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Dritter Brief

Berlin, den 7. Juni 1822.

Ich habe eben meinen Galarock, schwarzseidene Hosen und dito Strümpfe angezogen und melde Ihnen allerfeierlichst:

die hohe Vermählung Ihrer königl. Hoheit der Prinzessin Alexandrine mit Sr. königl. Hoheit dem Erbgroßherzoge von Mecklenburg-Schwerin.

Die ausführliche Beschreibung der Hochzeitfeierlichkeiten selbst lasen Sie gewiß schon in der „Vossischen“ oder „Haude- und Spenerschen Zeitung“, und was ich darüber zu sagen habe, wird also sehr wenig sein. Es hat aber auch noch einen andern wichtigen Grund, warum ich sehr wenig darüber sage, und das ist: weil ich wirklich wenig davon gesehen. Da ich oft mehr den Geist als die Notiz referiere, so hat das so sehr viel nicht zu bedeuten. Ich hatte mich auch nicht genug vorbereitet, sehr viele Notizen einzusammeln. Es war freilich schon sehr lange vorher bestimmt, daß am 25. die Vermählung jener hohen Personen stattfinden sollte. Aber man trug sich damit herum, daß solche noch etwas länger aufgeschoben werde, und wahrhaftig, Freitag (den 24.) wollte ich es noch nicht recht glauben, daß schon am andern Tage die Trauung stattfände. Es ging manchem so. Sonnabendmorgen war es nicht sehr lebhaft auf der Straße. Aber auf den Gesichtern lag Eilfertigkeit und geheimnisvolle Erwartung. Herumlaufende Bedienten, Friseure, Schachteln, Putzmacherinnen usw. Ein schöner Tag, nicht sehr schwül; aber die Menschen schwitzten. Gegen sechs Uhr begann das Wagengerassel.

Ich bin kein Adeliger, kein hoher Staatsbeamte und kein Offizier – folglich bin ich nicht courfähig und konnte den Vermählungsfeierlichkeiten auf dem Schlosse selbst nicht beiwohnen. Dennoch ging ich nach dem Schloßhof, um mir wenigstens das ganze courfähige Personal zu beschauen. Ich habe nie soviel prächtige Equipagen beisammen gesehen. Die Bedienten hatten ihre besten Livreen an, und in ihren schreiend hellfarbigen Röcken und kurzen Hosen mit weißen Strümpfen sahen sie aus wie holländische Tulpen. Mancher von ihnen trug mehr Gold und Silber am Leibe als das ganze Hauspersonal des Bürgermeisters von Nordamerika. Aber dem Kutscher des Herzogs von Cumberland gebührt der Preis. Wahrlich, diese Blume der Kutscher auf ihrem Bocke paradieren zu sehen ist schon allein wert, daß man deshalb nach Berlin reist. Was ist Salomo in seiner Königspracht, was ist Harun al Raschid in seinem Kalifenschmuck, ja was ist der Triumphelefant in der „Olympia“ gegen die Herrlichkeit dieses Herrlichen! An minder festlichen Tagen imponiert er schon hinlänglich durch seine echt chinesische Porzellanhaftigkeit, durch die pendulartigen Bewegungen seines gepuderten, schwerbezopften, mit einem dreieckigen Wünschelhütchen bedeckten Kopfes und durch die wunderliche Beweglichkeit seiner Arme beim Pferdelenken. Aber heute trug er ein karmoisinrotes Kleid, das halb Frack halb Überrock war, Hosen von derselben Farbe, alles mit breiten goldnen Tressen besetzt. Sein edles Haupt, kreideweiß gepudert und mit einem unmenschlich großen schwarzen Haarbeutel geziert, war von einem schwarzen Samtkäppchen mit langem Schirm bedeckt. Ganz auf gleiche Weise waren die vier Bedienten gekleidet, die hinten auf dem Wagen standen, sich mit brüderlicher Umschlingung einer an dem andern festhielten und dem gaffenden Publikum vier wackelnde Haarbeutel zeigten. Aber Er trug die gewöhnliche Herrscherwürde im Antlitz, Er dirigierte die sechsspännige Staatskarosse, zerrend zog er die Zügel,

„und rasch hinflogen die Rosse“.

Es war ein furchtbares Menschengewühl auf dem Schloßhofe. Das muß man sagen, die Berlinerinnen sind nicht neugierig. Die zartesten Mägdlein gaben mir Stöße in die Seiten, die ich noch heute fühle. Es war ein Glück, daß ich keine schwangere Frau bin. Ich quetschte mich aber ehrlich durch und gelangte glücklich ins Portal des Schlosses. Der zurückdrängende Polizeibeamte ließ mich durch, weil ich einen schwarzen Rock trug und weil er es mir wohl ansah, daß die Fenster meines Logis mit rotseidenen Gardinen behangen sind. Ich konnte jetzt ganz gut die hohen Herren und Damen aussteigen sehen, und mich amüsierten recht sehr die vornehmen Hofkleider und Hofgesichter. Erstere kann ich nicht beschreiben, weil ich zuwenig Schneidergenie bin, und letztere will ich nicht beschreiben, aus stadtvogteilichen Gründen. Zwei hübsche Berlinerinnen, die neben mir standen, bewunderten mit Enthusiasmus die schönen Diamanten und Goldstickereien und Blumen und Gaze und Atlasse und lange Schleppen und Frisuren. Ich hingegen bewunderte noch mehr die schönen Augen dieser schönen Bewunderinnen und wurde etwas ärgerlich, als mir von hinten jemand freundschaftlich auf die Achsel schlug und mir das rotbäckige Gesichtlein des Kammermusici entgegenleuchtete. Er war in ganz besonderer Bewegung und hüpfte wie ein Laubfrosch. „Carissime“, quäkte er, „sehen Sie dort die schöne Komtesse? Zypressenwuchs, Hyazinthenlocken, der Mund ist Ros’ und Nachtigall zu gleicher Zeit, die ganze Frau ist eine Blume, und wie eine arme Blume, die zwischen zwei Blättern Löschpapier gepreßt wird, steht sie da zwischen ihren grauen Tanten. Der Herr Gemahl, der solche Blumen statt Disteln verzehrt, um uns glauben zu machen, er sei kein Esel, mußte heute zu Hause bleiben, hat den Schnupfen, liegt auf dem Sofa, ich habe ihn unterhalten müssen, wir schwatzten zwei Stunden lang von der neuen Liturgie, und die Zunge ist mir ordentlich dünner geworden durch das viele Schwatzen, und die Lippen tun mir weh vor lauter Lächeln.“ – Bei diesen Worten zog sich um die Mundwinkel des Kammermusici ein sauerhöfliches Lächeln, das er mit dem feinen Zünglein wieder fortleckte, und plötzlich rief er: „Die Liturgie! die Liturgie! sie wird auf den Flügeln des roten Adlers dritter Klasse von Kirchturm zu Kirchturm fliegen, jusqu’à la tour de Notre-Dame! Doch laßt uns etwas Vernünftiges sprechen – betrachten Sie die beiden geputzten Herren, die eben vorgefahren – ein zerquotschtes, eingemachtes Gesichtchen, ein feines Köpfchen mit weichen, baumwollenen Gedanken, buntgesticke Weste, Galanteriedegen, weißseidene, lächelnde Beinchen, und er parliert Französisch, und wenn man es ins Deutsche übersetzt, ist es eine Dummheit. – Dagegen der andre, der große mit dem Schnurrbart, der Titane, der alle Betthimmel stürmen will! ich wette, er hat soviel Verstand wie der Apoll von Belvedere –“ Um den Räsoneur auf andre Gedanken zu bringen, zeigte ich ihm meinen Barbier, der uns gegenüberstand und seinen neuen altdeutschen Rock angezogen hatte. Kirschbraun wurde jetzt das Gesicht des Kammermusici, und er fletschte mit den Zähnen: „O Sankt Marat! so ein Lump will den Freiheitshelden spielen! O Danton, Callot d’Herbois, Robespierre –“ Vergebens trällerte ich das Liedchen:

