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〈II. Teufel-, Hexen- und Dämonenglaube im Christentum des Mittelalters〉

Das endliche Schicksal des Christentums ist also davon abhängig, ob wir dessen noch bedürfen. Diese Religion war eine Wohltat für die leidende Menschheit während achtzehn Jahrhunderten, sie war providentiell, göttlich, heilig. Alles, was sie der Zivilisation genützt, indem sie die Starken zähmte und die Zahmen stärkte, die Völker verband durch gleiches Gefühl und gleiche Sprache, und was sonst noch von ihren Apologeten hervorgerühmt wird, das ist sogar noch unbedeutend in Vergleichung mit jener großen Tröstung, die sie durch sich selbst den Menschen angedeihen lassen. Ewiger Ruhm gebührt dem Symbol jenes leidenden Gottes, des Heilands mit der Dornenkrone, des gekreuzigten Christus, dessen Blut gleichsam der lindernde Balsam war, der in die Wunden der Menschheit herabrann. Besonders der Dichter wird die schauerliche Erhabenheit dieses Symbols mit Ehrfurcht anerkennen. Das ganze System von Symbolen, die sich ausgesprochen in der Kunst und im Leben des Mittelalters, wird zu allen Zeiten die Bewunderung der Dichter erregen. In der Tat, welche kolossale Konsequenz in der christlichen Kunst, namentlich in der Architektur! Diese gotischen Dome, wie stehen sie im Einklang mit dem Kultus, und wie offenbart sich in ihnen die Idee der Kirche selber! Alles strebt da empor, alles transsubstanziiert sich: der Stein sproßt aus in Ästen und Laubwerk und wird Baum; die Frucht des Weinstocks und der Ähre wird Blut und Fleisch; der Mensch wird Gott; Gott wird reiner Geist! Ein ergiebiger, unversiegbar kostbarer Stoff für die Dichter ist das christliche Leben im Mittelalter. Nur durch das Christentum konnten auf dieser Erde sich Zustände bilden, die so kecke Kontraste, so bunte Schmerzen und so abenteuerliche Schönheiten enthalten, daß man meinen sollte, dergleichen habe niemals in der Wirklichkeit existiert und das alles sei ein kolossaler Fiebertraum, es sei der Fiebertraum eines wahnsinnigen Gottes. Die Natur selber schien sich damals phantastisch zu vermummen; indessen, obgleich der Mensch, befangen in abstrakten Grübeleien, sich verdrießlich von ihr abwendete, so weckte sie ihn doch manchmal mit einer Stimme, die so schauerlich süß, so entsetzlich liebevoll, so zaubergewaltig war, daß der Mensch unwillkürlich aufhorchte und lächelte und erschrak und gar zu Tode erkrankte. Die Geschichte von der Baseler Nachtigall kommt mir hier ins Gedächtnis, und da ihr sie wahrscheinlich nicht kennt, so will ich sie erzählen.

Im Mai 1433, zur Zeit des Konzils, ging eine Gesellschaft Geistlicher in einem Gehölze bei Basel spazieren, Prälaten und Doktoren, Mönche von allen Farben, und sie disputierten über theologische Streitigkeiten und distinguierten und argumentierten oder stritten über Annaten, Exspektativen und Reservationen oder untersuchten, ob Thomas von Aquino ein größerer Philosoph sei als Bonaventura, was weiß ich! Aber plötzlich, mitten in ihren dogmatischen und abstrakten Diskussionen, hielten sie inne und blieben wie angewurzelt stehen vor einem blühenden Lindenbaum, worauf eine Nachtigall saß, die in den weichsten und zärtlichsten Melodien jauchzte und schluchzte. Es ward den gelehrten Herren dabei so wunderselig zumute, die warmen Frühlingstöne drangen ihnen in die scholastisch verklausulierten Herzen, ihre Gefühle erwachten aus dem dumpfen Winterschlaf, sie sahen sich an mit staunendem Entzücken; – als endlich einer von ihnen die scharfsinnige Bemerkung machte, daß solches nicht mit rechten Dingen zugehe, daß diese Nachtigall wohl ein Teufel sein könne, daß dieser Teufel sie mit seinen holdseligen Lauten von ihren christlichen Gesprächen abziehen und zu Wollust und sonstig süßen Sünden verlocken wolle, und er hub an zu exorzieren, wahrscheinlich mit der damals üblichen Formel: adjuro te per eum, qui venturus est, judicare vivos et mortuos etc. etc. Bei dieser Beschwörung, sagt man, habe der Vogel geantwortet: „Ja, ich bin ein böser Geist!“ und sei lachend davongeflogen; diejenigen aber, die seinen Gesang gehört, sollen noch selbigen Tages erkrankt und bald darauf gestorben sein.

