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Zwei Gedichte von Friedrich Hölderlin

»Dichtermut« – »Blödigkeit«

Die Aufgabe der folgenden Untersuchung läßt sich in die Ästhetik der Dichtkunst nicht ohne Erklärung einordnen. Diese Wissenschaft als reine Ästhetik hat ihre vornehmsten Kräfte der Ergründung der einzelnen Gattungen der Dichtkunst zugewendet, unter ihnen am häufigsten der Tragödie. Einen Kommentar hat man fast nur den großen Werken der Klassik angedeihen lassen, wo er außerhalb der klassischen Dramatik auftrat ist er wohl in höherem Grade philologisch als ästhetisch gewesen. Es soll hier ein ästhetischer Kommentar zweier lyrischer Dichtungen versucht sein, und diese Absicht verlangt einige Vorbemerkungen über die Methode. Die innere Form, dasjenige, was Goethe als Gehalt bezeichnete, soll an diesen Gedichten aufgewiesen werden. Die dichterische Aufgabe, als Voraussetzung einer Bewertung des Gedichts, ist zu ermitteln. Nicht danach kann die Bewertung sich richten, wie der Dichter seine Aufgabe gelöst habe, vielmehr bestimmt der Ernst und die Größe der Aufgabe selbst die Bewertung. Denn diese Aufgabe wird aus dem Gedichte selbst abgeleitet. Sie ist auch als Voraussetzung der Dichtung zu verstehen, als die geistig-anschauliche Struktur derjenigen Welt, von der das Gedicht zeugt. Diese Aufgabe, diese Voraussetzung soll hier als der letzte Grund verstanden sein, der einer Analysis zugänglich ist. Nichts über den Vorgang des lyrischen Schaffens wird ermittelt, nichts über Person oder Weltanschauung des Schöpfers, sondern die besondere und einzigartige Sphäre, in der Aufgabe und Voraussetzung des Gedichts liegt. Diese Sphäre ist Erzeugnis und Gegenstand der Untersuchung zugleich. Sie selbst kann nicht mehr mit dem Gedicht verglichen werden, sondern ist vielmehr das einzig Feststellbare der Untersuchung. Diese Sphäre, welche für jede Dichtung eine besondere Gestalt hat, wird als das Gedichtete bezeichnet. In ihr soll jener eigentümliche Bezirk erschlossen werden, der die Wahrheit der Dichtung enthält. Diese »Wahrheit«, die gerade die ernstesten Künstler von ihren Schöpfungen so dringend behaupten, soll verstanden sein als Gegenständlichkeit ihres Schaffens, als die Erfüllung der jeweiligen künstlerischen Aufgabe. »Jedes Kunstwerk hat ein Ideal a priori, eine Notwendigkeit bei sich, da zu sein.« (Novalis) Das Gedichtete ist in seiner allgemeinen Form synthetische Einheit der geistigen und anschaulichen Ordnung. Diese Einheit erhält ihre besondere Gestalt als innere Form der besonderen Schöpfung.

Der Begriff des Gedichteten ist ein Grenzbegriff in doppelter Hinsicht. Er ist Grenzbegriff zunächst gegen den Begriff des Gedichts. Das Gedichtete unterscheidet sich als Kategorie ästhetischer Untersuchung von dem Form-Stoff-Schema entscheidend dadurch, daß es die fundamentale ästhetische Einheit von Form und Stoff in sich bewahrt und anstatt beide zu trennen, ihre immanente notwendige Verbindung in sich ausprägt. Dies kann im folgenden, da es sich um das Gedichtete einzelner Gedichte handelt, nicht theoretisch, sondern nur am einzelnen Fall bemerkt werden. Und zu einer theoretischen Kritik des Form- und Stoff-Begriffs in der ästhetischen Bedeutung ist auch hier nicht der Ort. In der Einheit von Form und Stoff teilt also das Gedichtete eines der wesentlichsten Merkmale mit dem Gedicht selbst. Es ist selbst nach dem Grundgesetz des künstlerischen Organismus gebaut. Vom Gedicht unterschieden ist es als ein Grenzbegriff, als Begriff seiner Aufgabe, nicht schlechthin noch durch ein prinzipielles Merkmal. Vielmehr lediglich durch seine größere Bestimmbarkeit: nicht durch einen quantitativen Mangel an Bestimmungen, sondern durch das potentielle Dasein derjenigen, die im Gedicht aktuell vorhanden sind und andrer. Das Gedichtete ist eine Auflockerung der festen funktionellen Verbundenheit, die im Gedichte selbst waltet, und sie kann nicht anders entstehen als durch ein Absehen von gewissen Bestimmungen; indem hierdurch das Ineinandergreifen, die Funktionseinheit der übrigen Elemente sichtbar gemacht wird. Denn es ist durch das aktuelle Dasein aller Bestimmungen das Gedicht derart determiniert, daß es nur noch als solches einheitlich auffaßbar ist. Die Einsicht in die Funktion setzt aber die Mannigfaltigkeit der Verbindungsmöglichkeiten voraus. So besteht die Einsicht in die Fügung des Gedichts in dem Erfassen seiner immer strengeren Bestimmtheit. Auf diese höchste Bestimmtheit im Gedicht hinzuführen, muß das Gedichtete von gewissen Bestimmungen absehen.

Durch dieses Verhältnis zur anschaulichen und geistigen Funktionseinheit des Gedichts zeigt sich das Gedichtete als Grenzbestimmung gegen dieses. Zugleich ist es aber Grenzbegriff gegen eine andere Funktionseinheit, wie denn stets ein Grenzbegriff als Grenze zwischen Begriffen nur möglich ist. Diese andere Funktionseinheit ist nun die Idee der Aufgabe, entsprechend der Idee der Lösung, als welche das Gedicht ist. (Denn Aufgabe und Lösung sind nur in abstracto trennbar.) Diese Idee der Aufgabe ist für den Schöpfer immer das Leben. In ihm liegt die andere extreme Funktionseinheit. Das Gedichtete erweist sich also als Übergang von der Funktionseinheit des Lebens zu der des Gedichts. In ihm bestimmt sich das Leben durch das Gedicht, die Aufgabe durch die Lösung. Es liegt nicht die individuelle Lebensstimmung des Künstlers zum Grunde, sondern ein durch die Kunst bestimmter Lebenszusammenhang. Die Kategorien, in denen diese Sphäre, die Übergangssphäre der beiden Funktionseinheiten, erfaßbar ist, sind noch nicht vorgebildet und haben am nächsten vielleicht eine Anlehnung an die Begriffe des Mythos. Grade die schwächsten Leistungen der Kunst beziehen sich auf das unmittelbare Gefühl des Lebens, die stärksten aber, ihrer Wahrheit nach, auf eine dem Mythischen verwandte Sphäre: das Gedichtete. Das Leben ist allgemein das Gedichtete der Gedichte – so ließe sich sagen; doch je unverwandelter der Dichter die Lebenseinheit zur Kunsteinheit überzuführen sucht, desto mehr erweist er sich als Stümper. Diese Stümperei als »unmittelbares Lebensgefühl«, »Herzenswärme«, als »Gemüt« verteidigt, ja gefordert zu finden, sind wir gewohnt. An dem bedeutenden Beispiel Hölderlins wird deutlich, wie das Gedichtete die Möglichkeit der Beurteilung der Dichtung gibt, als durch den Grad der Verbundenheit und Größe seiner Elemente. Beide Kennzeichen sind untrennbar. Denn je mehr eine schlaffe Ausdehnung des Gefühls die innere Größe und Gestalt der Elemente (die wir annähernd als mythisch bezeichnen) ersetzt, desto geringer wird die Verbundenheit, desto mehr entsteht – sei es ein liebenswertes, kunstloses Naturerzeugnis, sei es ein kunst- und naturfremdes Machwerk. Das Leben liegt als letzte Einheit dem Gedichteten zum Grunde. Je früher aber die Analyse des Gedichts, ohne auf Gestaltung der Anschauung und Konstruktion einer geistigen Welt zu stoßen, auf das Leben selbst als sein Gedichtetes führt, desto – im engeren Sinne – stofflicher, formloser, unbedeutender erweist sich die Dichtung. Während die Analysis der großen Dichtungen nicht zwar auf den Mythos, aber auf eine durch die Gewalt der gegeneinanderstrebenden mythischen Elemente gezeugte Einheit als eigentlichen Ausdruck des Lebens stoßen wird.

