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Philosophische Grammatik

Haben wir schon früher (Bd. I. S. 76) in der Grammatik der Einzelsprachen die menschliche Notdurft erkannt, die sich nach kleinen menschlichen Interessen ein mangelhaftes Eegister für einen mangelhaften Weltkatalog ordnete, so wissen wir jetzt nach einer genaueren Betrachtung der grammatischen Kategorien, dass weder die Redeteile noch die Form der Redeteile, noch die Zusammensetzung zu Sätzen zu der Wirklichkeitswelt passen. Ist schon die Sprache überhaupt mit ihren Worten oder Begriffen kein Schlüssel der Erkenntnis, kein passender Schlüssel für die Welt, so ist die Grammatik der Sprache noch weniger mit einem Schlüssel zu vergleichen. Sie wäre denn wie ein wächserner Schlüssel, weich und unbrauchbar; die wächserne Matrize des Schlosses, nach der einen festen Schlüssel zu formen nicht gelungen ist. Und auch dieser Vergleich noch wäre falsch, wenn wir an die Grammatik erkenntnistheoretische Forderungen stellen wollten. Die Daten unserer Zufallssinne, die wir nach der urältesten Hypothese für eine objektive Wirklichkeitswelt halten müssen, sind höchstens adjektivischer Natur, die angenommenen Ursachen dieser adjektivischen Daten nennen wir Dinge, die Zweckmittelpunkte ähnlicher Zustandsgruppen nennen wir Tätigkeiten. Noch unentwirrbarer fließen die Bedeutungen der Deklinations- und Konjugationsformen, fließen die Bedeutungen der Beziehungsredeteile durcheinander. Und auch der letzte Halt, die Kategorie der Quantität oder das Zahlwort, entglitt uns, da sich die Zahlen herausstellten als Erfindungen ohne Begriffswert, da nur die Urzahl 2, der Korrelatbegriff der Gleichheit, der Begriffssprache etwa verblieb.

Und so wäre es an der Zeit, den Traum von einer philosophischen Grammatik zu Ende zu träumen. Es gibt keine allgemeine Grammatik, geschweige denn eine philosophische Grammatik. Ich habe mir irgendwo einen Narren erfunden, der sich mit einem Stadtplane von Königsberg in München zurechtfinden wollte. In den Geisteswissenschaften gibt es so etwas. Warum sollte man nicht einen allgemeinen, einen philosophischen Städteplan entwerfen? Jede Straße mündet in eine andere. Abgesehen von den Ausnahmen. Über den Fluß führt am Ende der Straße eine Brücke. Abgesehen von den Ausnahmen. Der arme Teufel, der sich nach einem solchen philosophischen Städteplan richten wollte, wäre so weise wie der Schüler einer philosophischen Grammatik. Wir sind heute nicht mehr so "aufgeklärt", wie J. B. Meiner (seine allgemeine Sprachlehre erschien in demselben Jahre wie Kants Vernunftkritik), welcher in allen Sprachen nur Kopien eines und eben desselben Originals sah, unseres Denkens nämlich. Aber auch die neuesten Versuche einer philosophischen Grammatik gestehen unfreiwillig die Unmöglichkeit des Unternehmens ein. A. Stöhr gibt in seiner "Algebra der Grammatik" (vgl. besonders S. 15) niemals eine vollständige Übersicht aller möglichen Beziehungen, sondern bestenfalls nur reiche und übersichtliche Beispiele. Es gibt keine Philosophie, es gibt nur Philosophien. Es gibt keine Grammatik, es gibt nur Grammatiken. Es gibt keine Logik, es gibt nur Logiken. Und die lebendige Wirklichkeit sprengt die Fesseln der Philosophien, der Grammatiken und der Logiken, wie das lebendig kristallisierende Wasser im Felsenspalt den uralten, toten Felsen zersprengt.