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Die Bücher der Zeiten

Herr! Herr!
    Unterwunden hab' ich mich,
          Zu singen dir
                Bebenden Lobgesang.

Dort oben
    In all der Himmel höchstem Himmel,
          Hoch über dem Siriusstern,
                Hoch über Uranus Scheitel,

Wo von Anbeginn
    Wandelte der heilige Seraph
          Mit feirender, erbebender Anbetung
                Ums Heiligtum des Unnennbaren,

Da steht im Heiligtum ein Buch
    Und im Buche geschrieben
          All die Millionenreihen
                Menschentage —

Da steht geschrieben —
    Länderverwüstung und Völkerverheerung,
    Und feindliches Kriegergemetzel,
    Und würgende Könige —
    Mit Roß und Wagen,
    Und Reuter und Waffen,
    Und Szepter um sich her;
    Und giftge Tyrannen,
    Mit grimmigem Stachel,
    Tief in der Unschuld Herz.
    Und schröckliche Fluten
    Verschlingend die Frommen,
    Verschlingend die Sünder,
    Zerreißend die Häuser
    Der Frommen, der Sünder.
    Und fressende Feuer —
    Paläste und Türme
    Mit ehernen Toren,
    Gigantischen Mauern
    Zernichtend im Augenblick.
    Geöffnete Erden
    Mit schwefelndem Rachen
    Ins rauchende Dunkel
    Den Vater, die Kinder,
    Die Mutter, den Säugling,
    In Wehegeröchel
    Und Sterbegewinsel
    Hinuntergurgelnd. —

Da steht geschrieben
    Vatermord! Brudermord
    Säuglinge blaugewürgt!
    Greulich! Greulich!
    Um ein Linsengericht
    Därmzerfressendes Gift
    Dem guten, sicheren Freund gemischt. —
    Hohlaugigte Krüppel,
    Ihrer Onansschande
    Teuflische Opfer -.
    Kannibalen
    Von Menschenbraten gemästet —
    Nagend an Menschengebein,
    Aus Menschenschädel saufend
    Rauchendes Menschenblut.
    Wütendes Schmerzgeschrei
    Der Geschlachteten über dem
    Bauchzerschlitzenden Messer.
    Des Feindes Jauchzen
    Über dem Wohlgeruch,
    Welcher warm dampft
    Aus dem Eingeweid. —

Da steht geschrieben —
    Die Verzweiflung schwarz
    Am Strick um Mitternacht
    Noch im quälenden Lebenskampf
    Die Seel — am höllenahenden Augenblick.

Da steht geschrieben —
    Der Vater verlassend
    Weib und Kind im Hunger,
    Zustürzend im Taumel
    Dem lockenden süßlichen Lasterarm. —
    Im Staub das Verdienst
    Zurück von der Ehre
    Ins Elend gestoßen
    Vom Betrüger —
    Im Lumpengewand
    Einher der Wanderer,
    Bettelnahrung zu suchen
    Dem zerstümmelten Gliederbau.

Da steht geschrieben
    Des heitern, rosigen Mädchens
    Grabenaher Fieberkampf;
    Der Mutter Händeringen,
    Des donnergerührten Jünglings
    Wilde stumme Betäubung.

(Eine Pause im Gefühl)

Furchtbarer, Furchtbarer!
    Das all, all im Buche geschrieben,
          Furchtbarer, Furchtbarer!

Ha die Greuel des Erdgeschlechts!
    Richter! Richter!
          Warum vertilgt mit dem Flammenschwert
                All die Greuel von der Erde
                    Der Todesengel nicht?

Gerechter, sieh, die Gerichte
    Treffen den Frommen, den Sünder,
          Die Fluten, die Feuer,
                Die Erdegerichte all'.

Aber sieh, ich schweige —
    Das sei dir Lobgesang!
          Du, der du lenkst
                Mit weiser, weiser Allmachtshand
                    Das bunte Zeitengewimmel.

(Wieder eine Pause)

Halleluja, Halleluja,
    Der da denkt
          Das bunte Zeitengewimmel,
                Ist Liebe!!!
                    Hörs Himmel und Erde!
                          Unbegreiflich Liebe!

Es steht im Heiligtum ein Buch
    Und im Buche geschrieben
          All die Millionenreihen
                Menschentage —

Da steht geschrieben
    Jesus Christus Kreuzestod!
    Des Sohnes Gottes Kreuzestod!
    Des Lamms auf dem Throne Kreuzestod!
    Selig zu machen alle Welt,
    Engelswonne zu geben
    Seinen Glaubigen. —
    Der Seraphim, Cherubim
    Staunende Still
    Weit in den Himmelsgefilden umher —
    Des Harfenklangs Verstummen,
    Kaum atmend der Strom ums Heiligtum.
    Anbetung — Anbetung —
    Über des Sohnes Werk,
    Welcher erlöst
    Ein gefallen Greuelgeschlecht.

Da steht geschrieben —
    Der gestorben ist,
    Jesus Christus,
    Abschüttelnd im Felsen den Tod!
    Heraus in der Gotteskraft Allgewalt!
    Und lebend — lebend
    Zu rufen dereinst dem Staub:
    Kommet wieder, Menschenkinder!
    Jetzt tönt die Posaun'
    Ins unabsehliche Menschengewimmel
    Zum Richtstuhl hinan! Zum Richtstuhl!
    Zum Lohn, der aufstellt
    Der Gerechtigkeit Gleichgewicht!

Jammerst du jetzt noch, Frommer?
Unter der Menschheit Druck?
Und, Spötter, spottest du
In tanzenden Freuden
Noch des furchtbarn Richtstuhls?

Da steht geschrieben —
    Menschliches Riesenwerk,
    Stattlich einherzugehn
    Auf Meerestiefen!
    Ozeanswanderer! Stürmebezwinger!
    Schnell mit der Winde Fron
    Niegesehene Meere
    Ferne von Menschen und Land
    Mit stolzen brausenden Segeln
    Und schaurlichen Masten durchkreuzend.
    Leviathanserleger
    Lachend des Eisgebürgs,
    Weltenentdecker
    Niegedacht von Anbeginn.

Da steht geschrieben —
    Völkersegen,
    Brots die Fülle,
    Lustgefilde
    Überall —
    Allweit Freude
    Niederströmend
    Von der guten
    Fürstenhand.