„Eine feste Burg, o lieber Gott,
Ist Spandau“ usw.

Vergebens, ich hatte das Ding noch verschlimmert, der Mensch geriet jetzt in seine alten Revolutionsgeschichten und schwatzte von nichts als Guillotinen, Laternen, Septembrisieren, bis mir, zu meinem Glück, seine lächerliche Pulverfurcht in den Sinn kam, und ich sagte ihm: „Wissen Sie auch, daß gleich im Lustgarten zwölf Kanonen losgeschossen werden?“ Kaum hatte ich diese Worte ausgesprochen, und verschwunden war der Kammermusikus.

Ich wischte mir den Angstschweiß aus dem Gesicht, als ich den Kerl vom Halse hatte, sah noch die letzten Aussteigenden, machte meinen schönen Nachbarinnen eine mit einem holden Lächeln akkompagnierte Verbeugung und begab mich nach dem Lustgarten. Da standen wirklich zwölf Kanonen aufgepflanzt, die dreimal losgeschossen werden sollten, in dem Augenblick, wo das fürstliche Brautpaar die Ringe wechseln würde. An einem Fenster des Schlosses stand ein Offizier, der den Kanonieren im Lustgarten das Zeichen zum Abfeuern geben sollte. Hier hatte sich eine Menge Menschen versammelt. Auf ihren Gesichtern waren ganz eigne, fast sich widersprechende Gedanken zu lesen.

Es ist einer der schönsten Züge im Charakter der Berliner, daß sie den König und das königliche Haus ganz unbeschreiblich lieben. Die Prinzen und Prinzessinnen sind hier ein Hauptgegenstand der Unterhaltung in den geringsten Bürgerhäusern. Ein echter Berliner wird auch nie anders sprechen als „unsre“ Charlotte, „unsre“ Alexandrine, „unser“ Prinz Karl usw. Der Berliner lebt gleichsam in die königl. Familie hinein, alle Glieder derselben kommen ihm wie gute Bekannte vor, er kennt den besondern Charakter eines jeden und ist immer entzückt, neue schöne Seiten desselben zu bemerken. So wissen die Berliner zum Beispiel, daß der Kronprinz sehr witzig ist, und deshalb kursiert jeder gute Einfall gleich unter dem Namen des Kronprinzen, und einem Herkules mit der schlagenden Witzkeule werden die Witze aller übrigen Herkulesse zugeschrieben. Sie können sich also vorstellen, wie sehr hier die schöne, leuchtende Alexandrine vom Volke geliebt sein muß; und aus dieser Liebe können Sie sich auch den Widerspruch erklären, der auf den Gesichtern der Berliner lag, als sie erwartungsvoll nach den hohen Schloßfenstern sahen, wo unsre Alexandrine vermählt wurde. Verdruß durften sie nicht zeigen; denn es war der Ehrentag der geliebten Prinzessin. Recht freuen konnten sie sich auch nicht; denn sie verloren dieselbe. Neben mir stand ein Mütterchen, auf dessen Gesicht zu lesen war: „Jetzt habe ich sie zwar verheuratet, aber sie verläßt mich jetzt.“ Auf dem Gesichte meines jugendlichen Nachbars stand: „Als Herzogin von Mecklenburg ist sie doch nicht soviel, wie sie als Königin aller Herzen war.“ Auf den roten Lippen einer hübschen Brünette las ich: „Ach, wär ich schon soweit!“ – Da donnerten plötzlich die Kanonen, die Damen zuckten zusammen, die Glocken läuteten, Staub- und Dampfwolken erhoben sich, die Jungen schrien, die Leute trabten nach Hause, und die Sonne ging blutrot unter hinter Monbijou.

