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<Selbstanzeige der Dissertation>

Walter Benjamin, Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik. Neue Berner Abhandlungen zur Philosophie und ihrer Geschichte, herausgegeben von Richard Herbertz. Bd. 5. Bern 1920, Verlag von A. Francke.


Der Gegenstand der Arbeit ist der romantische Begriff der Kunstkritik, dargestellt im Lichte eines metahistorischen d. h. absolut gestellten Problems. Dieses Problem lautet: welchen Erkenntniswert besitzt für die Theorie der Kunst der Begriff ihrer Idee einerseits, der ihres Ideals andrerseits? Unter Idee wird in diesem Zusammenhang das apriori einer Methode verstanden, ihr entspricht dann das Ideal als das apriori des zugeordneten Gehalts. Das genannte Problem selbst kann in der vorliegenden Arbeit nicht eigentlich erörtert werden, es taucht vielmehr erst im Schlußkapitel auf. In einer Vergleichung des Goetheschen Begriffs des Ideals (oder Urphänomens) mit dem romantischen der Idee sucht dieses die reinste Sinn beziehung des philosophie-geschichtlichen Verlaufs auf jenes metahistorisch gestellte Problem klarzulegen. Es heißt da: »Die Frage des Verhältnisses der Goetheschen und der romantischen Kunsttheorie fällt ... zusammen mit der Frage nach dem Verhältnis des reinen Inhalts zur reinen ... Form. In diese Sphäre ist die angesichts des Einzelwerks oft irreführend gestellte und dort niemals genau zu lösende Frage nach dem Verhältnis von Form und Inhalt zu erheben. Denn diese sind nicht Substrate am empirischen Gebilde, sondern relative Unterscheidungen an ihm, auf Grund notwendiger reiner Unterscheidungen der Kunstphilosophie getroffen. Die Idee der Kunst ist die Idee ihrer Form, wie ihr Ideal das Ideal ihres Inhalts ist. Die systematische Grundfrage der Kunstphilosophie läßt sich also auch als die Frage nach dem Verhältnis von Idee und Ideal der Kunst formulieren«. Natur und Kunst sind Kontinuen der Reflexion, Reflexionsmedien. Daher ist »die romantische Theorie des Kunstwerks ... die Theorie seiner Form«. Denn »die begrenzende Natur der Form haben die Frühromantiker mit der Begrenztheit jeder endlichen Reflexion identifiziert und durch diese einzige Erwägung den Begriff des Kunstwerks innerhalb ihrer Anschauungswelt determiniert«. Von dieser Erkenntnis aus wird die Exposition ihrer wichtigsten kunsttheoretischen Begriffe, der Ironie, des Werks, der Kritik unternommen. Für die letztere ergibt sich als Aufgabe die Auslösung und Darstellung der Reflexion über das Werk in diesem selbst. Unter der Voraussetzung nämlich, daß das Kunstwerk ein gleich lebendiges Zentrum der Reflexion ist, erscheint eine Potenzierung dieser Reflexion, welche die Romantiker zugleich als die gesteigerte Selbsterkenntnis des Reflektierenden auffassen, als möglich. Dieser Sachverhalt begründet ihre Theorie der Kritik, welche sich demnach von der heutigen depravierten und richtungslosen Praxis der Kunstkritik nicht nur durch ein hohes Niveau, sondern zugleich durch methodische Besinnung unterscheidet. Diese erlaubt, wie im Verlauf der Darstellung sich zeigt, durchaus eindeutige Merkmale für die echte Kritik aufzustellen. Eine Analyse der romantischen Theorie der Prosa stellt den Zusammenhang her, in welchem die Schätzung des Romans als des Gipfels der Poesie mit der hohen Ausbildung der Kritik, zugleich mit bedeutungsvollen Tendenzen der gegenwärtigen Literatur steht, und führt durch die Darstellung der Prosa als der »Idee der Poesie« zu dem Schlußkapitel »Die frühromantische Kunstkritik und Goethe« über.