Von dieser Natur des Gedichteten als Bezirkes gegen zwei Grenzen zeugt die Methode seiner Darstellung. Ihr kann es nicht um den Nachweis sogenannter letzter Elemente zu tun sein. Denn solche gibt es innerhalb des Gedichteten nicht. Vielmehr ist nichts andres als die Intensität der Verbundenheit der anschaulichen und der geistigen Elemente nachzuweisen und zwar zunächst an einzelnen Beispielen. Aber eben in diesem Nachweis muß sichtbar sein, daß es sich nicht um Elemente, sondern um Beziehungen handelt, wie ja das Gedichtete selbst eine Sphäre der Beziehung von Kunstwerk und Leben ist, deren Einheiten selbst durchaus nicht erfaßbar sind. Das Gedichtete wird sich so als die Voraussetzung des Gedichts, als seine innere Form, als künstlerische Aufgabe zeigen. Das Gesetz, nach dem alle scheinbaren Elemente der Sinnlichkeit und der Ideen sich als Inbegriffe der wesentlichen, prinzipiell unendlichen Funktionen zeigen, wird das Identitätsgesetz genannt. Damit wird die synthetische Einheit der Funktionen bezeichnet. Sie wird in ihrer jeweils besonderen Gestalt als ein Apriori des Gedichts erkannt. Die Ermittelung des reinen Gedichteten, der absoluten Aufgabe, muß nach allem Gesagten das rein methodische, ideelle Ziel bleiben. Das reine Gedichtete würde aufhören Grenzbegriff zu sein: es wäre Leben oder Gedicht. – Ehe die Anwendbarkeit der Methode für die Ästhetik der Lyrik überhaupt, vielleicht auch für fernere Bezirke geprüft ist, verbieten sich weitere Ausführungen. Erst dann kann sich klar ergeben, was Apriori des einzelnen Gedichts, was ein solches des Gedichts überhaupt oder gar andrer Dichtungsarten, oder selbst der Dichtung überhaupt ist. Deutlicher aber wird sich zeigen, daß über lyrische Dichtung das Urteil, wenn nicht zu beweisen, so doch zu begründen ist.

Zwei Gedichte Hölderlins, »Dichtermut« und »Blödigkeit«, wie sie uns aus der Reife- und Spätzeit überkommen sind, werden nach dieser Methode untersucht. Sie wird im Verlaufe die Vergleichbarkeit der Gedichte erweisen. Eine gewisse Verwandtschaft verbindet sie, sodaß man von verschiedenen Fassungen sprechen könnte. Eine Fassung, die zwischen die früheste und späteste gehört (»Dichtermut« zweite Fassung) bleibt als unwesentlicher hier unbesprochen.

Die Betrachtung ergibt für die erste Fassung eine beträchtliche Unbestimmtheit des Anschaulichen und Unverbundenheit im einzelnen. So ist der Mythos des Gedichts vom Mythologischen noch durchwuchert. Das Mythologische erweist sich als Mythos erst in dem Maße seiner Verbundenheit. An der inneren Einheit von Gott und Schicksal ist der Mythos erkennbar. Am Walten der anankê. Ein Schicksal ist Hölderlin in der ersten Fassung seines Gedichtes Gegenstand: der Tod des Dichters. Er besingt die Quellen des Mutes zu diesem Tode. Dieser Tod ist die Mitte, aus der die Welt des dichterischen Sterbens entspringen sollte. Das Dasein in jener Welt wäre der Mut des Dichters. Aber hier ist nur der wachsamsten Ahnung ein Strahl dieser Gesetzlichkeit aus einer Welt des Dichters fühlbar. Schüchtern erhebt sich erst die Stimme, einen Kosmos zu singen, dem der Tod des Dichters den eignen Untergang bedeutet. Der Mythos bildet sich vielmehr aus der Mythologie. Der Sonnengott ist der Ahn des Dichters und sein Sterben ist das Schicksal, an dem der Tod des Dichters, erst gespiegelt, wirklich wird. Eine Schönheit, deren innere Quelle wir nicht kennen, löst die Gestalt des Dichters – kaum minder die des Gottes – auf, anstatt sie zu formen. – Noch begründet sich der Mut des Dichters seltsam aus einer andern, fremden Ordnung. Aus der Verwandtschaft der Lebendigen. Von ihr gewinnt er Verbundenheit mit seinem Schicksal. Was hat dem dichterischen Mut die Volksverwandtschaft zu bedeuten? Nicht fühlbar wird im Gedicht das tiefere Recht, aus dem der Dichter seinem Volk, den Lebendigen, sich anlehnt und ihnen verwandt fühlt. Wir wissen diesen Gedanken einen der tröstenden der Dichter, wissen ihn besonders teuer Hölderlin. Dennoch kann jene Naturverbundenheit allem Volke uns hier nicht begründet sein als Bedingung dichterischen Lebens. Warum feiert – und mit höherem Recht – der Dichter nicht das Odi profanum? Dies darf, muß gefragt werden, wo die Lebendigen noch keine geistige Ordnung begründen. – Höchst erstaunlich greift, mit beiden Armen, der Dichter in fremde Weltordnungen, nach Volk und Gott, seinen eignen, den Mut der Dichter in sich aufzurichten. Aber der Gesang, das Innerliche des Dichters, die bedeutende Quelle seiner Tugend, erscheint, wo er genannt ist, schwach, ohne Gewalt und Größe. Das Gedicht lebt in der griechischen Welt, eine dem Griechischen angenäherte Schönheit belebt es und von der Mythologie der Griechen ist es behrrscht. Das besondere Prinzip griechischer Gestaltung ist aber nicht rein entfaltet. »Denn seitdem der Gesang sterblicher Lippen sich | Friedenatmend entwand, frommend in Leid und Glück | Unsre Weise der Menschen | Herz erfreute ...«. Diese Worte enthalten die Ehrfurcht vor der Gestalt des Dichterischen, die Pindar – und mit ihm den späten Hölderlin – erfüllte, nur sehr geschwächt. Auch die »Sänger des Volks«, jedem »hold«, dienen, so gesehen, nicht, einen anschaulichen Weltgrund diesem Gedicht zu legen. In der Gestalt des sterbenden Sonnengottes bezeugt sich am deutlichsten eine in allen Elementen unbezwungene Zweiheit. Noch spielt die idyllische Natur entgegen der Gestalt des Gottes ihre besondere Rolle. Die Schönheit – anders gesprochen – ist noch nicht restlos Gestalt geworden. Es fließt auch die Vorstellung des Todes nicht aus reinem gestalteten Zusammenhang. Der Tod selbst ist nicht – wie er später verstanden ist – Gestalt in ihrer tiefsten Bindung, er ist Verlöschen des plastischen, heroischen Wesens in der unbestimmten Schönheit der Natur. Raum und Zeit dieses Todes sind noch nicht im Geiste der Gestalt als Einheit entsprungen. Die gleiche Unbestimmtheit des formenden Prinzips, die so stark sich gegen das beschworne Griechentum abhebt, bedroht das ganze Gedicht. Die Schönheit, die fast stimmungsmäßig die schöne Erscheinung des Gesanges der Heiterkeit des Gottes verbindet, diese Vereinzelung des Gottes, dessen mythologisches Schicksal nur eine analogische Bedeutung für den Dichter aufbringt, sie entspringen nicht der Mitte einer gestalteten Welt, deren mythisches Gesetz der Tod wäre. Sondern eine nur schwach gefügte Welt stirbt mit der sinkenden Sonne in Schönheit. Das Verhältnis der Götter und Menschen zur dichterischen Welt, zur raumzeitlichen Einheit, in der sie leben, ist nicht intensiv, auch nicht rein griechisch, durchgestaltet. Es muß völlig erkannt werden, daß das Gefühl des Lebens, eines ausgebreiteten und unbestimmten Lebens, das garnicht konventionsfreie Grundgefühl dieser Dichtung ist, daß also daher die stimmungsvolle Verbindung ihrer in Schönheit vereinzelten Glieder sich herschreibt. Das Leben als unbezweifelte – liebliche vielleicht, vielleicht erhabene – Grundtatsache bestimmt noch (Gedanken auch verschleiernd) diese Welt Hölderlins. Davon zeugt auf seltsame Art auch die sprachliche Bildung des Titels, da eine eigentümliche Unklarheit jene Tugend auszeichnet, der man den Namen ihres Trägers beigibt, uns so auf eine Trübung ihrer Reinheit durch allzugroße Lebensnähe dieser Tugend hinweisend. (Vergl. die Sprachbildung: Weibertreue) Ein fast fremder Klang fällt der Schluß mit Ernst in die Kette der Bilder »Und dem Geiste sein Recht nirgend gebricht«, diese gewaltige Mahnung, die dem Mute entsprungen ist, steht hier allein, und nur die Größe eines Bildes findet aus einer frühern Strophe sich zu ihr »uns ... | Aufgerichtet an goldnen | Gängelbanden, wie Kinder, hält.