Diese Geschichte bedarf wohl keines Kommentars. Sie trägt ganz das grauenhafte Gepräge einer Zeit, die alles, was süß und lieblich war, als Teufelei verschrie. Die Nachtigall sogar wurde verleumdet, und man schlug ein Kreuz, wenn sie sang. Der wahre Christ spazierte mit ängstlich verschlossenen Sinnen, wie ein abstraktes Gespenst, in der blühenden Natur umher. Dieses Verhältnis des Christen zur Natur werde ich vielleicht in einem späteren Buche weitläufiger erörtern, wenn ich, zum Verständnis der neuromantischen Literatur, den deutschen Volksglauben gründlich besprechen muß. Vorläufig kann ich nur bemerken, daß französische Schriftsteller, mißleitet durch deutsche Autoritäten, in großem Irrtume sind, wenn sie annehmen, der Volksglauben sei während des Mittelalters überall in Europa derselbe gewesen. Nur über das gute Prinzip, über das Reich Christi, hegte man in ganz Europa dieselben Ansichten; dafür sorgte die römische Kirche, und wer hier von der vorgeschriebenen Meinung abwich, war ein Ketzer. Aber über das böse Prinzip, über das Reich des Satans, herrschten verschiedene Ansichten in den verschiedenen Ländern, und im germanischen Norden hatte man ganz andere Vorstellungen davon wie im romanischen Süden. Dieses entstand dadurch, daß die christliche Priesterschaft die vorgefundenen alten Nationalgötter nicht als leere Hirngespinste verwarf, sondern ihnen eine wirkliche Existenz einräumte, aber dabei behauptete, alle diese Götter seien lauter Teufel und Teufelinnen gewesen, die durch den Sieg Christi ihre Macht über die Menschen verloren und sie jetzt durch Lust und List zur Sünde verlocken wollen. Der ganze Olymp wurde nun eine luftige Hölle, und wenn ein Dichter des Mittelalters die griechischen Göttergeschichten noch so schön besang, so sah der fromme Christ darin doch nur Spuk und Teufel. Der düstere Wahn der Mönche traf am härtesten die arme Venus; absonderlich diese galt für eine Tochter Beelzebubs, und der gute Ritter Tannhüser sagt ihr sogar ins Gesicht:

Oh, Venus, schöne Fraue mein,
Ihr seid eine Teufelinne!

Den Tannhüser hatte sie nämlich verlockt in jene wunderbare Höhle, welche man den Venusberg hieß und wovon die Sage ging, daß die schöne Göttin dort mit ihren Fräulein und Gesponsen, unter Spiel und Tänzen, das lüderlichste Leben führe. Die arme Diana sogar, trotz ihrer Keuschheit, war vor einem ähnlichen Schicksal nicht sicher, und man ließ sie nächtlich mit ihren Nymphen durch die Wälder ziehen, und daher die Sage von dem wütenden Heer, von der Wilden Jagd. Hier zeigt sich noch ganz die gnostische Ansicht von der Verschlechterung des ehemals Göttlichen, und in dieser Umgestaltung des früheren Nationalglaubens manifestiert sich am tiefsinnigsten die Idee des Christentums.