Besonders lärmig waren die Vermählungsfeierlichkeiten nicht. Den Morgen nach der Trauung wohnten die hohen Neuvermählten dem Gottesdienste in der Domkirche bei. Sie fuhren in der achtspännigen goldnen Kutsche mit großen Glasfenstern und wurden von einer gewaltigen Menschenmenge bestaunt. Wenn ich nicht irre, trugen die obigen Bedienten an diesem Tage keine Haarbeutel. Des Abends war Gratulationscour und hierauf Polonäsenball im Weißen Saale. Den 27. war Mittagstafel im Rittersaale, und des Abends verfügten sich die hohen und höchsten Personen nach dem Opernhause, wo die von Spontini zu diesem Feste eigens komponierte Oper „Nurmahal oder das Rosenfest in Kaschemir“ gegeben wurde. Es kostete den meisten Leuten viele Mühe, Billetts zu dieser Oper zu erlangen. Ich bekam eins geschenkt; aber ich ging doch nicht hin. Ich hätte es zwar tun sollen, um Ihnen darüber zu referieren. Aber glauben Sie, daß ich mich für meine Korrespondenz aufopfern soll? Mit Grausen denke ich noch an die „Olympia“, der ich kürzlich, aus einem besondern Grunde, nochmals beiwohnen mußte und die mich mit fast zerschlagenen Gliedern entließ. Ich bin aber zum Kammermusikus gegangen und fragte ihn, was an der Oper sei. Der antwortete: „Das Beste dran ist, daß kein Schuß drin vorkömmt.“ Doch kann ich mich hierin auf den Kammermusikus nicht verlassen; denn erstens komponiert er auch, und nach seiner Meinung besser als Spontini, und zweitens hat man ihm weisgemacht, daß letzterer eine Oper mit obligaten Kanonen schreiben wolle. Man spricht aber überhaupt nicht viel Gutes von der „Nurmahal“. Ein Meisterstück kann sie nicht sein. Spontini hat viele Musikstücke seiner ältern Oper hineingeflickt. Dadurch enthält diese Oper freilich sehr gute Stellen, aber das Ganze hat ein zusammengestoppeltes Ansehn und entbehrt jene Konsequenz und Einheit, die das Hauptverdienst der übrigen Spontinischen Opern ist. – Die hohen Neuvermählten wurden mit allgemeinem Aufjauchzen empfangen. Die Pracht, die in diesem Stücke eingewebt ist, soll unvergleichlich sein. Der Dekorationsmaler und der Theaterschneider haben sich selbst übertroffen. Der Theaterdichter hat die Verse gemacht, folglich müssen sie gut sein. Elefanten sind keine zum Vorschein gekommen. Die „Staatszeitung“ vom 4. Juni rügt einen Artikel der „Magdeburger Zeitung“, worin stand, daß zwei Elefanten in der neuen Oper erscheinen sollten, und bemerkt mit shakespeareschem Witze: „Diese Elefanten sollen sich vorgeblich noch in Magdeburg verhalten.“ Hat die „Magdeburger Zeitung“ diese Notiz aus meinem zweiten Briefe geschöpft, so bedauere ich mit tiefem Seelenschmerz, daß ich Unglücklicher ihr diesen Witzblitz zugezogen. Ich widerrufe, und zwar mit so de- und wehmütiger Gebärde, daß die „Staatszeitung“ Tränen der Rührung weinen soll. Überhaupt erkläre ich ein für allemal, daß ich bereit bin, alles zu widerrufen, was man von mir verlangt; nur darf es mir nicht viele Mühe kosten. Daß zwei Elefanten im „Rosenfest“ vorkommen würden, hatte ich wirklich selbst gehört. Nachher sagte man mir, es wären nur zwei Kamele, später hieß es, zwei Studenten kämen drin vor, und endlich sollten es Unschuldsengel sein. – Den 28. war Freiredoute. Schon um halb neun fuhren Masken nach dem Opernhause. – Ich habe im vorigen Briefe eine hiesige Redoute beschrieben. Sie unterschied sich diesmal nur dadurch, daß keine schwarze Dominos zugelassen wurden, daß alle Anwesende in Schuhen waren, daß man sich um ein Uhr im Saale demaskieren konnte und daß die Einlaßbillette und Erfrischungen gratis gegeben wurden. Letzteres war wohl die Hauptsache. Wenn ich nicht den festen Glauben in der Brust trüge, daß die Berliner Muster von Bildung und feinem Betragen sind und mit Recht auf die Ungeschliffenheit meiner Landsleute verächtlich herabschauen; wenn ich mich nicht bei vielen Gelegenheiten überzeugt hätte, daß der powerste Berliner es im anständigen Hungerleiden sehr weit gebracht hat und meisterhaft darauf eingeübt ist, den schreienden Magen in die Formen vornehmer Konvenienz einzuzwängen: so hätte ich von den Leuten hier sehr leicht eine ungünstige Meinung fassen können, als ich bei dieser Freiredoute sah, wie sie das Büfett sechs Mann hoch umdrängten, sich Glas nach Glas in den Schlund gossen, sich den Magen mit Kuchen anstopften, und das alles mit einer ungraziösen Gefräßigkeit und heroischen Beharrlichkeit, daß es einem ordentlichen Menschenkinde fast unmöglich war, jene Büfettphalanx zu durchbrechen, um, bei der Schwüle, die im Saale herrschte, mit einem Glase Limonade die Zunge zu kühlen. Der König und der ganze Hof waren auf dieser Redoute. Der Anblick der Neuvermählten entzückte alle Anwesende. Sie glänzte mehr durch ihre Liebenswürdigkeit als durch ihren reichen Diamantenschmuck. Unser König trug ein bläulich dunkles Domino. Die Prinzen trugen meistens altspanische und ritterliche Tracht.

Ich habe längst bemerkt, daß über die Rangordnung, womit ich Ihnen die hiesigen Begebnisse melde, bloß meine Laune entscheidet und nicht die Anciennität. Wollte ich letzterer folgen, so hätte ich meinen Brief mit Geheimrat Heims Jubiläum anfangen müssen. Aus den Zeitungen werden Sie hinlänglich erfahren haben, wie man hier diesen verdienten Arzt gefeiert. Zwei ganze Tage sprach man davon in Berlin; das will viel sagen. Überall hörte man Anekdoten aus Heims Leben erzählen, von denen einige höchst ergötzlich sind. Die drolligste derselben schien mir die Art, wie er seinen Kutscher mystifiziert, als ihm derselbe einstmals erklärte, er habe ihn jetzt so lange Zeit schon herumgefahren, er wünsche jetzt auch Arzt zu werden und das Kurieren zu lernen. Mehrere andre Dienstjubiläen fanden ebenfalls statt, und bei Jagor sprangen die Stöpsel der Champagnerflaschen. Überhaupt, ehe man sich dessen versieht, haben die Leute hier fünfzig Jahre abgedient. Das tut das Klima. – Auch eine Dienstmagd hat ihr Jubiläum gehalten, und in der „Eleganten“ ist zu lesen, wie die Jubelmagd gefeiert und besungen wurde. Sogar eine Matrone aus der Unschuldsgasse hat, wie ich gestern höre, ihr Jubiläum gefeiert. Sie wurde mit Rosen und Lilien bekränzt; ein gefühlvoller Portepeejüngling überreichte ihr ein Kraftsonett, ganz im Geist der gewöhnlichen Jubelpoesie, worin Liebe, Triebe, riebe, schiebe sich reimten, und zwölf Jungfrauen sangen:

„Du Schwert an meiner Linken,
Was soll dein heitres Blinken?“ usw. usw.

Sie sehen, Theodor Körners Gedichte werden noch immer gesungen. Freilich nicht in den Kreisen des guten Geschmacks, wo man es sich schon laut gestanden, daß es ein besonderes Glück war, daß Anno 1814 die Franzosen kein Deutsch verstanden und nicht lesen konnten jene faden, schalen, flachen, poesielosen Verse, die uns gute Deutsche so sehr enthusiasmierten. Aber diese Befreiungsverse werden noch oft deklamiert und gesungen in jenen gemütlichen Kränzchen, wo man sich des Winters wärmt an dem unschuldigen Strohfeuer, das in diesen patriotischen Liedern knistert, und wie der greise Schimmel des großen Friedrichs wieder jugendlich sich bäumte und das ganze Manöver machte, wenn er eine Trompete hörte, so steigt das Hochgefühl mancher Berlinerin, wenn sie ein Körnersches Lied hört; sie legt die Hand graziöse auf den Busen, quietscht einen bodenlosen Wonneseufzer, erhebt sich mutig wie Johanna von Montfaucon und spricht: „Ich bin eine deutsche Jungfrau.“

Ich merke, mein Lieber, Sie sehen mich etwas sauer an wegen des bittern, spottenden Tones, womit ich zuweilen von Dingen spreche, die andern Leuten teuer sind und teuer sein sollen. Ich kann aber nicht anders. Meine Seele glüht zu sehr für die wahre Freiheit, als daß mich nicht der Unmut ergreifen sollte, wenn ich unsere winzigen, breitschwatzenden Freiheitshelden in ihrer aschgrauen Armseligkeit betrachte; in meiner Seele lebt zu sehr Liebe für Deutschland und Verehrung deutscher Herrlichkeit, als daß ich einstimmen könnte in das unsinnige Gewäsche jener Pfenningsmenschen, die mit dem Deutschtume kokettieren; und zu mancher Zeit regt sich in mir fast krampfhaft das Gelüste, mit kühner Hand der alten Lüge den Heiligenschein vom Kopfe zu reißen und den Löwen selbst an der Haut zu zerren – weil ich einen Esel darunter vermute.