« Die Verbundenheit des Gottes mit Menschen ist nach starren Rhythmen in ein großes Bild gezwungen. Aber in seiner Vereinzelung vermag es nicht, den Grund jener verbundenen Mächte zu deuten und verliert sich. Erst die Gewalt der Umwandlung wird es deutlich und auszusprechen schicklich machen: das dichterische Gesetz hat sich dieser hölderlinschen Welt noch nicht erfüllt.

Was innerster Zusammenhang jener dichterischen Welt bedeutet, die angedeutet die erste Fassung enthält, und wie Vertiefung die Umwälzung der Struktur bedingt, wie von der gestalteten Mitte her notwendig Gestaltung von Vers zu Vers dringt, dies ergibt die letzte Fassung. Die unanschauliche Lebensvorstellung, ein unmythischer, schicksalloser Lebensbegriff aus einer geistig unbeträchtlichen Sphäre, wurde als bindende Voraussetzung des früheren Entwurfes gefunden. Wo Vereinzelung der Gestalt, Beziehungslosigkeit des Geschehens war, tritt nun die anschaulich-geistige Ordnung, der neue Kosmos des Dichters. Schwer ist es, einen möglichen Zugang zu dieser völlig einheitlichen und einzigen Welt zu gewinnen. Die Undurchdringlichkeit der Beziehungen stellt jedem andern als fühlenden Erfassen sich entgegen. Die Methode verlangt, von Verbundnem von Anfang an auszugehen, um Einsicht in die Fügung zu gewinnen. Vom Gestaltzusammenhange her vergleiche man den dichterischen Aufbau beider Fassungen, so der Mitte der Verbundenheiten langsam zustrebend. Es wurde die unbestimmte Zugehörigkeit von Volk und Gott zu einander (wie auch zum Dichter) früher schon erkannt. Dagegen steht die gewaltige Zugehörigkeit der einzelnen Sphären im letzten Gedicht. Die Götter und die Lebendigen sind im Schicksal des Dichters ehern verbunden. Aufgehoben ist die hergebrachte und einfache Überordnung der Mythologie. Vom Gesang, der sie »der Einkehr zu« führt, ist gesagt, daß er »Himmlischen gleich« Menschen führe – und die Himmlischen selbst. Aufgehoben ist also der eigentliche Grund der Vergleichung, denn der Fortgang sagt: auch die Himmlischen, und sie nicht anders als die Menschen, führt der Gesang. Die Ordnung der Götter und Menschen ist hier – in der Mitte des Gedichts – seltsam gegen einander gehoben, die eine geglichen durch die andere. (Wie zwei Waagschalen: man beläßt sie in ihrer Gegenstellung, doch hebt sie vom Waagebalken.) Damit tritt sehr vernehmlich das formale Grundgesetz des Gedichteten auf, der Ursprung jener Gesetzlichkeit, deren Erfüllung der letzten Fassung das Fundament gibt. Dieses Gesetz der Identität besagt, daß alle Einheiten im Gedicht schon in einer intensiven Durchdringung erscheinen, niemals die Elemente rein erfaßbar sind, vielmehr nur das Gefüge der Beziehungen, in dem die Identität des einzelnen Wesens Funktion einer unendlichen Kette von Reihen ist, in denen das Gedichtete sich entfaltet. Das Gesetz, nach dem sich alle Wesenheiten im Gedichteten als Einheit der prinzipiell unendlichen Funktionen zeigen, ist das Identitätsgesetz. Kein Element kann irgend bezugsfrei sich aus der Intensität der Weltordnung, die im Grunde gefühlt ist, herausheben. An allen einzelnen Fügungen, der innern Form der Strophen und Bilder wird dies Gesetz sich erfüllt zeigen, um schließlich in der Mitte aller dichterischen Beziehungen dies zu bewirken: die Identität der anschaulichen und geistigen Formen unter- und miteinander – die raumzeitliche Durchdringung aller Gestalten in einem geistigen Inbegriff, dem Gedichteten, das identisch dem Leben ist. – Hier aber muß nur die gegenwärtige Gestalt dieser Ordnung genannt sein: die vom Mythologischen weitabliegende Ausgleichung der Sphären der Lebendigen und der Himmlischen (so nennt Hölderlin sie meist). Und es erhebt sich nach den Himmlischen, sogar nach Nennung des Gesanges, nochmals »der Fürsten | Chor nach Arten«. So daß hier, um die Mitte des Gedichts, Menschen, Himmlische und Fürsten, gleichsam abstürzend aus ihren alten Ordnungen, zu einander gereiht sind. Daß aber jene mythologische Ordnung nicht entscheidet, daß ein ganz andrer Kanon der Gestalten dieses Gedicht durchzieht, liegt am erleuchtetsten in der Dreiteilung, in der Fürsten noch einen Platz neben Himmlischen und Menschen behaupten. Diese neue Ordnung der dichterischen Gestalten – der Götter und der Lebendigen – beruht in der Bedeutung, die beide für das Schicksal des Dichters haben wie für die sinnliche Ordnung seiner Welt. Gerade deren eigentlicher Ursprung, wie Hölderlin ihn sah, kann sich erst am Ende als das Beruhende aller Beziehungen ergeben, und was früher sichtbar ist, ist nur die Verschiedenheit der Dimensionen dieser Welt und dieses Schicksals, die sie an Göttern und Lebendigen annehmen, und eben: das völlige Leben dieser einst so abgesonderten Gestaltenwelten im dichterischen Kosmos. Das Gesetz, das formal und allgemein die Bedingung für den Bau dieser dichterischen Welt zu sein schien, beginnt nun aber, fremd und gewaltig, sich zu entfalten. – Alle Gestalten gewinnen, im Zusammenhang des dichterischen Schicksals Identität, daß sie darin mit einander aufgehoben in einer Anschauung sind, und so selbstherrlich sie erscheinen, schließlich zurückfallen in die Gesetztheit des Gesanges. Die wachsende Bestimmtheit gesteigerter Gestalten wird in den Änderungen gegen die erste Fassung am eindringlichsten erkannt. Es wird sich die Konzentration der poetischen Kraft an jeder Stelle Raum schaffen und der strenge Vergleich wird den Grund noch der geringsten Abweichung als den einheitlichen erkennen lassen. Dabei muß sich denn über die innere Absicht, auch wo die erste Fassung nur schwächlich ihr folgte, das Wichtige ergeben. Das Leben im Gesange, im unwandelbaren dichterischen Schicksal, das Gesetz der hölderlinschen Welt ist, verfolgen wir am Gestaltzusammenhang.