Der Nationalglaube in Europa, im Norden noch viel mehr als im Süden, war pantheistisch, seine Mysterien und Symbole bezogen sich auf einen Naturdienst, in jedem Elemente verehrte man wunderbare Wesen, in jedem Baume atmete eine Gottheit, die ganze Erscheinungswelt war durchgöttert; das Christentum verkehrte diese Ansicht, und an die Stelle einer durchgötterten Natur trat eine durchteufelte. Die heiteren, durch die Kunst verschönerten Gebilde der griechischen Mythologie, die mit der römischen Zivilisation im Süden herrschte, hat man jedoch nicht so leicht in häßliche, schauerliche Satanslarven verwandeln können wie die germanischen Göttergestalten, woran freilich kein besonderer Kunstsinn gemodelt hatte und die schon vorher so mißmütig und trübe waren wie der Norden selbst. Daher hat sich bei euch, in Frankreich, kein so finsterschreckliches Teufelstum bilden können wie bei uns, und das Geister- und Zauberwesen selber erhielt bei euch eine heitere Gestalt. Wie schön, klar und farbenreich sind eure Volkssagen in Vergleichung mit den unsrigen, diesen Mißgeburten, die aus Blut und Nebel bestehen und uns so grau und grausam angrinsen. Unsere mittelalterlichen Dichter, indem sie meistens Stoffe wählten, die ihr, in der Bretagne und in der Normandie, entweder ersonnen oder zuerst behandelt habt, verliehen ihren Werken, vielleicht absichtlich, soviel als möglich von jenem heiter altfranzösischen Geiste. Aber in unseren Nationaldichtungen und in unseren mündlichen Volkssagen blieb jener düster nordische Geist, von dem ihr kaum eine Ahnung habt. Ihr habt, ebenso wie wir, mehrere Sorten von Elementargeistern, aber die unsrigen sind von den eurigen so verschieden wie ein Deutscher von einem Franzosen. Die Dämonen in euren Fabliaux und Zauberromanen, wie hellfarbig und besonders wie reinlich sind sie in Vergleichung mit unserer grauen und sehr oft unflätigen Geisterkanaille. Eure Feen und Elementargeister, woher ihr sie auch bezogen, aus Cornwallis oder aus Arabien, sie sind doch ganz naturalisiert, und ein französischer Geist unterscheidet sich von einem deutschen, wie etwa ein Dandy, der mit gelben Glacéhandschuhen auf dem Boulevard Coblence flaniert, sich von einem schweren deutschen Sackträger unterscheidet. Eure Nixen, z.B. die Melusine, sind von den unsrigen ebenso verschieden wie eine Prinzessin von einer Wäscherin. Die Fee Morgana, wie würde sie erschrecken, wenn sie etwa einer deutschen Hexe begegnete, die nackt, mit Salben beschmiert und auf einem Besenstiel nach dem Brocken reitet. Dieser Berg ist kein heiteres Avalon, sondern ein Rendezvous für alles, was wüst und häßlich ist. Auf dem Gipfel des Bergs sitzt Satan in der Gestalt eines schwarzen Bocks. Jede von den Hexen naht sich ihm mit einer Kerze in der Hand und küßt ihn hinten, wo der Rücken aufhört. Nachher tanzt die verruchte Schwesterschaft um ihn herum und singt: „Donderemus, Donderemus!“ Es meckert der Bock, es jauchzt der infernale Chahut. Es ist ein böses Omen für die Hexe, wenn sie bei diesem Tanze einen Schuh verliert; das bedeutet, daß sie noch im selbigen Jahr verbrannt wird. Doch alle ahnende Angst übertäubt die tolle echtberliozische Sabbatmusik; – und wenn die arme Hexe des Morgens aus ihrer Berauschung erwacht, liegt sie nackt und müde in der Asche, neben dem verglimmenden Herde.

Die beste Auskunft über diese Hexen findet man in der „Dämonologie“ des ehrenfesten und hochgelahrten Doktor Nicolai Remigii, des durchlauchtigsten Herzogs von Lothringen Kriminalrichter. Dieser scharfsinnige Mann hatte fürwahr die beste Gelegenheit, das Treiben der Hexen kennenzulernen, da er in ihren Prozessen instruierte und zu seiner Zeit allein in Lothringen achthundert Weiber den Scheiterhaufen bestiegen, nachdem sie der Hexerei überwiesen worden. Diese Beweisführung bestand meistens darin: Man band ihnen Hände und Füße zusammen und warf sie ins Wasser. Gingen sie unter und ersoffen, so waren sie unschuldig, blieben sie aber schwimmend über dem Wasser, so erkannte man sie für schuldig, und sie wurden verbrannt. Das war die Logik jener Zeit.