Vom Schauspiel will ich Ihnen auch diesmal wenig schreiben. Der Komiker Walter hat hier einigen Beifall gehabt; was mich betrifft, so kann ich seinen Humor nicht goutieren. Dagegen hat mich Lebrun aus Hamburg, der hier vor kurzem einige Gastrollen gab, wahrhaft entzückt. Er ist einer unserer besten deutschen Komiker, unübertrefflich in jovialen Rollen, und verdient ganz jenen Beifall, den ihm hier alle Kenner zollten. Karl August Lebrun ist ganz wie zum Schauspieler geboren, die Natur hat ihn mit allen Talenten, die zu diesem Stande gehören, in vollem Maße ausgerüstet, und die Kunst hat dieselben ausgebildet. Aber was soll ich von der Neumann sagen, die alle Berliner bezaubert und sogar die Rezensenten? Was nicht alles ein schönes Gesicht tut! Es ist ein Glück, daß ich kurzsichtig bin, sonst hätte diese Circe mich ebenso in ein graues Tierlein verwandelt wie einen meiner Freunde. Dieser Unglückliche hat jetzt so lange Ohren, daß das eine in der „Vossischen Zeitung“ und das andre in der „Haude- und Spenerschen“ zum Vorschein kömmt. Einige Jünglinge hat diese Dame schon toll gemacht; einer derselben ist schon wasserscheu und macht keine Verse mehr. Jeder fühlt sich glücklich, wenn er der schönen Frau näherkommen kann. Ein Gymnasiast hat sich in dieselbe platonisch verliebt und hat ihr eine kalligraphische Probe seiner Handschrift zugeschickt. Ihr Mann ist auch Schauspieler und glänzte wie Glanzleinen in „Kabiljau und Hiebe“. Die gute Frau muß gewiß vom vielen Zuspruch ihrer Bewunderer belästigt werden. Man erzählt, ein kranker Mann, der neben ihr wohnt, habe keine Ruhe gehabt vor all den Menschen, die jeden Augenblick sein Zimmer aufrissen und fragten: „Wohnt hier Madame Neumann?“, und er habe endlich auf seine Türe schreiben lassen: „Hier wohnt Madame Neumann nicht.“

Man hat sogar die schöne Frau in Eisen gegossen und verkauft kleine eiserne Medaillen, worauf ihr Bildnis geprägt ist. Ich sage Ihnen, der Enthusiasmus für die Neumann grassiert hier wie eine Viehseuche. Während ich diese Zeilen schreibe, fühle ich selbst seine Einflüsse. Mir klingen noch die begeisterten Worte in die Ohren, womit gestern ein Graukopf von ihr sprach. Konnte doch Homer uns die Schönheit Helenas nicht stärker schildern, als indem er zeigt, wie Greise bei ihrem Anblick in Entzücken gerieten. Sehr viele Mediziner machen ebenfalls der schönen Frau den Hof, und man nennt sie hier scherzweise die „Medizinische Venus“. Aber was brauche ich soviel zu erzählen, Sie haben ja gewiß unsere Theaterkritiken genau gelesen und bemerkt, wie sich ordentlich ein Metrum darin bewegt, und zwar das der Sapphischen Ode an die Venus. Ja, sie ist eine Venus oder, wie ein Altonaer Kaufmann sagte, eine Venussin. Nur der vermaledeite Setzer wirft zuweilen einen Wespenstachel in die Schale hymettischen Honigs, die der fromme Rezensent unserer Göttin opfert. Das nachhelfende „Intelligenzblatt“ (der Titel dieses Blattes ist Ironie) berichtigt folgenden Druckfehler: In der Rezension über das Gastspiel der Mad. Neumann Nr. 63 der „Spenerschen Zeitung“ vom 25. Mai muß Zeile 26 statt „von leichtbewegten Minnespiel“ „von leichtbewegten Mienenspiel“ gelesen werden. – Gestern spielte die schöne Frau in Claurens neuem Lustspiele „Der Bräutigam aus Mexiko“. In diesem Stücke gaukelt auf eine höchst anmutige Weise eine leichte, originelle, fast märchenhafte Heiterkeit, die jeden Freund froher Laune ansprechen muß. Dieses Stück hat auch vielen gefallen, so wie überhaupt alles, was aus der Feder dieses Schriftstellers kömmt, hier erstaunlichen Beifall findet. Seine Schriften haben viele Gegner, aber sie erleben eine Auflage nach der andern.

