eine ausschweifende Kunst in das Werk gemischt, ohne dass die Lebhaftigkeit der Sache den Künstler wirklich erhitzt hat, so wird dasselbe abenteuerlich. Vor diesem kalten erzwungenen Feuer haben sich insbesondere die Schauspieler und Redner, in dem, was zum mündlichen Vortrag gehört und die Dichter und Redner in der Schreibart und dem Silbenmaß in Acht zu nehmen. Vornehmlich hat der Schauspieler sich zu hüten, dass sein Feuer nicht übertrieben sei; sonst fällt er ins Frostige. Er muss es nicht am unrechten Ort anwenden, er muss es in dem Grad äussern, den das Feuer des Dichters erfordert. Denn es ist nichts widrigers als wenn geringe Sachen mit Feuer vorgetragen werden. Es beleidiget uns durch den Widerspruch, den wir zwischen dem Wesen der Sache und der Art ihrer Darstellung bemerken und fällt demnach ins Lächerliche.

 


 © textlog.de 2004 • 29.03.2024 08:55:28 •
Seite zuletzt aktualisiert: 23.10.2004 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright  A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  Z