Als Grundzug im Charakter der deutschen Dämonen sehen wir, daß alles Idealische von ihnen abgestreift, daß in ihnen das Gemeine und Gräßliche gemischt ist. Je plump vertraulicher sie an uns herantreten, desto grauenhafter ihre Wirkung. Nichts ist unheimlicher als unsere Poltergeister, Kobolde und Wichtelmännchen. Prätorius in seinem „Anthropodemus“ enthält in dieser Beziehung eine Stelle, die ich nach Dobeneck hier mitteile:

„Die Alten haben nicht anders von den Poltergeistern halten können, als daß es rechte Menschen sein müssen, in der Gestalt wie kleine Kinder, mit einem bunten Röcklein oder Kleidchen. Etliche setzen dazu, daß sie teils Messer in den Rücken haben sollen, teils noch anders und gar greulich gestaltet wären; nachdem sie so und so, mit diesem oder jenem Instrument vorzeiten umgebracht seien. Denn die Abergläubischen halten dafür, daß es derer vorweilen im Hause ermordeten Leute Seelen sein sollen. Und schwatzen sie von vielen Historien, daß, wenn die Kobolde denen Mägden und Köchinnen eine Weile im Hause gute Dienste getan und sich ihnen beliebt gemacht haben; daß manches Mensch daher gegen die Kobolde eine solche Affektion bekommen, daß sie solche Knechtchen auch zu sehen inbrünstig gewünscht und von ihnen begehrt haben: worin aber die Poltergeister niemals gerne willigen wollen, mit der Ausrede, daß man sie nicht sehen könne, ohne sich darüber zu entsetzen. Doch wenn dennoch die lüsternen Mägde nicht haben nachlassen können, so sollen die Kobolde jenen einen Ort im Hause benannt haben, wo sie sich leibhaft präsentieren wollen; aber man müsse zugleich einen Eimer kaltes Wasser mitbringen. Da habe es sich denn begeben, daß ein solcher Kobold, etwa auf dem Boden, in einem Kissen, nackt gelegen und ein großes Schlachtmesser im Rücken steckend gehabt habe. Hierüber manche Magd so sehr erschrocken war, daß sie eine Ohnmacht bekommen hat. Darauf das Ding alsbald aufgesprungen ist, das Wasser genommen und das Mensch damit über und über begossen hat, damit sie wieder zu sich selbst kommen könne. Worauf die Mägde hernach ihre Lust verloren und lieb Chimgen niemals weiter zu schauen begehrt haben. Die Kobolde nämlich sollen auch alle besondere Namen führen, insgemein aber Chim heißen. So sollen sie auch für die Knechte und Mägde, welchen sie sich etwa ergeben, alle Hausarbeit tun: die Pferde striegeln, füttern, den Stall ausmisten, alles aufscheuern, die Küche sauber halten und, was sonsten im Hause zu tun ist, sehr wohl in acht nehmen, und das Vieh soll auch von ihnen zunehmen und gedeihen. Dafür müssen die Kobolde auch von dem Gesinde karessiert werden; daß sie ihnen nur im geringsten nichts zuleide tun, weder mit Auslachen oder Versäumung im Speisen. Hat nämlich eine Köchin das Ding zu ihrem heimlichen Gehülfen einmal im Hause angenommen, so muß sie täglich um eine gewisse Zeit und an einem bestimmten Ort im Hause sein bereitetes Schüsselchen voll gutes Essen hinsetzen und ihren Weg wieder gehen; sie kann hernach immer faulenzen, auf den Abend zeitig schlafen gehen, sie wird dennoch frühmorgens ihre Arbeit beschickt finden. Vergißt sie aber ihre Pflicht einmal, etwa die Speise unterlassend, so bleibt ihr wieder ihre Arbeit allein zu verrichten, und sie hat allerhand Mißgeschick: daß sie sich entweder im heißen Wasser verbrennt, die Töpfe und das Geschirr zerbricht, das Essen umgeschüttet oder gefallen ist usw., daß sie also notwendig von der Hausfrau oder dem Herrn zur Strafe ausgescholten werden; worüber man auch zum öftern den Kobold soll kichern oder lachen gehört haben. Und so ein Kobold soll stets in seinem Hause verblieben sein, wenngleich sich das Gesinde verändert hat. Ja, es hat eine abziehende Magd ihrer Nachfolgerin den Kobold rekommandieren und aufs beste anbefehlen müssen, daß jene seiner auch also wartete. Hat diese nun nicht gewollt, so hat es ihr auch an kontinuierlichem Unglück nicht gemangelt, und sie hat zeitig genug das Haus wieder räumen müssen.“