Auf dem Alexanderplatze wird ein Volkstheater errichtet. Ein Mann, der Cerf heißt, hatte ein Privilegium dazu erlangt, ist aber davon abgetreten und bekömmt ein Abtrittsgeld von 3000 Taler jährlich. Der ehemalige Schauspieler Bethmann hat die Leitung übernommen. Wie ich höre, ist dem Professor Gubitz die Direktion des poetischen Teils dieses Theaters angeboten worden. Es wäre zu wünschen, daß sich derselbe diesem Geschäfte unterzöge, da er die Bühne und ihre Ökonomie ganz genau kennt, zu gleicher Zeit berühmt ist als Theaterdichter, Kritiker und Meister der zeichnenden Künste und in dieser Vielseitigkeit alles das verbindet, was zu einer solchen Direktion notwendig wäre. Aber man zweifelt, daß er sie annehmen wird, da die Redaktion des „Gesellschafters“, für den er ganz leibt und lebt, ihn zu sehr beschäftigt. Letzteres Blatt hat großen Absatz, ich glaube über 1500 Exemplare, wird hier mit erstaunlich großem Interesse gelesen und kann wohl das gehaltreichste und beste in ganz Deutschland genannt werden. Gubitz redigiert es mit einem Eifer und einer Gewissenhaftigkeit, die oft an Ängstlichkeit grenzt. Nämlich in seiner Liebe für Korrektheit und Dezenz ist er fast zu streng. Doch denken Sie sich hier keinen Pedanten. Es ist ein Mann in seinen besten Jahren, unbefangen, lebensfreudig, enthusiastisch für alles Herrliche, und auch in seiner Persönlichkeit lebt jener heitre, anakreontische Geist, der in seinen Poesien so charakteristisch hervortritt. – Wir haben hier vor kurzem noch eine Wochenschrift bekommen, die, in der Volkssphäre sich bewegend, vom Leutnant Leithold, der kürzlich seine Reise nach Brasilien herausgegeben, redigiert wird, „Kuriositäten und Raritäten“ betitelt ist und ein naives Motto führt. „Der Beobachter an der Spree“ und „Der märkische Bote“ sind hier die besten Volksblätter. Letzteres ist mehr für die gebildete Klasse. Ich fand mit Verwunderung, daß ein Teil meines zweiten Briefes aus dem „Anzeiger“ darin nochmals abgedruckt war. Ich bin zwar empfindlich für diese Ehre und für das beigefügte Lob, aber ich wäre schier in groß Malheur dadurch gekommen, wenn nicht die hiesige galante Zensur das gestrichen hätte, was ich von den Berlinerinnen gesagt. Wenn diese Engel letzteres gelesen hätten, wären mir die Blumenkörbchen schockweise an den Kopf geflogen. Doch hätte ich mich auch in diesem Falle nicht nach der Hundebrücke verfügt; das schöne Fräulein Fortuna hat mir längst einen so großen eisernen Korb gegeben, daß ich ihn kaum füllen könnte mit den Körbchen aller Damen der Spreestadt. – Eine Schlange, und zwar eine höchst seltene, ist jetzt für acht Groschen zu sehen, Nr. 24 Unter den Linden. Ich bemerke Ihnen bei dieser Gelegenheit, daß ich dort ausgezogen bin. – Blondin mit seiner Gesellschaft gibt vor dem Brandenburger Tore noch immer seine hübschen und vielbesuchten Vorstellungen in der edleren Reitkunst. Er läßt Kolumbus in Otaheiti landen. – Bosco hat endlich auch seine vorletzten, letzten und allerletzten Vorstellungen beendigt und hat auch einige für die Armen gegeben. Man sagt, er ahmte Boucher nach; das ist aber nicht wahr, Boucher hat ihn, den Jongleur, nachgeahmt. – Die Statuen von Bülow und Scharnhorst werden diese Tage an beiden Seiten der Neuen Wache aufgestellt. Sie sind jetzt in Rauchs Atelier zu sehen. Ich habe sie dort schon früher in Augenschein genommen und fand sie schön. Blüchers Bildsäule von Rauch, die in Breslau aufgestellt werden soll, ist jetzt dahin abgegangen. – Die neue Börsenhalle habe ich gesehn. Sie ist herrlich eingerichtet. Eine Menge geräumiger, prächtig dekorierter Zimmer. Alles großartig angelegt. Man sagte mir, daß der edle, kunstsinnige Sohn des großen Mendelssohn, Joseph Mendelssohn, der Schöpfer dieses Instituts sei. Berlin hat lange ein solches entbehrt. Nicht allein Kaufleute, sondern auch Beamte, Gelehrte und Personen aus allen Ständen besuchen die Börsenhalle. – Besonders anziehend ist das Lesezimmer, worin ich über hundert deutsche und ausländische Journale vorfand. Auch unsern „Westfälischen Anzeiger“ sah ich dort. Ein wissenschaftlich gebildeter Mann, Dr. Böhringer, führt die Aufsicht über dieses Zimmer und weiß sich dem Besucher desselben durch zuvorkommende Artigkeit zu verpflichten. – Josty besorgt die Restauration und die Konditorei. Die Aufwärter tragen alle braune Livreen mit goldnen Tressen, und der Portier imponiert besonders durch seinen großen Marschallstab. – Die Bauten Unter den Linden, wodurch die Wilhelmstraße verlängert wird, haben raschen Fortgang. Es werden herrliche Säulengänge. Diese Tage wurde auch der Grundstein zu der neuen Brücke gelegt. – In der musikalischen Welt ist es sehr still. Es geht der Capitale de la musique wie jeder andern Capitale; man konsumiert in derselben, was in der Provinz produziert wird. Außer dem jungen Felix Mendelssohn, der, nach dem Urteile sämtlicher Musiker, ein musikalisches Wunder ist und ein zweiter Mozart werden kann, wüßte ich unter den hier lebenden Autochthonen Berlins kein einziges Musikgenie aufzufinden. Die meisten Musiker, die sich hier auszeichnen, sind aus der Provinz oder gar Fremde. Es macht mir ein unaussprechliches Vergnügen, hier erwähnen zu müssen, daß unser Landsmann Joseph Klein, der jüngere Bruder des Komponisten, von dem ich in meinem vorigen Briefe sprach, zu den größten Erwartungen berechtigt. Dieser hat vieles komponiert, das von Kennern gelobt wird. Nächstens werden Liederkompositionen von ihm erscheinen, die hier großen Beifall finden und in vielen Gesellschaften gesungen werden. Es liegt eine überraschende Originalität in den Melodien derselben, sie sprechen jedes Gemüt an, und es ist vorauszusehen, daß dieser junge Künstler einst einer der berühmtesten deutschen Komponisten wird. – Spontini verläßt uns auf eine lange Zeit. Er reist nach Italien. Er hat seine „Olympia“ nach Wien geschickt, die aber dort nicht aufgeführt wird, weil sie zu viele Kosten verursache. – Die italienische Buffone haben sich hier nur noch einige Tage aufgehalten. – Unter den Linden sind Wachsfiguren zu sehen. – Auf der Königsstraße, Poststraßenecke, werden wilde Tiere und eine Minerva gezeigt. – Fonks Prozeß ist hier ebenfalls ein Thema der öffentlichen Unterhaltung. Die sehr schön geschriebene Broschüre von Kreuser hat hier zuerst die Aufmerksamkeit auf denselben geleitet. Hierauf kamen noch mehrere Broschüren her, die alle für Fonk sprachen. Hierunter zeichnete sich auch aus das Buch vom Freiherrn v. d. Leyen. Diese Bücher, nebst den in der „Abendzeitung“ und im „Konversationsblatte“ enthaltenen Aufsätzen über den Fonkschen Prozeß und dem Werke des Angeklagten selbst, verbreiteten hier eine günstige Meinung für Fonk. Personen, die auch heimlich gegen Fonk sind, sprechen doch öffentlich für ihn, und zwar aus Mitleiden gegen den Unglücklichen, der schon so viele Jahre gelitten. In einer Gesellschaft erwähnte ich die fürchterliche Lage seines schuldlosen Weibes und die Leiden ihrer rechtschaffenen, geachteten Familie, und wie ich erzählte, man sage, daß der Kölner Pöbel Fonks arme, unmündige Kinder insultiert habe, wurde eine Dame ohnmächtig, und ein hübsches Mädchen fing bitterlich an zu weinen und schluchzte: „Ich weiß, der König begnadigt ihn, wenn er auch verurteilt wird.“ Ich bin ebenfalls überzeugt, daß unser gefühlvoller König sein schönstes und göttlichstes Recht ausüben wird, um so viele gute Menschen nicht elend zu machen; ich wünsche dieses ebenso herzlich wie die Berliner, obschon ich ihre Ansichten über den Prozeß selbst nicht teile. Über letztern habe ich erstaunlich viele Meinungen ins Blaue hinein räsonieren hören. Am gründlichsten sprechen darüber die Herrn, die von der ganzen Sache gar nichts wissen. Mein Freund, der bucklichte Auskultator, meint: wenn er am Rhein wäre, so wollte er die Sache bald aufklären. Überhaupt meint er, das dortige Gerichtsverfahren tauge nichts. „Wozu“, sprach er gestern, „diese Öffentlichkeit? Was geht es den Peter und den Christoph an, ob Fonk oder ein anderer den Cönen umgebracht. Man übergebe mir die Sache, ich zünde mir die Pfeife an, lese die Akten durch, referiere darüber, bei verschlossenen Türen urteilt darüber das Kollegium und schreitet zum Spruch und spricht den Kerl frei oder verurteilt ihn, und es kräht kein Hahn darnach. Wozu diese Jury, diese Gevatter Schneider und Handschuhmacher? Ich glaube, ich, ein studierter Mann, der die Friesische Logik in Jena gehört, der alle seine juristische Kollegien wohl testiert hat und das Examen bestanden, besitze doch mehr Judizium als solche unwissenschaftliche Menschen! Am Ende meint solch ein Mensch wunders, welch höchst wichtige Person er sei, weil soviel von seinem Ja und Nein abhängt! Und das schlimmste ist noch dieser Code Napoléon, dieses schlechte Gesetzbuch, das nicht mal erlaubt, der Magd eine Maulschelle zu geben.“ – Doch ich will den weisen Auskultator nicht weitersprechen lassen. Er repräsentiert eine Menge Menschen hier, die für Fonk sind, weil sie gegen das rheinische Gerichtsverfahren sind. Man mißgönnt dasselbe den Rheinländern und möchte sie gern erlösen von diesen „Fesseln der französischen Tyrannei“, wie einst der unvergeßliche Justus Gruner – Gott habe ihn selig – das französische Gesetz nannte. Möge das geliebte Rheinland noch lange diese Fesseln tragen und noch mit ähnlichen Fesseln belastet werden! Möge am Rhein noch lange blühen jene echte Freiheitsliebe, die nicht auf Franzosenhaß und Nationalegoismus basiert ist, jene echte Kraft und Jugendlichkeit, die nicht aus der Branntweinsflasche quillt, und jene echte Christusreligion, die nichts gemein hat mit verketzerender Glaubensbrunst oder frömmlender Proselytenmacherei.

