Nachahmung

Nachahmung. (Schöne Künste) Wer nicht nach eigenen Vorstellungen handelt, sondern etwas darum tut, weil andere vor ihm dasselbe getan haben und wer in seinen Handlungen nicht seinen eigenen Begriffen folgt, sondern das, was andere getan haben, zur Vorschrift nimmt, der ist ein Nachahmer: Original ist der, dessen Handlungen aus seinen eigenen Vorstellungen entstehen und der in der Ausführung seinen eigenen Begriffen folgt.

Es gibt Menschen, die in ihrem Denken und Handeln so wenig eigenes haben, denen es an Kraft oder Mut zu erfinden, so sehr fehlt, dass sie immer nur das tun, was sie von anderen sehen. Diese sind das imitatorum servum pecus des Horaz; blinde, kindische Nachahmer anderer Menschen. Ihre Handlungen sind mehr Nachäffungen, ohne eigene Absichten als Nachahmungen. So äffen Kinder in ihren Spielen zum Zeitvertreib ernsthafte Handlungen der Männer nach, deren Natur und Zweck sie nicht einsehen.

Andere, auch wohl selbstdenkende und aus Überlegung handelnde Menschen, ahmen das schon vorhandene nach; weil sie erkennen oder empfinden, dass sie dadurch sicherer zum Zwecke gelangen als wenn sie selbst erfänden. Sie entdecken in fremden Erfindungen gerade das, was sie nötig haben und bedienen sich desselben zu ihren eigenen Absichten. Dieses aber geschiehet, nach Beschaffenheit des besonderen Genies der Nachahmer, mit mehr oder weniger Freiheit und eigener Mitwirkung.

Wer allezeit denkt und überlegt, ahmt frei nach. Er sieht in den Werken, die er sich zueignet, gewisse Sachen, die zu seinem Zwecke nicht dienen; diese nimmt er in sein Werk nicht auf, sondern wählt an deren Stelle andere nach seiner Absicht. Dadurch wird sein Werk, das in der Hauptsach eine Nachahmung ist, in besonderen Teilen ein Originalwerk. Er kann der freie verständige Nachahmer genannt werden. Andre haben zwar aus Einsicht und Überlegung fremde Werke oder Handlungen als die schicklichsten zu ihrer Absicht gewählt; aber entweder aus Trägheit oder aus Mangel einer schärferen Beurteilungskraft, beurteilen sie nicht jedes Einzelne darin, sondern nehmen alles als gut und schicklich an; machen ihr eigenes Werk mehr zu einer Kopie als zu einer Nachahmung; und in dem sie jedes Einzelne des fremden Werks auch in das ihrige bringen, so geschiehet es, dass sie auch das, was ihrem Zweck fremd oder gar zuwieder ist, mit aufnehmen. Diese sind knechtische, ängstliche Nachahmer. So ahmen die meisten Menschen in ihrer Lebensart, in ihren häuslichen Einrichtungen andere nach, ohne zu überlegen, was sie, nach ihrer beson dern Lage und nach ihren Umständen anders machen sollten.

Es gibt also dreierlei Arten der Nachahmung. Die Nachäffung, die ein bloßes Kinderspiel ist und aus unbestimmter, keinen Zweck kennender Lust sich zu beschäftigen entsteht, wodurch man verleitet wird, zum Spiel das zu tun, was andere in anderer Absicht getan haben. So machen viel seichte Köpfe aus den schönen Künsten ein Kinderspiel und äffen die Werke derselben nach, wie etwa Kinder Soldaten spielen. Anakreon ein im Überfluss sinnlicher Ergötzlichkeiten lebender feiner und witziger Wollüstling, scherzte aus der Fülle des Vergnügens mit Wein und Liebe; ein schwacher Jüngling, der weder einen Funken von dem Geist des Tieres besitzt, noch irgend etwas von seinem Wolleben genießt, äffet seine Lieder nach und wird zum Gespötte.

Die andere Art der Nachahmung ist die knechtische und ängstliche; sie wählt zwar aus Überlegung das Original, das sie sich zum Muster nimmt; aber indem sie ohne Überlegung auch das Zufällige darin nachahmt, was sich zu dem besonderen Zweck der Nachahmung nicht schickt, bringt sie ein Werk hervor, in welchem viel unschickliches oder gar ungereimtes ist. So wählet ein neuer Baumeister aus guter Überlegung die dorische Ordnung zu einem Gebäude; aber indem er jedes Einzelne, das er darin findet, in sein Werk aufnimmt und Hirnschädel von Opferthieren oder Opfergefäße in seine Metopen setzt, macht er oft etwas unsinniges. Also kann diese Art der Nachahmung ein im Grunde sonst gutes und schickliches Werk verderben und lächerlich machen.

Die dritte Art der Nachahmung ist die freie und verständige, die schon vorhandene Werke zu einem in einzelnen Umständen näher oder anders bestimmten Zweck einrichtet. Ein solches Werk ist zwar nicht in seiner Anlage aber in der Ausführung und in vielen Teilen ein wahres Original Werk und leistet in allen Stücken der Absicht Genüge. So haben Plautus und Terenz griechische Komödien nachgeahmt.

 



Inhalt:


Nachahmung der Natur
Nachahmung fremder Werke

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