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Psychologisches Subjekt

Wir wissen bereits, dass ein Satz oder die Aussprache eines Gedankens nur ganz überflüssigerweise mit den Kategorien der Logik und Grammatik belästigt wird. Die Regeln der Logik und Grammatik haben mit dem Organismus des Denkens noch viel weniger zu tun als der Bast, durch welchen eine Pflanze an ihren Stock angebunden wird, mit dem Organismus der Pflanze. Wir wissen, dass ein sogenannter Gedanke oder ein Satz nichts weiter ist als die Richtung unserer Aufmerksamkeit auf irgend einen Sinneseindruck, sei es ein neuer Sinneseindruck oder die Vorstellung oder Erinnerung uns wohlbekannter Eindrücke. Dieser psychologische Vorgang ergibt, dass — um es zu wiederholen — das Prädikat eines Satzes, das Ausgesagte, das Prädizierte auch allein das Aussagenswerte, das Sprechenswerte ist, dass das Subjekt das Selbstverständliche ist, das in den Urzeiten der Sprache gewiß noch gar nicht gesagt wurde. Das Subjekt, das jetzt für das Hauptwort, für die Hauptsache gilt, muß eine jüngere Erfindung gewesen sein, es ist ein Parvenu.

Man hat die Mitteilung einer Gedankenreihe an einen andern Menschen ebenso geistreich wie falsch mit dem Abwickeln einer Papierrolle im Telegraphenamte verglichen; es soll da die weiße Papierrolle immer kürzer Werden, während das beschriebene Band auf der andern Scheibe immer länger wird. Der Vergleich hinkt auf allen vier Füßen. Höchstens für den empfangenden Apparat, für den Hörer oder Leser eines Satzes, vollzieht sich die Aufnahme, wenn er sehr dumm ist oder etwas vollkommen Neues erfährt, halbwegs so langsam und linear, wie ein Band sich aufrollt, wie eine Wanze kriecht. In der psychologischen Wirklichkeit wird der Blickpunkt des Gedächtnisses vom Sprecher schnell und geschickt nach allen Richtungen auf diejenigen Beobachtungen und Merkmale gelenkt, die gegenwärtig, das heißt dem realen Zusammenhang entsprechend, für ihn von Interesse sind; und mit maschinenmäßiger Sicherheit wird der Blickpunkt des Hörers (soweit die Unterschiede in ihren Individualsprachen nicht stören) auf dieselben Beobachtungen und Merkmale gelenkt, nach dem Interesse des Sprechers. Jedesmal ist die Fülle der Vorstellungen, welche dem Sprecher oder Hörer jeweilig aus seinem Sprachschatze oder aus seiner gesamten Welterkenntnis in jedem Augenblicke gegenwärtig sind, das Subjekt zu den rasch wechselnden Prädikaten. Auch dieses Subjekt ist von Wort zu Wort in jedem Satze veränderlich, ist anders im Kopfe des Sprechers und im Kopfe des Hörers. Dieses unausgesprochene nebelhafte, von der ganzen Gedankengeschichte jedes Individuums abhängige Subjekt konnte wohl das psychologische Subjekt genannt werden; es ist allerdings von den Sprachforschern nur aus Verlegenheit erfunden worden, weil nämlich bei manchen Wortstellungen und Satzkonstruktionen die Grammatik dem psychologischen Vorgang allzu schroff widersprach.