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Über Achill

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Mich freut es, dass Du vom Achill sprachst. Er ist mein Liebling unter den Helden, so stark und zart, die gelungenste und vergänglichste Blüte der Heroenwelt, so ›für kurze Zeit geboren‹ nach Homer, eben weil er so schön ist. Ich möchte auch fast denken, der alte Poet lass’ ihn nur darum so wenig in Handlung erscheinen, und lasse die andern lärmen, indess sein Held im Zelte sitzt, um ihn so wenig, wie möglich unter dem Getümmel vor Troja zu profanieren. Von Ulyss konnte er Sachen genug beschreiben. Dieser ist ein Sack voll Scheidemünze, wo man lange zu zählen hat, mit dem Golde ist man viel bälder fertig.

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Am meisten aber lieb’ ich und bewundere den Dichter aller Dichter um seines Achilles willen. Es ist einzig, mit welcher Liebe und welchem Geiste er diesen Charakter durchschaut und gehalten und gehoben hat. Nimm die alten Herrn Agamemnon und Ulysses und Nestor mit ihrer Weisheit und Torheit, nimm den Lärmer Diomed, den blindtobenden Ajax, und halte sie gegen den genialischen, allgewaltigen, melancholisch-zärtlichen Göttersohn, den Achill, gegen dieses enfant gâté der Natur, und wie der Dichter den Jüngling voll Löwenkraft und Geist und Anmut in die Mitte gestellt hat zwischen Altklugheit und Rohheit, und du wirst ein Wunder der Kunst in Achilles Charakter finden. Im schönsten Kontraste stehet der Jüngling mit Hektor, dem edeln treuen frommen Manne, der so ganz aus Pflicht und feinem Gewissen Held ist, da der andre alles aus reicher schöner Natur ist. Sie sind sich ebenso entgegengesetzt, als sie verwandt sind, und eben dadurch wird es um so tragischer, wenn Achill am Ende als Todfeind des Hektor auftritt. Der freundliche Patroklus gesellt sich lieblich zu Achill und schickt sich so recht zu dem Trotzigen.

Man sieht auch wohl, wie hoch Homer den Helden seines Herzens achtete. Man [hat] sich oft gewundert, warum Homer, der doch den Zorn des Achill besingen wolle, ihn fast gar nicht erscheinen lasse pp. Er wollte den Götterjüngling nicht profanieren in dem Getümmel vor Troja. Der ldealische durfte nicht alltäglich erscheinen. Und er konnt’ ihn wirklich nicht herrlicher und zärtlicher besingen, als dadurch, dass er ihn zurücktreten lässt, (weil sich der Jüngling in seiner genialischen Natur vom rangstolzen Agamemnon, als ein Unendlicher unendlich beleidiget fühlt,) so dass jeder Verlust der Griechen von dem Tag an, wo man den Einzigen im Heere vermisst, an seine Überlegenheit über die ganze prächtige Menge der Herren und Diener mahnt, und die seltenen Momente, wo der Dichter ihn vor uns erscheinen lässt, durch seine Abwesenheit nur desto mehr ins Licht gesetzt werden. Diese sind dann auch mit wunderbarer Kraft gezeichnet und der Jüngling tritt wechselsweise klagend und rächend, unaussprechlich rührend und dann wieder furchtbar so lange nacheinander auf, bis am Ende, nachdem sein Leiden und sein Grimm auf[s] höchste gestiegen sind, nach fürchterlichem Ausbruch das Gewitter austobt, und der Göttersohn kurz vor seinem Tode, den er vorausweiß, sich mit allem, so gar mit dem alten Vater Priamus aussöhnt.

Diese letzte Szene ist himmlisch nach allem, was vorhergegangen war. ——————