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6. Descartes’ transzendentale Wendung und Lockes Psychologismus

Die Idee einer rein phänomenologischen Psychologie hat nicht nur die soeben dargelegte reformatorische Funktion für die empirische Psychologie. Aus tiefliegenden Gründen kann sie als Vorstufe für die Freilegung des Wesens einer transzendentalen Phänomenologie dienen. Auch historisch ist diese Idee nicht aus den eigenen Bedürfnissen der Psychologie selbst erwachsen. Ihre Geschichte führt uns bis auf J. Lockes denkwürdiges Grundwerk zurück und auf die bedeutsame Auswirkung der von ihm ausgehenden Impulse durch J. Berkeley und D. Hume. Schon bei Locke war aber die Beschränkung auf das rein Subjektive von außerpsychologischen Interessen bestimmt. Die Psychologie stand im Dienste des durch Descartes erweckten Transzendentalproblems. In seinen meditationes war der Gedanke zu dem für die erste Philosophie leitenden geworden: daß alles Reale und schließlich diese ganze Welt für uns seiende und soseiende nur ist als Vorstellungsinhalt unserer eigenen Vorstellungen, als urteilsmäßig vermeinte und bestenfalls evident bewährte unseres eigenen Erkenntnislebens. Hier lag die Motivation zu allen, ob echten oder unechten Transzendentalproblemen. Descartes' Zweifelsmethode war die erste Methode der Herausstellung der „transzendentalen Subjektivität“, sein „ego cogito“ führte auf deren erste begriffliche Fassung. Bei Locke wandelt sich Descartes' transzendental reine mens in die reine Seele (human mind), deren systematische Erforschung durch innere Erfahrung Locke in transzendentalphilosophischem Interesse in Angriff nimmt. Er ist so der Begründer des Psychologismus als einer Transzendentalphilosophie durch eine Psychologie aus innerer Erfahrung. Das Schicksal der wissenschaftlichen Philosophie hängt an einer radikalen Überwindung jedes Psychologismus, die nicht nur seinen prinzipiellen Widersinn bloßlegt, sondern auch seinem transzendental bedeutsamen Wahrheitskern genugtut. Die Quelle seiner beständigen historischen Kraft schöpft er aus einer Doppeldeutigkeit aller Begriffe von Subjektivem, die alsbald mit der Aufrollung der transzendentalen Frage erwächst. Die Enthüllung dieser Zweideutigkeit bedeutet in eins mit der scharfen Trennung zugleich eine Parallelisierung der rein phänomenologischen Psychologie (als der wissenschaftlich strengen Gestalt der Psychologie rein aus innerer Erfahrung) und der transzendentalen Phänomenologie als der echten Transzendentalphilosophie. Zugleich rechtfertigt sich so die Vorausschickung der reinen Psychologie als Zugangsmittel zur echten Philosophie. Wir beginnen mit der Klärung des echten Transzendentalproblems, das in der zunächst unklaren Labilität seines Sinnes so sehr geneigt macht (und das trifft schon Descartes), es auf ein abwegiges Geleise zu verschieben.