Es gehen in gewichtig sehr abgehobnen Ordnungen Götter und Sterbliche in entgegengesetztem Rhythmus durch das Gedicht. Im Fortgang und im Zurückgehen von der Mittelstrophe wird dies deutlich. Eine höchst geordnete, wenn schon verborgne Abfolge der Dimensionen wird vollzogen. Die Lebendigen sind, jeweils deutlich, in dieser Welt Hölderlins, die Erstreckung des Raumes, der gebreitete Plan, in dem (wie noch sichtbar werden wird) sich das Schicksal erstreckt. In Hoheit – oder an Orientalisches gemahnender Weitläufigkeit – setzt der Anruf ein »Sind denn nicht dir bekannt viele Lebendigen?« Welche Funktion hat der Eingangsvers der ersten Fassung? Die Verwandtschaft des Dichters mit allen Lebendigen war angerufen als Ursprung des Mutes. Und es blieb nichts, als ein Bekannt-Sein, ein Kennen der Vielen. Die Frage nach dem Ursprung dieser Bestimmtheit der Menge durch den Genius, dem sie »bekannt« ist, führt in die Zusammenhänge des Folgenden. Viel, sehr viel über den Kosmos Hölderlins ist in diesen folgenden Worten gesagt, die – wieder fremd wie aus östlicher Welt und doch wieviel ursprünglicher als die griechische Parze – dem Dichter Hoheit geben. »Geht auf Wahrem dein Fuß nicht, wie auf Teppichen?« Die Umwandlung des Gedichtanfanges in seiner Bedeutung für die Art des Mutes setzt sich fort. Die Anlehnung an die Mythologie weicht dem Zusammenhang des eigenen Mythos. Denn hier hieße es an der Oberfläche bleiben, wollte man nur die Umsetzung der mythologischen Anschauung in eine nüchterne des Gehens erkennen; oder nur erkennen, wie die Abhängigkeit in der Urfassung (»Nährt zum Dienste denn nicht selber die Parze dich?«) zu einer Setzung in der zweiten wird (»Geht auf Wahrem dein Fuß nicht ...?«). – Analog war das »verwandt« der ersten Fassung zu einem »bekannt« gesteigert: eine Aktivität aus einem Abhängigkeitsverhältnis geworden. – Sondern entscheidend ist die Umsetzung dieser Aktivität selbst wiederum ins Mythische, aus dem die Abhängigkeit im frühern Gedicht floß. Es gründet sich aber der mythische Charakter dieser Aktivität darin, daß sie selbst gemäß dem Schicksal verläuft, ja seinen Vollzug schon in sich begreift. Wie alle Aktivität des Dichters in schicksalsgemäß bestimmte Ordnungen greift und so in diesen Ordnungen ewig aufgehoben ist und sie selber aufhebt, dafür zeugt die Existenz des Volkes, ihre Nähe zum Dichter. Sein Kennen der Lebendigen, ihr Dasein beruht auf der Ordnung, die im Sinne des Gedichtes die Wahrheit der Lage zu nennen ist. Die Möglichkeit des zweiten Verses mit der unerhörten Spannkraft seines Bildes, setzt die Wahrheit der Lage als Ordnungsbegriff der hölderlinschen Welt notwendig voraus. Die räumliche und geistige Ordnung erweisen sich verbunden durch eine Identität des Bestimmenden mit dem Bestimmten, die ihnen gemeinsam eignet. Diese Identität ist in beiden Ordnungen nicht die gleiche sondern die identische und durch sie durchdringen sie sich zur Identität miteinander. Denn entscheidend ist für das räumliche Prinzip: es erfüllt in der Anschauung die Identität des Bestimmenden mit dem Bestimmten. Die Lage ist für diese Einheit Ausdruck; der Raum ist zu fassen als Identität von Lage und Gelegnem. Allem Bestimmenden im Raum ist immanent dessen eigne Bestimmtheit. Jede Lage ist im Raum allein bestimmt und allein in ihm bestimmend. Wie nun im Bilde des Teppichs (da eine Ebene für ein geistiges System gesetzt ist) zu erinnern ist an seine Musterhaftigkeit, die geistige Willkür des Ornamentes im Gedanken zu sehen ist – und also das Ornament eine wahre Bestimmung der Lage ausmacht, sie absolut macht – so wohnt der beschreitbaren Ordnung der Wahrheit selbst die intensive Aktivität des Ganges als innere plastisch zeitliche Form ein. Beschreitbar ist dieser geistige Bezirk, welcher gleichsam den Schreitenden mit jedem Willkürschritte im Bereich des Wahren notwendig beläßt. Diese geistig-sinnlichen Ordnungen machen in ihrem Inbegriff die Lebendigen aus, in denen alle Elemente dichterischen Schicksals in einer innern und besondern Form gelagert sind. Die zeitliche Existenz in der unendlichen Erstreckung, die Wahrheit der Lage, bindet die Lebendigen an den Dichter. Im gleichen Sinne erweist sich die Verbundenheit der Elemente in der Beziehung von Volk und Dichter noch in der Endstrophe. »Gut auch sind und geschickt einem zu etwas wir«. Nach einem (vielleicht allgemeinen) Gesetz der Lyrik erreichen die Worte ihren anschaulichen Sinn im Gedicht, ohne den Übertragnen daran zu geben. So durchdringen sich in dem Doppelsinn des Wortes »geschickt« zwei Ordnungen. Bestimmend und bestimmt erscheint der Dichter unter den Lebendigen. Wie in dem Partizipium »geschickt« eine zeitliche Bestimmung die räumliche Ordnung im Geschehen, die Eignung, vollendet, ist nochmals in der Zweckbestimmung: »einem zu etwas« diese Identität der Ordnungen wiederholt. Als müßte durch die Ordnung der Kunst die Belebung doppelt deutlich werden, ist alles andere ungewiß gelassen und die Vereinzelung innerhalb großer Erstreckung in dem »einem zu etwas« angedeutet. Nun ist erstaunlich, wie an dieser Stelle, da doch das Volk auf das höchste abstrakt bezeichnet ist, aus dem Innern dieser Zeile eine fast Neugestalt des konkretesten Lebens sich erhebt. Wie als innerstes Wesen des Sängers das Schickliche sich finden wird, als seine Grenze gegen das Dasein, so erscheint dies hier vor den Lebendigen als das Geschickte; daß die Identität entsteht, in einer Form: Bestimmendes und Bestimmtes, Mitte