Bei unserer Universität gibt’s gar nichts Neues, außer daß zweiunddreißig Studenten relegiert worden, wegen unerlaubter Verbindungen. Es ist eine fatale Sache, relegiert zu werden; sogar das bloße Konsiliiertwerden soll sein Unangenehmes haben. Ich glaube aber, daß jenes strenge Urteil gegen die zweiundreißig noch gemildert wird. Ich will durchaus nicht die Verbindungen auf Universitäten verteidigen; sie sind Reste jenes alten Korporationswesens, die ich ganz aus unserer Zeit vertilgt sehen möchte. Aber ich gestehe, daß jene Verbindungen notwendige Folgen sind von unserm akademischen Wesen oder besser Unwesen und daß sie wahrscheinlich nicht eher unterdrückt werden, bis das liebenswürdige und vielbeliebte oxfordische Stallfütterungssystem bei unsern Studenten eingeführt ist. Polnische Studierende sieht man jetzt hier höchstens ein halb Dutzend. Man hatte strenge Untersuchungen gegen sie verfügt. Die meisten sind, wie man sagt, ohne besondere Lust wiederzukommen, von hier abgereist, und ein großer Teil, ich glaube gegen zwanzig, werden noch in unsern Stadtgefängnissen verwahrt. Die meisten davon sind aus dem russischen Polen und sollen sich mit demagogischen Umtrieben gegen ihre Regierung befaßt haben.

Man spricht davon, daß Ludw. Tieck bald hierherkommen und Vorlesungen über den Shakespeare halten werde. Am 31. des vorigen Monats war der Geburtstag des Fürsten Staatskanzlers. Man erwartet hier diese Tage eine hessische Gesandtschaft, die unsere Differenzen mit Hessen, wegen der bekannten Territorialrechtsverletzung, regulieren soll. Eine Kommission ist nach Pommern geschickt, um das dortige Sektenwesen zu untersuchen. Der Wollmarkt hat schon angefangen, und eine Menge Gutsbesitzer sind hier, die ihre Wolle zum Verkauf herbringen und die man hier scherzweise „Woll-(Wohl-)habende“ nennt. Sogar die Straßen bekommen Ambition; die „Letzte Straße“ will jetzt Dorotheenstraße heißen. Man spricht davon, daß dem großen Fritz eine Statue auf dem Opernplatze errichtet werden soll. Der Tänzerfamilie Kobler ist auf der Chaussee bei Blumberg die Bagage verbrannt. Bei dem Bau der neuen Brücke bedient man sich einer Dampfmaschine.

Literarische Notizen gibt es hier in diesem Augenblick sehr wenige, obschon Berlin ihr Hauptmarktplatz ist. In Hinsicht der Gemüse schreite ich mit meiner Zeit vorwärts. Spargel esse ich jetzt keine mehr und esse jetzt Schoten. Aber in der Literatur bin ich noch zurückgeblieben. Ja ich habe noch nicht mal die „falschen Wanderjahre“ gelesen, die soviel Aufsehn gemacht und noch machen. Dieses Buch hat für Westfalen ein besonderes Interesse, da man jetzt allgemein ausspricht, daß unser Landsmann, Dr. Pustkuchen in Lemgo, ihr Verfasser sei. Ich weiß nicht, warum er dieses Buch desavouieren wollte, da es ihm doch gewiß keine Schande macht. Man hatte sich lange den Kopf zerbrochen, wer der Verfasser sei, und nannte allerlei Namen. Der Hofrat Schütz machte öffentlich bekannt, daß er es nicht sei. Den Legationsrat v. Varnhagen nannten einige Stimmen; aber dieser machte dasselbe bekannt. Von letzterm war es auch sehr unwahrscheinlich, da er zu den größten Verehrern Goethes gehört und Goethe sogar in seinem letzten Heft der Zeitschrift „Kunst und Altertum am Rhein“ selbst erklärte, daß Varnhagen ihn tief begriffen und ihn oft über sich selbst belehrt habe. Wahrlich, nächst dem Gefühle, Goethe selbst zu sein, kenne ich kein schöneres Gefühl, als wenn einem Goethe, der Mann, der auf der Höhe des Zeitalters steht, ein solches Zeugnis gibt. – Außerdem spricht man von dem deutschen „Gil Blas“, den Goethe vor vier Wochen herausgegeben. Dieses Buch ist von einem ehemaligen Bedienten geschrieben. Goethe hat es durchgefeilt und mit einer sehr merkwürdigen Vorrede begleitet. Auch hat dieser kräftige Greis, der Ali Pascha unserer Literatur, wieder einen Teil seiner Lebensgeschichte herausgegeben. Diese wird, sobald sie vollständig ist, eins der merkwürdigsten Werke bilden, gleichsam ein großes Zeitepos. Denn diese Selbstbiographie ist auch die Biographie der Zeit. Goethe schildert meistens letztere, und wie sie auf ihn eingewirkt; statt daß andre Selbstbiographen, z.B. Rousseau, bloß ihre leidige Subjektivität im Auge hatten.

