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〈Zwei Abfallsbewegungen〉

Ich habe nun zweier Abfallsbewegungen zu gedenken, welche sich innerhalb der Anhängerschaft der Psychoanalyse vollzogen haben, die erste von ihnen zwischen der Vereinsgründung 1910 und dem Weimarer Kongreß 1911, die zweite nach diesem, so daß sie in München 1913 zutage trat. Die Enttäuschung, welche sie mir bereiteten, wäre zu vermeiden gewesen, wenn man besser auf die Vorgänge bei den in analytischer Behandlung Stehenden geachtet hätte. Ich verstand es nämlich sehr wohl, daß jemand bei der ersten Annäherung an die unliebsamen analytischen Wahrheiten die Flucht ergreifen kann, hatte auch selbst immer behauptet, daß eines jeden Verständnis durch seine eigenen Verdrängungen aufgehalten wird (respektive durch die sie erhaltenden Widerstände), so daß er in seinem Verhältnis zur Analyse nicht über einen bestimmten Punkt hinauskommt. Aber ich hatte es nicht erwartet, daß jemand, der die Analyse bis zu einer gewissen Tiefe verstanden hat, auf sein Verständnis wieder verzichten, es verlieren könne. Und doch hatte die tägliche Erfahrung an den Kranken gezeigt, daß die totale Reflexion der analytischen Erkenntnisse von jeder tieferen Schicht her erfolgen kann, an welcher sich ein besonders starker Widerstand vorfindet; hat man bei einem solchen Kranken durch mühevolle Arbeit erreicht, daß er Stücke des analytischen Wissens begriffen hat und wie seinen eigenen Besitz handhabt, so kann man an ihm doch erfahren, daß er unter der Herrschaft des nächsten Widerstandes alles Erlernte in den Wind schlägt und sich wehrt wie in seinen schönsten Neulingstagen. Ich hatte zu lernen, daß es bei Psychoanalytikern ebenso gehen kann wie bei den Kranken in der Analyse.

Es ist keine leichte oder beneidenswerte Aufgabe, die Geschichte dieser beiden Abfallsbewegungen zu schreiben, denn einerseits fehlen mir dazu die starken persönlichen Antriebe — ich habe weder Dankbarkeit erwartet, noch bin ich in einem wirksamen Ausmaße rachsüchtig —, andererseits weiß ich, daß ich mich hie-bei den Invektiven von wenig rücksichtsvollen Gegnern aussetze und den Feinden der Analyse das heißerwünschte Schauspiel bereite, wie „die Psychoanalytiker sich untereinander zerfleischen“. Ich habe so viel Überwindung daran gesetzt, mich nicht mit den Gegnern außerhalb der Analyse herumzuschlagen, und nun sehe ich mich genötigt, den Kampf mit früheren Anhängern, oder solchen, die es jetzt noch heißen wollen, aufzunehmen. Aber ich habe da keine Wahl; Schweigen wäre Bequemlichkeit oder Feigheit und würde der Sache mehr schaden als die offene Aufdeckung der vorhandenen Schäden. Wer andere wissenschaftliche Bewegungen verfolgt hat, wird wissen, daß ganz analoge Störungen und Mißhelligkeiten auch dort vorzufallen pflegen. Vielleicht daß man sie anderswo sorgfältiger verheimlicht; die Psychoanalyse, die viele konventionelle Ideale verleugnet, ist auch in diesen Dingen aufrichtiger.

Ein anderer, schwer fühlbarer Übelstand liegt darin, daß ich eine analytische Beleuchtung der beiden Gegnerschaften nicht gänzlich vermeiden kann. Die Analyse eignet sich aber nicht zum polemischen Gebrauche; sie setzt durchaus die Einwilligung des Analysierten und die Situation eines Überlegenen und eines Untergeordneten voraus. Wer also eine Analyse in polemischer Absicht unternimmt, muß sich darauf gefaßt machen, daß der Analysierte seinerseits die Analyse gegen ihn wendet und daß die Diskussion in einen Zustand gerät, in welchem die Erweckung von Überzeugung bei einem unparteiischen Dritten ausgeschlossen ist. Ich werde also die Verwendung der Analyse, damit die Indiskretion und die Aggression gegen meine Gegner, auf ein Mindestmaß beschränken und überdies anführen, daß ich keine wissenschaftliche Kritik auf dieses Mittel gründe. Ich habe es nicht mit dem etwaigen Wahrheitsgehalt der zurückzuweisenden Lehren zu tun, versuche keine Widerlegung derselben. Das bleibe anderen berufenen Arbeitern auf dem Gebiete der Psychoanalyse vorbehalten, ist auch zum Teil bereits geschehen. Ich will bloß zeigen, daß — und in welchen Punkten — diese Lehren die Grundsätze der Analyse verleugnen und darum nicht unter diesem Namen behandelt werden sollen. Ich brauche also die Analyse nur dazu, um verständlich zu machen, wie diese Abweichungen von der Analyse bei Analytikern entstehen konnten. An den Ablösungsstellen muß ich allerdings auch mit rein kritischen Bemerkungen das gute Recht der Psychoanalyse verteidigen.