und Erstreckung. Die Aktivität des Dichters findet an den Lebendigen sich bestimmt, die Lebendigen aber bestimmen in ihrem konkreten Dasein – »einem zu etwas« – sich an dem Wesen des Dichters. Als Zeichen und Schrift der unendlichen Erstreckung seines Schicksals besteht das Volk. Dieses Schicksal selbst ist, wie später deutlich wird, der Gesang. Und so als Symbol des Gesanges hat das Volk den Kosmos Hölderlins zu erfüllen. Das gleiche erweist die Verwandlung, die aus »Dichtern des Volks« »Zungen des Volks« schuf. Vorbedingung dieser Dichtung ist, immer mehr die einem neutralen »Leben« entlehnten Gestalten in Glieder einer mythischen Ordnung zu verwandeln. Gleich stark sind in dieser Wendung Volk und Dichter dieser Ordnung einbezogen. Besonders fühlbar wird in diesen Worten die Abkehr des Genius in seiner Herrschaft. Denn es ist der Dichter, mit ihm das Volk, aus dem er singt, ganz in den Kreis des Gesanges hinein versetzt, und eine flächenhafte Einheit des Volkes mit seinem Sänger (im dichterischen Schicksal) ist von neuem der Abschluß. Nun erscheint – dürfen wir es byzantinischen Mosaiken vergleichen? – entpersönlicht das Volk, wie in der Fläche gedrängt um die flache große Gestalt seines heiligen Dichters. Dies Volk ist ein andres, wesensbestimmteres als das der ersten Fassung; eine andere Lebensvorstellung entspricht ihm: »Drum, mein Genius, tritt nur | Bar ins Leben und sorge nicht!« Das »Leben« liegt hier außerhalb des dichterischen Daseins, es ist in der neuen Fassung nicht Voraussetzung, sondern Gegenstand einer mit mächtiger Freiheit vollzognen Bewegung: der Dicher tritt ins Leben, er wandelt nicht in ihm fort. Die Einordnung des Volkes in jene Lebensvorstellung der ersten Fassung ist zu einer Schicksalverbundenheit der Lebendigen mit dem Dichter geworden. »Was geschiehet, es sei alles gelegen dir!« Die frühere Fassung hat an dieser Stelle »gesegnet«. Es ist der gleiche Vorgang einer Verlagerung des Mythologischen, der überall die innere Form der Umarbeitung ausmacht. »Gesegnet« ist eine vom Transzendenten, herkömmlich Mythologischen abhängige Vorstellung, die nicht vom Zentrum des Gedichtes her (etwa dem Genius) verstanden ist. »Gelegen« greift völlig wieder ins Zentrum zurück, es bedeutet ein Verhältnis vom Genius selbst, in dem das rhetorische »sei« dieser Strophe aufgehoben wird durch die Gegenwart dieser »Gelegenheit«. Die räumliche Erstreckung ist von neuem gegeben und gleichen Sinnes wie vorher. Wieder geht es um die Gesetzlichkeit der guten Welt, in der die Lage zugleich das Gelegene durch den Dichter ist, wie ihm das Wahre beschreitbar sein muß. Hölderlin beginnt einmal ein Gedicht: »Sei froh! Du hast das gute Los erkoren«. Wo der Erkorne gemeint ist; dem besteht nur das Los und also das gute. Gegenstand dieser identischen Beziehung zwischen Dichter und Schicksal sind die Lebendigen. Die Bildung »Sei zur Freude gereimt« legt die sinnliche Ordnung des Klanges zum Grunde. Und es ist im Reim auch hier die Identität zwischen Bestimmendem und Bestimmtem gegeben, wie etwa die Struktur der Einheit erscheint als halbe Doppelheit. Nicht substanziell sondern funktional ist die Identität als Gesetz gegeben. Nicht die Reimworte selbst sind genannt. Denn selbstverständlich bedeutet »zur Freude gereimt« auf Freude gereimt so wenig, »wie gelegen dir« das »du« selbst zu einem Gelagerten, Räumlichen macht. Wie das Gelegene als ein Verhältnis vom Genius erkannt wurde (nicht zu ihm), so ist der Reim eine Beziehung von der Freude (nicht zu ihr). Vielmehr hat jene Bilddissonanz, der in äußerstem Nachdruck eine lautliche anklingt, die Funktion, die innewohnende geistige Zeitordnung der Freude sinnbar, lautbar zu machen, in der Kette eines unendlich erstreckten Geschehens, das den unendlichen Möglichkeiten des Reimes entspricht. So rief die Dissonanz im Bilde des Wahren und des Teppichs die Beschreitbarkeit als einende Beziehung der Ordnungen hervor, wie die »Gelegenheit« die geistig-zeitliche Identität (die Wahrheit) der Lage bedeutete. Diese Dissonanzen heben im dichterischen Gefüge die aller räumlichen Beziehung einwohnende zeitliche Identität und damit die absolut bestimmende Natur des geistigen Daseins innerhalb der identischen Erstreckung hervor. Träger dieser Beziehung sind vorwiegend deutlich die Lebendigen. Eine Bahn und schickliches Ziel muß gerade nach den Extremen der Bildhaftigkeit jetzt anders sichtbar sein, als nach dem idyllischen Weltfühlen, das in früherer Zeit diesen Versen voranging: »oder was könnte denn | Dich beleidigen, Herz, was | Da begegnen, wohin du sollst?« An dieser Stelle darf, die wachsende Gewalt, mit der die Strophe sich dem Ende zuführt, wahrzunehmen, die Interpunktion beider Entwürfe verglichen werden. Wie in der folgenden Strophe Sterbliche mit gleicher Bedeutung wie Himmlische dem Gesang genähert werden, ist nun erst ganz begreiflich, da sie sich erfüllt vom dichterischen Schicksal fanden. Seiner Eindringlichkeit nach verstanden zu werden, muß dies alles verglichen sein mit dem Grade von Gestalt, den in der ursprünglichen Fassung Hölderlin dem Volke verlieh. Da es erfreut wurde vom Gesang, verwandt dem Dichter war und von Dichtern des Volks gesprochen werden durfte. Allein hierin dürfte die strengere Gewalt eines Weltbildes schon vermutet werden, das die früher schon nur von fern erstrebte schicksalhafte Bedeutung des Volkes gefunden hat, in einer Anschauung, die es zur sinnlich-geistigen Funktion des dichterischen Lebens macht.