Ein Teil von Goethes Biographie wird aber erst nach seinem Tode erscheinen, da er alle seine weimarschen Verhältnisse und besonders die, welche den Großherzog betreffen, darin bespricht. Dieser Nachtrag wird wohl das meiste Aufsehn erregen. Wir werden auch bald Memoiren von Byron erhalten, die aber, wie man sagt, ebenso wie seine Dramen, mehr Gemütschilderung als Handlung enthalten sollen. Die Vorrede zu seinen drei neuen Dramen enthält höchst merkwürdige Worte über unsere Zeit und den Revolutionsstoff, den sie in sich trägt. Man klagt noch sehr über die Gottlosigkeit seiner Gedichte, und der gekrönte Dichter Southey in London nennt Byron und seine Geistesverwandte „die satanische Schule“. Aber Childe Harold schwingt gewaltig die vergiftete Geißel, womit er den armen Laureaten züchtigt. – Eine andere Selbstbiographie erregt hier viel Interesse. Es sind die „Memoiren von Jakob Casanova de Seingalt“, die Brockhaus in einer deutschen Übersetzung herausgibt. Das französische Original ist noch nicht gedruckt, und es schwebt noch ein Dunkel über die Schicksale des Manuskripts. An seiner Echtheit darf man gar nicht zweifeln. Das Fragment sur Casanova in den Werken des Prinzen Charles de Ligne ist ein glaubwürdiges Zeugnis, und dem Buche selbst sieht man gleich an, daß es nicht fabriziert ist. Meiner Geliebten möchte ich es nicht empfehlen, aber allen meinen Freunden. Italienische Sinnlichkeit haucht uns aus diesem Buche schwül entgegen. Der Held desselben ist ein lebenslustiger, kräftiger Venezianer, der mit allen Hunden gehetzt wird, alle Länder durchschwärmt, mit den ausgezeichnetsten Männern in nahe Berührung kommt und in noch weit nähere Berührung mit den Frauen. Es ist keine Zeile in diesem Buche, die mit meinen Gefühlen übereinstimmte, aber auch keine Zeile, die ich nicht mit Vergnügen gelesen hätte. Der zweite Teil soll schon heraus sein, aber er ist hier noch nicht zu bekommen, da, wie ich höre, die Zensur bei dem Brockhausischen Verlag seit gestern wieder in Wirksamkeit getreten ist. – Hier sind in diesem Augenblick wenig gute belletristische Schriften erschienen. Fouqué hat einen neuen Roman herausgegeben, betitelt „Der Verfolgte“. In der poetisierenden Welt geht es hier wie in der musikalischen. An Dichtern fehlt es nicht, aber an guten Gedichten. Nächsten Herbst haben wir doch einiges Gute zu erwarten. Köchy (kein Berliner), der uns vor kurzem eine sehr gehaltreiche Schrift über die Bühne geliefert hat, wird nächstens einen Band Gedichte herausgeben, und aus den Proben, die mir davon zu Gesicht gekommen, bin ich zu den größten Erwartungen berechtigt. Es lebt in denselben ein reines Gefühl, eine ungewöhnliche Zartheit, eine tiefe Innigkeit, die durch keine Bitterkeit getrübt wird, mit einem Worte: echte Poesie. An wahrhaft dramatischen Talenten ist just jetzt kein Überfluß, und ich erwarte viel von v. Uechtritz (kein Berliner), einem jungen Dichter, der mehrere Dramen geschrieben, die von Kennern erstaunlich gerühmt werden. Es wird nächstens eins derselben, „Der heilige Chrysostomus“, in Druck erscheinen, und ich glaube, daß es Aufsehn erregen wird. Ich habe Stellen daraus gehört, die des größten Meisters würdig sind. – Über Hoffmanns „Meister Floh“ versprach ich Ihnen in meinem Vorigen mehreres zu schreiben. Die Untersuchung gegen den Verfasser hat aufgehört. Derselbe kränkelt noch immer. Jenen vielbesprochenen Roman habe ich endlich gelesen. Keine Zeile fand ich darin, die sich auf die demagogischen Umtriebe bezöge. Der Titel des Buches wollte mir anfangs sehr unanständig vorkommen; in Gesellschaft mußten, bei Erwähnung desselben, meine Wangen jungfräulich erröten, und ich lispelte immer: „Hoffmanns Roman, mit Respekt zu sagen.“ Aber in Knigges „Umgang mit Menschen“ (3. Teil, 9. Kapitel: Über die Art, mit Tieren umzugehn; das 10. Kapitel handelt vom Umgang mit Schriftstellern) fand ich eine Stelle, die sich auf den Umgang mit Flöhen bezog und woraus ich ersah, daß letztere nicht so unanständig sind wie „gewisse andre kleine Tiere“, die dieser tiefe Kenner der Menschen und Bestien selbst nicht nennt. Durch dieses humanistische Zitat ist Hoffmann geschützt. Ich berufe mich auf das Lied von Mephistopheles:

Es war einmal ein König,
Der hatt einen großen Floh.