Vielleicht zu den grauenhaftesten Geschichten gehört folgende kleine Erzählung:

Eine Magd hatte jahrelang einen unsichtbaren Hausgeist bei sich am Herde sitzen, wo sie ihm ein eignes Stättchen eingeräumt und wo sie sich die langen Winterabende hindurch mit ihm unterhielt. Nun bat einmal die Magd das Heinzchen, denn also hieß sie den Geist, er solle sich doch einmal sehen lassen, wie er von Natur gestaltet sei. Aber das Heinzlein weigerte sich dessen. Endlich aber willigte es ein und sagte, sie möchte in den Keller hinabgehen, dort solle sie ihn sehen. Da nimmt die Magd ein Licht, steigt hinab in den Keller, und dort, in einem offenen Fasse, sieht sie ein totes Kindlein in seinem Blute schwimmen. Die Magd hatte aber vor vielen Jahren ein uneheliches Kind geboren und es heimlich ermordet und in ein Faß gesteckt.

Indessen, wie die Deutschen nun einmal sind, sie suchen oft im Grauen selbst ihren besten Spaß, und die Volkssagen von den Kobolden sind manchmal voll ergötzlicher Züge. Besonders amüsant sind die Geschichten von Hüdeken, einem Kobold, der, im zwölften Jahrhundert, zu Hildesheim sein Wesen getrieben und von welchem in unseren Spinnstuben und Geisterromanen soviel die Rede ist. Eine schon oft abgedruckte Stelle aus einer alten Chronik gibt von ihm folgende Kunde:

