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Kapitel XVII.

Madame, Sie wünschen, daß ich erzähle, wie die kleine Veronika ausgesehen hat. Aber ich will nicht. Sie, Madame, können nicht gezwungen werden, weiter zu lesen, als Sie wollen, und ich habe wiederum das Recht, daß ich nur dasjenige zu schreiben brauche, was ich will. Ich will aber jetzt erzählen, wie die schöne Hand aussah, die ich im vorigen Kapitel geküßt habe.

Zuvörderst muß ich eingestehen: – ich war nicht wert, diese Hand zu küssen. Es war eine schöne Hand, so zart, durchsichtig, glänzend, süß, duftig, sanft, lieblich – wahrhaftig, ich muß nach der Apotheke schicken und mir für zwölf Groschen Beiwörter kommen lassen.

Auf dem Mittelfinger saß ein Ring mit einer Perle – ich sah nie eine Perle, die eine kläglichere Rolle spielte –, auf dem Goldfinger trug sie einen Ring mit einer blauen Antike – ich habe stundenlang Archäologie daran studiert –, auf dem Zeigefinger trug sie einen Diamant – es war ein Talisman, solange ich ihn sah, war ich glücklich, denn wo er war, war ja auch der Finger nebst seinen vier Kollegen –, und mit allen fünf Fingern schlug sie mir oft auf den Mund. Seitdem ich solchermaßen manupoliert worden, glaube ich steif und fest an den Magnetismus. Aber sie schlug nicht hart, und wenn sie schlug, hatte ich es immer verdient durch irgendeine gottlose Redensart, und wenn sie mich geschlagen hatte, so bereuete sie es gleich und nahm einen Kuchen, brach ihn entzwei und gab mir die eine und dem braunen Dachse die andere Hälfte und lächelte dann und sprach: „Ihr beide habt keine Religion und werdet nicht selig, und man muß euch auf dieser Welt mit Kuchen füttern, da für euch im Himmel kein Tisch gedeckt wird.“ So halb und halb hatte sie recht, ich war damals sehr irreligiös und las den Thomas Paine, das „Système de la nature“, den „Westfälischen Anzeiger“ und den Schleiermacher und ließ mir den Bart und den Verstand wachsen und wollte unter die Rationalisten gehen. Aber wenn mir die schöne Hand über die Stirne fuhr, blieb mir der Verstand stehen, und süßes Träumen erfüllte mich, und ich glaubte wieder fromme Marienliedchen zu hören, und ich dachte an die kleine Veronika.

Madame, Sie können sich kaum vorstellen, wie hübsch die kleine Veronika aussah, als sie in dem kleinen Särglein lag. Die brennenden Kerzen, die rund umherstanden, warfen ihren Schimmer auf das bleiche lächelnde Gesichtchen und auf die rotseidenen Röschen und rauschenden Goldflitterchen, womit das Köpfchen und das weiße Totenhemdchen verziert war – die fromme Ursula hatte mich abends in das stille Zimmer geführt, und als ich die kleine Leiche, mit den Lichtern und Blumen, auf dem Tische ausgestellt sah, glaubte ich anfangs, es sei ein hübsches Heiligenbildchen von Wachs; doch bald erkannte ich das liebe Antlitz und frug lachend, warum die kleine Veronika so still sei, und die Ursula sagte: „Das tut der Tod.“

Und als sie sagte: „Das tut der Tod“ – Doch ich will heute diese Geschichte nicht erzählen, sie würde sich zu sehr in die Länge ziehen, ich müßte auch vorher von der lahmen Elster sprechen, die auf dem Schloßplatz herumhinkte und dreihundert Jahr alt war, und ich könnte ordentlich melancholisch werden – Ich bekomme plötzlich Lust, eine andere Geschichte zu erzählen, und die ist lustig und paßt auch an diesen Ort, denn es ist die eigentliche Geschichte, die in diesem Buche vorgetragen werden sollte.