Neue Bestimmtheit gewinnen diese Verhältnisse, die besonders in Hinsicht der Funktion der Zeit noch dunkel geblieben sind, indem ihre eigentümliche Umwandlung an der Gestalt der Götter verfolgt wird. Durch die innere Gestalt, die in dem neuen Weltbau ihnen eignet, wird das Wesen des Volkes – als durch seinen Gegensatz – genauer ermittelt. So wenig die erste Fassung eine Bedeutung der Lebendigen kennt, deren innere Form ihr Dasein als einbezogen in das dichterische Schicksal, bestimmt und bestimmend, wahr im Raum, ist – so wenig ist in ihr eine besondere Ordnung der Götter erkennbar. Es geht aber durch die neue Fassung eine Bewegung in plastisch-intensiver Richtung, und diese lebt in den Göttern am stärksten. (Neben der Richtung, die, im Volke dargestellt, die räumliche Richtung auf das unendliche Geschehen hat.) Es sind die Götter zu höchst besondern und bestimmten Gestalten geworden, an denen das Gesetz der Identität völlig neu gefaßt ist. Die Identität der göttlichen Welt und ihre Beziehung zum Schicksal des Sängers ist verschieden von der Identität in der Ordnung der Lebendigen. Dort war ein Geschehen in seiner Bestimmtheit durch und für den Dichter als aus ein und derselben Quelle fließend erkannt. Der Dichter erlebte das Wahre. So war das Volk ihm bekannt. In der göttlichen Ordnung aber liegt, wie sich zeigen wird, eine besondere innere Identität der Gestalt vor. Diese Identität fand man angedeutet schon im Bilde des Raumes und etwa in der Bestimmung der Fläche durch das Ornament. Aber zum Beherrschenden einer Ordnung geworden führt sie eine Versachlichung des Lebendigen herauf. Es entsteht eine eigentümliche Verdopplung der Gestalt (die sie mit räumlichen Bestimmungen verbindet) indem eine jede in sich nochmals ihre Konzentration vorfindet, eine rein immanente Plastik als Ausdruck ihres Daseins in der Zeit in sich trägt. In dieser Richtung der Konzentration streben die Dinge zum Dasein als reine Idee und bestimmen das Schicksal des Dichters in der reinen Welt der Gestalten. Die Plastik der Gestalt wird als das Geistige erwiesen. So ist der »denkende Tag« aus dem »fröhlichen« geworden. Der Tag ist durch ein Beiwort nicht in seiner Eigenschaft gekennzeichnet, sondern es wird ihm die Gabe beigelegt, welche gerade die Bedingung der geistigen Identität des Wesens ist: das Denken. Es erscheint nun der Tag in dieser neuen Fassung auf das höchste gestaltet, ruhend, mit sich selbst einstimmend im Bewußtsein, als eine Gestalt von innerer Plastik des Daseins, der die Identität des Geschehens in der Ordnung der Lebendigen entspricht. Von den Göttern her erscheint der Tag als gestalteter Inbegriff der Zeit. Von dem gewinnt es nun als gleichsam einem Beharrenden einen viel tieferen Sinn, daß der Gott ihn gönnt. Diese Vorstellung, der Tag sei gegönnt, ist sehr streng zu trennen von einer hergebrachten Mythologie, die den Tag schenken läßt. Denn hier ist schon, was mit bedeutenderer Gewalt sich später zeigt, angedeutet: daß die Idee zur Versachlichung der Gestalt führt und daß die Götter ganz ihrer eignen Plastik anheimgegeben sind, den Tag nur gönnen oder mißgönnen können, da an Gestalt der Idee sie am nächsten sind. Wieder darf hier auf die Steigerung der Absicht im rein Lautlichen: durch Alliteration hingedeutet werden. Die bedeutende Schönheit, mit der hier der Tag zum plastischen und eben zugleich kontemplativen Prinzip erhoben wird, findet im Anfang des »Chiron« sich gesteigert wieder: »Wo bist du, Nachdenkliches! das immer muß | Zur Seite gehn zu Zeiten, wo bist du, Licht?« Die gleiche Anschauung hat den zweiten Vers der fünften Strophe sehr innerlich verwandelt und auf das höchste verfeinert gegen die entsprechende Stelle der früheren Fassung. Ganz im Gegensatz zur »flüchtigen Zeit«, zu den »Vergänglichen« ist in der Neufassung dieser Zeile das Beharrende, die Dauer in der Gestalt der Zeit und der Menschen entwickelt worden. Die »Wende der Zeit« erfaßt offenbar noch den Augenblick der Beharrung, gerade das Moment innerer Plastik in der Zeit. Und daß dieses Moment innrer zeitlicher Plastik zentral ist, dies kann wie die zentrale Bedeutung der andern bisher erwiesenen Erscheinungen erst später ganz deutlich werden. Den gleichen Ausdruck hat das folgende »uns die Entschlafenden«. Wieder ist der Ausdruck tiefster Identität der Gestalt (im Schlafe) gegeben. Es ist schon hier an das heraklitische Wort zu erinnern: Im Wachen sehen wir zwar den Tod, im Schlafe aber den Schlaf. Um diese plastische Struktur des Gedankens in seiner Intensität handelt es sich, wie hierfür das kontemplativ erfüllte Bewußtsein den letzten Grund bildet. Die gleiche Identitätsbeziehung, die hier im intensiven Sinne zur zeitlichen Plastik der Gestalt führt, muß im extensiven Sinne zu einer unendlichen Gestaltform führen, zu einer gleichsam eingesargten Plastik, in der die Gestalt mit dem Gestaltlosen identisch wird. Die Versachlichung der Gestalt in der Idee bedeutet zugleich: ihr immer unbegrenzteres und unendliches Umsichgreifen, die Vereinigung der Gestalten in der Gestalt schlechthin, zu der die Götter werden. Es ist durch sie der Gegenstand gegeben, an dem das dichterische Schicksal sich begrenzt. Die Götter bedeuten dem Dichter die unermeßliche Gestaltung seines Schicksals, wie die Lebendigen noch die weiteste Erstreckung des Geschehens als im Bereiche dichterischen Schicksals verbürgen. Diese Bestimmung des Schicksals durch Gestaltung macht die Gegenständlichkeit des dichterischen Kosmos aus. Zugleich aber bedeutet sie die reine Welt zeitlicher Plastik im Bewußtsein; die Idee wird in ihr herrschend; wo vordem das Wahre der Aktivität des Dichters einbeschlossen war, tritt es nun beherrschend in sinnlicher Erfülltheit auf. In der Formung dieses Weltbildes wird immer strenger jede Anlehnung an konventionelle Mythologie getilgt. Für das entlegnere »Ahne« tritt der »Vater« ein, der Sonnengott ist in einen Gott des Himmels verwandelt. Die plastische, ja architektonische Bedeutung des Himmels ist unendlich viel größer als die der Sonne. Zugleich aber ist hier deutlich, wie fortschreitend den Unterschied zwischen Gestalt und Gestaltlosem der Dichter aufhebt; und der Himmel bedeutet so sehr eine Ausdehnung, als auch zugleich eine Verringerung der Gestalt, im Vergleich mit der Sonne. Die Gewalt dieses Zusammenhanges erhellt das folgende »Aufgerichtet an goldnen | Gängelbanden, wie Kinder, hält.