„Um das Jahr 1132 erschien ein böser Geist eine lange Zeit hindurch vielen Menschen im Bistum Hildesheim in der Gestalt eines Bauern mit einem Hut auf dem Kopfe: weshalb die Bauern ihn in sächsischer Sprache Hüdeken nannten. Dieser Geist fand ein Vergnügen daran, mit Menschen umzugehen, sich ihnen bald sichtbar, bald unsichtbar zu offenbaren, ihnen Fragen vorzulegen und zu beantworten. Er beleidigte niemanden ohne Ursache. Wenn man ihn aber auslachte oder sonst beschimpfte, so vergalt er das empfangene Unrecht mit vollem Maße. Da der Graf Burchard de Luka von dem Grafen Hermann von Wiesenburg erschlagen wurde und das Land des letzteren in Gefahr kam, eine Beute der Rächer zu werden, so weckte der Hüdeken den Bischof Bernhard von Hildesheim aus dem Schlafe und redete ihn mit folgenden Worten an: ‚Stehe auf, Kahlkopf! Die Grafschaft Wiesenburg ist durch Mord verlassen und erledigt und wird also leicht von dir besetzt werden können.‘ Der Bischof versammelte schnell seine Krieger, fiel in das Land des schuldigen Grafen und vereinigte es, mit Bewilligung des Kaisers, mit seinem Stift. Der Geist warnte den genannten Bischof häufig ungebeten vor nahen Gefahren und zeigte sich besonders oft in der Hofküche, wo er mit den Köchen redete und ihnen allerlei Dienste erwies. Da man allmählich mit dem Hüdeken vertraut geworden war, so wagte es ein Küchenjunge, ihn, sooft er erschien, zu necken und ihn sogar mit unreinem Wasser zu begießen. Der Geist bat den Hauptkoch oder den Küchenmeister, daß er dem unartigen Knaben seinen Mutwillen untersagen möchte. Der Meisterkoch antwortete: ‚Du bist ein Geist und fürchtest dich vor einem Buben!‘, worauf Hüdeken drohend erwiderte: ‚Weil du den Knaben nicht strafen willst, so werde ich dir in wenigen Tagen zeigen, wie sehr ich mich vor ihm fürchte.‘ Bald nachher saß der Bube, der den Geist beleidigt hatte, ganz allein schlafend in der Küche. In diesem Zustand ergriff ihn der Geist, erdrosselte ihn, zerriß ihn in Stücken und setzte diese in Töpfen ans Feuer. Da der Koch diesen Streich entdeckte, da fluchte er dem Geist, und nun verdarb Hüdeken am folgenden Tage alle Braten, die am Spieße gesteckt waren, durch das Gift und Blut von Kröten, welches er darüber ausschüttete. Die Rache veranlaßte den Koch zu neuen Beschimpfungen, nach welchen der Geist ihn endlich über eine falsche vorgezauberte Brücke in einen tiefen Graben stürzte. Zugleich machte er die Nacht durch, auf den Mauern und Türmen der Stadt, fleißig die Runde und zwang die Wächter zu einer beständigen Wachsamkeit. Ein Mann, der eine untreue Frau hatte, sagte einst, als er verreisen wollte, im Scherze zu dem Hüdeken: ‚Guter Freund, ich empfehle dir meine Frau, hüte sie sorgfältig.‘ Sobald der Mann entfernt war, ließ das ehebrecherische Weib einen Liebhaber nach dem andern kommen. Allein Hüdeken ließ keinen zu ihr, sondern warf sie alle aus dem Bette auf den Boden hin. Als der Mann von seiner Reise zurückkam, da ging ihm der Geist weit entgegen und sagte zu dem Wiederkehrenden: ‚Ich freue mich sehr über deine Ankunft, damit ich von dem schweren Dienst frei werde, den du mir auferlegt hast. Ich habe deine Frau mit unsäglicher Mühe vor wirklicher Untreue gehütet. Ich bitte dich aber, daß du sie mir nie wieder anvertrauen mögest. Lieber wollte ich alle Schweine in ganz Sachsenland hüten als ein Weib, das durch Ränke in die Arme ihrer Buhlen zu kommen sucht.‘“

Der Genauigkeit wegen muß ich bemerken, daß Hüdekens Kopfbedeckung von dem gewöhnlichen Kostüme der Kobolde abweicht. Diese sind meistens grau gekleidet und tragen ein rotes Käppchen. Wenigstens sieht man sie so im Dänischen, wo sie heutzutage am zahlreichsten sein sollen. Ich war ehemals der Meinung, die Kobolde lebten deshalb so gern in Dänemark, weil sie am liebsten rote „Grütze“ äßen. Aber ein junger dänischer Dichter, Herr Andersen, den ich das Vergnügen hatte diesen Sommer hier in Paris zu sehen, hat mir ganz bestimmt versichert, die Nissen, wie man in Dänemark die Kobolde nennt, äßen am liebsten „Brei“ mit Butter. Wenn diese Kobolde sich mal in einem Hause eingenistet, so sind sie auch nicht so bald geneigt, es zu verlassen. Indessen, sie kommen nie unangemeldet, und wenn sie irgend wohnen wollen, machen sie dem Hausherrn auf folgende Art davon Anzeige: Sie tragen des Nachts allerlei Holzspäne ins Haus, und in die Milchfässer streuen sie Mist von Vieh. Wenn nun der Hausherr diese Holzspäne nicht wieder wegwirft oder wenn er mit seiner Familie von jener beschmutzten Milch trinkt, dann bleiben die Kobolde auf immer bei ihm. Dieses ist manchem sehr mißbehaglich geworden. Ein armer Jütländer wurde am Ende so verdrießlich über die Genossenschaft eines solchen Kobolds, daß er sein Haus selbst aufgeben wollte und seine Siebensachen auf eine Karre lud und damit nach dem nächsten Dorfe fuhr, um sich dort niederzulassen. Unterwegs aber, als er sich mal umdrehte, erblickte er das rotbemützte Köpfchen des Kobolds, der aus einer von den leeren Bütten hervorguckte und ihm freundlich zurief: „wi flütten!“ (wir ziehen aus.)