Der Held des Romans ist aber kein Floh, sondern ein Mensch, namens Peregrinus Tyß, der in einem träumerischen Zustande lebt und durch Zufall mit dem Beherrscher der Flöhe zusammentrifft und höchst ergötzliche Gespräche führt. Dieser, Meister Floh genannt, ist ein gar gescheuter Mann, etwas ängstlich, aber doch sehr kriegerisch, und trägt an den dürren Beinen große goldene Stiefel mit diamantenen Sporen, wie auf dem Umschlage des Buches zu sehen ist. Ihn verfolgt eine gewisse Dörtje Elverdink, die, wie man sagt, die Demagogie repräsentieren sollte. Eine schöne Figur ist der Student George Pepusch, der eigentlich die Distel Zeherit ist und einst in Famagusta blühte und der in die Dörtje Elverdink verliebt ist, die aber eigentlich die Prinzessin Gamaheh, die Tochter des Königs Sekakis ist. Die Kontraste, die auf solche Weise der indische Mythos mit der Alltäglichkeit bildet, sind in diesem Buche nicht so pikant wie im „Goldnen Topf“ und in andern Romanen Hoffmanns, worin derselbe naturphilosophische Theatercoup angewandt ist. Überhaupt ist die Gemütswelt, die Hoffmann so herrlich zu schildern versteht, in diesem Romane höchst nüchtern behandelt. Das erste Kapitel desselben ist göttlich, die übrigen sind unerquicklich. Das Buch hat keine Haltung, keinen großen Mittelpunkt, keinen innern Kitt. Wenn der Buchbinder die Blätter desselben willkürlich durcheinandergeschossen hätte, würde man es sicher nicht bemerkt haben. Die große Allegorie, worin am Ende alles zusammenfließt, hat mich nicht befriedigt. Mögen andre sich daran ergötzt haben; ich glaube, daß ein Roman keine Allegorie sein soll. – Die Strenge und Bitterkeit, womit ich über diesen Roman spreche, rührt eben daher, weil ich Hoffmanns frühere Werke so sehr schätze und liebe. Sie gehören zu den merkwürdigsten, die unsere Zeit hervorgebracht. Alle tragen sie das Gepräge des Außerordentlichen. Jeden müssen die „Phantasiestücke“ ergötzen. In den „Elixieren des Teufels“ liegt das Furchtbarste und Entsetzlichste, das der Geist erdenken kann. Wie schwach ist dagegen „The monk“ von Lewis, der dasselbe Thema behandelt. In Göttingen soll ein Student durch diesen Roman toll geworden sein. In den „Nachtstücken“ ist das Gräßlichste und Grausenvollste überboten. Der Teufel kann so teuflisches Zeug nicht schreiben. Die kleinen Novellen, die meistens unter dem Titel „Serapionsbrüder“ gesammelt sind und wozu auch „Klein Zaches“ zu rechnen ist, sind nicht so grell, zuweilen sogar lieblich und heiter. Der „Theaterdirektor“ ist ein ziemlich mittelmäßiger Schelm. In dem „Elementargeist“ ist Wasser das Element, und Geist ist gar keiner drin. Aber „Prinzessin Brambilla“ ist eine gar köstliche Schöne, und wem diese durch ihre Wunderlichkeit nicht den Kopf schwindlicht macht, der hat gar keinen Kopf. Hoffmann ist ganz original. Die, welche ihn Nachahmer von Jean Paul nennen, verstehen weder den einen noch den andern. Beider Dichtungen haben einen entgegengesetzten Charakter. Ein Jean Paulscher Roman fängt höchst barock und burleske an und geht so fort, und plötzlich, ehe man sich dessen versieht, taucht hervor eine schöne, reine Gemütswelt, eine mondbeleuchtete, rötlich blühende Palmeninsel, die, mit all ihrer stillen, duftenden Herrlichkeit, schnell wieder versinkt in die häßlichen, schneidend kreischenden Wogen eines exzentrischen Humors. Der Vorgrund von Hoffmanns Romanen ist gewöhnlich heiter, blühend, oft weichlich rührend, wunderlich geheimnisvolle Wesen tänzeln vorüber, fromme Gestalten schreiten auf und ab, launige Männlein grüßen freundlich und unerwartet, aus all diesem ergötzlichen Treiben grinst hervor eine häßlich verzerrte Alteweiberfratze, die, mit unheimlicher Hastigkeit, ihre allerfatalsten Gesichter schneidet und verschwindet und wieder freies Spiel läßt den verscheuchten muntern Figürchen, die wieder ihre drolligsten Sprünge machen, aber das in unsere Seele getretene katzenjammerhafte Gefühl nicht fortgaukeln können. – Über die Romane anderer hiesiger Schriftsteller will ich in meinen nächsten Briefen sprechen. Alle tragen denselben Charakter. Es ist der Charakter der deutschen Romane überhaupt. Dieser läßt sich am besten auffassen, wenn man sie vergleicht mit den Romanen anderer Nationen, z.B. der Franzosen, der Engländer usw. Da sieht man, wie die äußere Stellung der Schriftsteller den Romanen einer Nation einen eignen Charakter verleiht. Der englische Schriftsteller reiset, mit einer Lords- oder Apostelequipage, schon durch Honorar bereichert oder noch arm, gleichviel, er reiset, stumm und verschlossen beobachtet er die Sitten, die Leidenschaften, das Treiben der Menschen, und in seinen Romanen spiegelt sich ab die wirkliche Welt und das wirkliche Leben, oft heiter (Goldsmith), oft finster (Smollet), aber immer wahr und treu (Fielding). Der französische Schriftsteller lebt beständig in der Gesellschaft, und zwar in der großen, mag er auch noch so dürftig und titellos sein. Fürstes und Fürstinnen kajolieren den Notenabschreiber Jean-Jacques, und im Pariser Salon heißt der Minister Monsieur und die Herzogin Madame. Daher lebt in den Romanen der Franzosen jener leichte Gesellschaftston, jene Beweglichkeit und Feinheit und Urbanität, die man nur im Umgang mit Menschen erlangt, und daher jene Familienähnlichkeit der französischen Romane, deren Sprache immer dieselbe scheint, eben weil sie die gesellschaftliche ist. Aber der arme deutsche Schriftsteller, der, weil er meistens schlecht honoriert wird oder selten Privatvermögen besitzt, kein Geld zum Reisen hat, der wenigstens spät reist, wenn er sich schon in eine Manier hineingeschrieben, der selten einen Stand oder einen Titel hat, der ihm die Gnadenpforten der vornehmen Gesellschaft, die bei uns nicht immer die feine ist, erschleußt, ja der nicht selten einen schwarzen Rock entbehrt, um die Gesellschaft der Mittelklasse zu frequentieren: der arme Deutsche verschließt sich in seiner einsamen Dachstube, faselt eine Welt zusammen, und in einer aus ihm selbst wunderlich hervorgegangenen Sprache schreibt er Romane, worin Gestalten und Dinge leben, die herrlich, göttlich, höchstpoetisch sind, aber nirgends existieren. Diesen phantastischen Charakter tragen alle unsre Romane, die guten und die schlechten, von der frühesten Spieß-, Cramer- und Vulpinszeit bis Arnim, Fouqué, Horn, Hoffmann usw., und dieser Romancharakter hat viel eingewirkt auf den Volkscharakter, und wir Deutschen sind unter allen Nationen am meisten empfänglich für Mystik, geheime Gesellschaften, Naturphilosophie, Geisterkunde, Liebe, Unsinn und – Poesie!