« Wieder muß die Starrheit und Unzugänglichkeit des Bildes an orientalisches Sehen gemahnen. Indem mitten im ungestalteten Raume die plastische Verbindung mit dem Gott gegeben – ihrer Intensität nach durch die Farbe betont, die einzige, die die neue Fassung enthält – wirkt diese Zeile auf das seltsamste fremd und fast ertötend. Das architektonische Element ist so stark, daß es der Beziehung, die im Bilde des Himmels gegeben war, entspricht. Die Gestalten der dichterischen Welt sind unendlich und doch begrenzend zugleich; es muß dem inneren Gesetz zufolge die Gestalt eben so sehr im Dasein des Gesanges aufgehoben sein und in ihn eingehen, wie die bewegten Kräfte der Lebendigen. Auch der Gott muß am Ende dem Gesange zum Besten dienen und sein Gesetz vollstrecken, wie das Volk Zeichen seiner Erstreckung sein mußte. Dies erfüllt sich am Ende: »und von den Himmlischen | Einen bringen.« Die Gestaltung, das innerlich plastische Prinzip, ist so gesteigert, daß das Verhängnis der toten Form über den Gott hereingebrochen ist, daß – um im Bilde zu sprechen – die Plastik von innen nach außen umschlug und nun völlig der Gott zum Gegenstande wurde. Die zeitliche Form ist von innen nach außen gebrochen als Bewegtes. Der Himmlische wird gebracht. Hier liegt ein höchster Ausdruck von Identität vor: der griechische Gott ist seinem eignen Prinzip, der Gestalt, ganz anheimgefallen. Der höchste Frevel ist gedeutet: ὓβρις, die ganz nur dem Gott erreichbar, bildet zur toten Gestalt ihn um. Sich selbst Gestalt geben, das heißt ὓβρις. Der Gott hört auf, den Kosmos des Gesanges zu bestimmen, dessen Wesen vielmehr – mit Kunst – erwählt sich frei das Gegenständliche: er bringt den Gott, da Götter schon zum versachlichten Sein der Welt im Gedanken geworden sind. Es ist schon hier die bewundrungswürdige Fügung der letzten Strophe zu erkennen, in der das immanente Ziel aller Gestaltung dieses Gedichts sich zusammenfaßt. Die räumliche Erstreckung der Lebendigen bestimmt sich in dem zeitlich innerlichen Eingreifen des Dichters: so erklärte sich das Wort »geschickt«; in der gleichen Vereinzelung, in der das Volk zu einer Reihe von Funktionen des Schicksals geworden ist. »Gut auch sind und geschickt einem zu etwas wir« – ist der Gott Gegenstand in seiner toten Unendlichkeit geworden, der Dichter ergreift ihn. Die Ordnung von Volk und Gott als aufgelöst in Einheiten wird hier zur Einheit im dichterischen Schicksal. Es ist die vielfache Identität, in der Volk und Gott wie die Bedingungen sinnlichen Daseins aufgehoben sind, offenbar. Einem andern gebührt die Mitte dieser Welt.

Die Durchdringung der einzelnen Anschauungsformen untereinander und ihre Verbundenheit in und mit dem Geistigen, als Idee, Schicksal u.s.f. ist im einzelnen weit genug verfolgt. Nicht um die Ermittlung der letzten Elemente kann es sich am Ende handeln, denn das letzte Gesetz dieser Welt ist eben die Verbundenheit: als Einheit der Funktion von Verbindendem und Verbundenem. Aber ein besonders zentraler Ort dieser Verbundenheit muß noch aufgewiesen werden, in dem die Grenze des Gedichteten gegen das Leben am weitesten vorgeschoben ist, an dem die Energie der innern Form sich um so mächtiger erweist, je flutender und formloser das bedeutete Leben ist. An diesem Orte wird die Einheit des Gedichteten sichtbar, am weitesten werden die Verbundenheiten überschaut und die Abwandlung beider Gedichtfassungen, die Vertiefung der ersten in der letzten erkannt. – Von einer Einheit des Gedichteten in der ersten Fassung darf nicht gesprochen werden. Der Ablauf wird von der ausführlichen Analogie des Dichters mit dem Sonnengott unterbrochen, danach aber kehrt er nicht wieder mit ganzer Intensität zu dem Dichter zurück. Es liegt in dieser Fassung, in ihrer ausführlichen Sondergestaltung des Sterbens, auch ihrem Titel nach, noch die Spannung zwischen zwei Welten – der des Dichters und jener »Wirklichkeit«, in der der Tod droht, die hier nur eingekleidet als Göttlichkeit erscheint. Später ist die Zweiheit der Welten verschwunden, mit dem Sterben ist die Eigenschaft des Mutes dahin-gefallen, im Ablauf ist nichts als das Dasein des Dichters gegeben. Die Frage, worauf die Vergleichbarkeit dieser in allem einzelnen wie im Ablauf so völlig unterschiednen Entwürfe beruht, ist also dringend. Wiederum kann nicht die Gleichheit eines Elementes, sondern nur die Verbundenheit in einer Funktion die Vergleichbarkeit der Gedichte erweisen. Diese Funktion liegt in dem einzig aufweisbaren Funktionsinbegriff, dem Gedichteten. Das Gedichtete beider Fassungen – nicht in seiner Gleichheit, deren keine besteht, sondern in seiner »Vergleichheit« – soll verglichen werden. Beide Gedichte sind in ihrem Gedichteten verbunden und zwar in einem Verhalten zur Welt. Dieses ist der Mut, der, je tiefer er verstanden ist, desto weniger eine Eigenschaft, sondern eine Beziehung von Mensch zu Welt und von Welt zu Mensch wird. Das Gedichtete der ersten Fassung kennt den Mut nur erst als Eigenschaft. Mensch und Tod stehen sich gegenüber, beide starr, keine anschauliche Welt ist ihnen gemeinsam. Zwar im Dichter, in seinem göttlich-natürlichen Dasein, war versucht, schon eine tiefe Beziehung zum Tode zu finden; doch nur mittelbar durch die Vermittelung des Gottes, dem der Tod – mythologisch – eigen war und dem der Dichter – mythologisch wiederum – angenähert wurde. Es war das Leben noch Vorbedingung des Todes, die Gestalt entsprang der Natur. Die entschlossene Formung von Anschauung und Gestalt aus einem geistigen Prinzip war vermieden, so blieben sie ohne Durchdringung. Die Gefahr des Todes war in diesem Gedichte überwunden durch Schönheit. Während der späteren Fassung alle Schönheit herfließt aus Überwindung der Gefahr. Früher endete Hölderlin mit der Auflösung der Gestalt, während der reine Grund der Gestaltung am Ende der neuen Fassung erscheint. Und diese ist nun aus einem geistigen Grunde gewonnen. Die Zweiheit: Mensch und Tod konnte so nur in einem läßlichen Lebensgefühl beruhen. Sie blieb nicht bestehen, da das Gedichtete sich zu tiefrer Verbundenheit zusammenschloß und ein geistiges Prinzip – der Mut – von sich aus das Leben gestaltete. Mut ist Hingabe an die Gefahr, welche die Welt bedroht. In ihm liegt eine besondere Paradoxie verborgen, von der aus erst das Gefüge des Gedichteten der beiden Fassungen ganz verstanden wird: dem Mutigen besteht die Gefahr und dennoch achtet er sie nicht. Denn er wäre feige, würde er sie achten; und bestünde sie ihm nicht – er wäre nicht mutig. Dieses seltsame Verhältnis löst sich, indem dem Mutigen selbst die Gefahr nicht droht, jedoch der Welt. Mut ist das Lebensgefühl des Menschen, der sich der Gefahr preisgibt, dadurch sie in seinem Tode zur Gefahr der Welt erweitert und überwindet zugleich. Die Größe der Gefahr entspringt im Mutigen – erst indem sie ihn trifft, in seiner ganzen Hingabe an sie, trifft sie die Welt. In seinem Tode aber ist sie überwunden, hat die Welt erreicht, der sie nicht mehr droht; in ihm ist Freiwerden und Stabilierung zugleich der ungeheuren Kräfte – die täglich als begrenzte Dinge den Leib umgeben. Im Tode sind schon diese Kräfte umgesprungen, die dem Mutigen drohten als Gefahr, sind in ihm beruhigt. (Dies ist die Versachlichung der Kräfte, die schon das Wesen der Götter dem Dichter näherte.) Die Welt des toten Helden ist eine neue mythische, mit Gefahr gesättigt: dies eben ist die Welt der zweiten Gedichtfassung. In ihr durchaus ist ein geistiges Prinzip herrschend geworden: die Einswerdung des heldischen Dichters mit der Welt. Der Dichter hat den Tod nicht zu fürchten, er ist Held, weil er die Mitte aller Beziehungen lebt. Das Prinzip des Gedichteten überhaupt ist die Alleinherrschaft der Beziehung. In diesem besondern Gedicht als Mut gestaltet: als innerste Identität des Dichters mit der Welt, deren Ausfluß alle Identitäten des Anschaulichen und Geistigen dieser Dichtung sind. Das ist der Grund, in dem immer wieder die gesonderte Gestalt sich aufhebt in der raumzeitlichen Ordnung, in der sie als gestaltlos, allgestalt, Vorgang und Dasein, zeitliche Plastik und räumliches Geschehen aufgehoben ist. Vereint sind im Tode, der seine Welt ist, alle erkannten Beziehungen. In ihm ist höchste unendliche Gestalt und Gestaltlosigkeit, zeitliche Plastik und räumliches Dasein, Idee und Sinnlichkeit. Und jede Funktion des Lebens in dieser Welt ist Schicksal, während, in der ersten Fassung herkömmlich das Schicksal das Leben bestimmte. Das ist das orientalische, mystische, die Grenzen überwindende Prinzip, das in diesem Gedicht so offenbar immer wieder das griechische gestaltende Prinzip aufhebt, das einen geistigen Kosmos schafft aus reinen Beziehungen der Anschauung, des sinnlichen Daseins, in dem das Geistige nur Ausdruck der Funktion ist, die zur Identität strebt. Die Umwandlung der Zweiheit von Tod und Dichter in die Einheit einer toten dichterischen Welt, »mit Gefahr gesättigt«, ist die Beziehung, in der das Gedichtete der beiden Gedichte steht. An dieser Stelle erst ist nun die Betrachtung der dritten, mittleren Strophe möglich geworden. Offenbar ist, daß der Tod in der Gestalt der »Einkehr« in die Mitte der Dichtung versetzt wurde, daß in dieser Mitte der Ursprung des Gesanges ist, als des Inbegriffs aller Funktionen, daß hier die Ideen der »Kunst«, des »Wahren« entspringen als Ausdruck der beruhenden Einheit. Was über die Aufhebung der Ordnung von Sterblichen und Himmlischen gesagt war, erscheint in diesem Zusammenhang völlig gesichert. Zu vermuten ist, daß die Worte »ein einsam Wild« die Menschen bezeichnen und dies stimmt sehr wohl zu dem Titel dieses Gedichtes. »Blödigkeit« – ist nun die eigentliche Haltung des Dichters geworden. In die Mitte des Lebens versetzt, bleibt ihm nichts, als das reglose Dasein, die völlige Passivität, die das Wesen des Mutigen ist; als sich ganz hinzugeben der Beziehung. Sie geht von ihm aus und auf ihn zurück. So ergreift der Gesang die Lebendigen und so sind sie ihm bekannt – nicht mehr verwandt. Dichter und Gesang sind im Kosmos des Gedichts nicht unterschieden. Er ist nichts als Grenze gegen das Leben, die Indifferenz, umgeben von den ungeheuren sinnlichen Mächten und der Idee, die in sich sein Gesetz bewahren. Wie sehr er die unberührbare Mitte aller Beziehung bedeutet, enthalten die beiden letzten Verse am mächtigsten. Die Himmlischen sind zu Zeichen des unendlichen Lebens geworden, das aber gegen ihn begrenzt ist: »und von den Himmlischen | Einen bringen. Doch selber | Bringen schickliche Hände wir.« So ist der Dichter nicht mehr als Gestalt gesehen, sondern allein noch als Prinzip der Gestalt, Begrenzendes, auch seinen eignen Körper noch Tragendes. Er bringt seine Hände – und die Himmlischen. Die eindringliche Zäsur dieser Stelle ergibt den Abstand, den der Dichter vor aller Gestalt und der Welt haben soll, als ihre Einheit. Der Aufbau des Gedichts ist ein Beweis der Einsicht dieser Schillerschen Worte: »Darin ... besteht das eigentliche Kunstgeheimnis des Meisters, daß er den Stoff durch die Form vertilgt ... Das Gemüt des Zuschauers und Zuhörers muß völlig frei und unverletzt bleiben, es muß aus dem Zauberkreise des Künstlers rein und vollkommen wie aus den Händen des Schöpfers gehn.«

Absichtlich war im Laufe der Untersuchung das Wort »Nüchternheit« vermieden worden, das so oft zur Charakteristik nahe gelegen hätte. Denn erst jetzt sollen Hölderlins Worte von dem »heilig nüchternen« genannt sein, deren Verständnis nun bestimmt ist. Man hat bemerkt, daß diese Worte die Tendenz seiner späten Schöpfungen enthalten. Sie entspringen der innigen Sicherheit, mit der diese im eignen geistigen Leben stehen, in dem nun die Nüchternheit erlaubt, geboten, ist, weil es in sich heilig ist, jenseits aller Erhebung im Erhabnen steht. Ist dieses Leben noch das des Griechentums? So wenig ist es das, wie das Leben eines reinen Kunstwerks überhaupt das eines Volkes sein kann, so wenig wie es das eines Individuums ist und keines als sein eignes, das wir im Gedichteten finden. Dies Leben ist in Formen des griechischen Mythos gebildet, aber – das ist entscheidend – nicht in ihnen allein; gerade das griechische Element ist in der letzten Fassung aufgehoben und ausgeglichen gegen ein andres, das (zwar ohne ausdrückliche Rechtfertigung) das orientalische genannt war. Fast alle Änderungen der spätern Fassung streben in dieser Richtung, in den Bildern wie auch in der Einführung der Ideen und endlich einer neuen Bedeutung des Todes, die alle gegen die in sich ruhende geformt begrenzte Erscheinung sich als unbegrenzte erheben. Daß hierin, vielleicht nicht nur für die Erkenntnis Hölderlins, eine entscheidende Frage sich verbirgt, kann in diesem Zusammenhang nicht erwiesen werden. Die Betrachtung des Gedichteten aber führt nicht auf den Mythos, sondern – in den größten Schöpfungen – nur auf die mythischen Verbundenheiten, die im Kunstwerk zu einziger unmythologischer und unmythischer, uns näher nicht begreiflicher Gestalt geformt sind. Aber gäbe es ein Wort, das Verhältnis jenes innern Lebens, aus dem das letzte Gedicht entsprang, zum Mythos zu erfassen, so wäre es jenes Hölderlinsche – einer noch spätern Zeit als dies Gedicht angehörig – »Die Sagen, die der Erde sich entfernen, | ... | Sie kehren zu der Menschheit sich«.