Ode - Beispiel Horaz


Es wird etwas zu endlicher Aufklärung der Natur und des Charakters der Ode dienen, wenn wir durch einige Beispiele zeigen, wie ein Gedanke, eine Vorstellung, die Äußerung einer Empfindung zur Ode wird. Wir wollen diese Beispiele aus dem Horaz als dem bekanntesten Odendichter wählen. Die eilfte Ode des ersten Buches ist nichts anderes als dieser Satz: es ist klüger das Gegenwärtige zu genießen als sich ängstlich um das Künftige zu bekümmern . Er ist auf die kürzeste und einfachste Weise in eine Ode verwandelt. Diese Verwandlung wird dadurch bewirkt, dass der Dichter mit Affekt die Leücko noe anredet und den allgemeinen Gedanken auf den besonderen Fall dieser Person mit Wärme und lebhaftem Interesse anwendet, daneben alles mit starken poetischen Farben malet. Die zehnte Ode des zweiten Buchs ist die ganz gemeine Lehre, »dass ein weiser Mann sich weder durch das anscheinende Glück zu großen und gefährlichen Unternehmungen verleiten, noch durch jedem kleinen Anfall des widrigen Glücks kleinmütig machen lässt,« höchst poetisch vorgetragen und ausgebildet. Der Dichter redet einen Freund an, dem er diese Lehre in einem warmen dringenden Ton einschärft. Erst wird sie in einer kurzen sehr malerischen Allegorie vorgetragen.

 

Rectius vives, Licini, neque altum

Semper urgnende; neque dum procellas

Cautus horrescis, nimium premendo

Littus iniquum.

 

Dann folgt ein affektvolle Anpreisung eines durch Mäßigung glücklichen Lebens, sehr kurz und lebhaft durch ein paar malerische Meisterzüge ausgedrückt.

 

Auream quisquis mediocritatem

Diligit, tutus caret obsoleti

Sordibus tecti, caret invidenda

Sobrius aula.

 

Schon diese beide Strophen stellen uns eine Ode dar. Aber es liegt dem Dichter sehr am Herzen, seinen Freund gänzlich von jener Lehre zu überzeugen. Darum fährt er in dem affektreichen Ton fort zuerst die heftige Unruh, die die Hoheit begleitet und die große Gefahr die ihr droht, durch zwei höchst treffende allegorische Bilder zu schildern:

 

Sæpius ventis agitatur ingens

Pinus; et colsæ graviore casu

Decidunt turres; feriuntque summos.

Fulgura montes.

 

hernach seinen Freund zu erinnern, wie ein wahrhaftig weiser Mann bei widrigem und günstigen Glücke dessen Veränderlichkeit bedenkt, dessen ihn auch der Lauf der Natur erinnert. Daraus zieht er den Schluss, dass ein gegenwärtiges widriges Glück, eine bessere Zukunft hoffen lasse.

 

–– Non si male nunc et olim

Sic erit.

 

Zuletzt stellt er durch ein angenehmes Bild vom Apollo, der nicht immer in ernsthaften Geschäften den Bogen spannt, sondern auch bisweilen durch den Klang der Zither, sich zu angenehmen Zeitvertreib ermuntert, vor, dass ein weiser Mann sich nicht ohne Unterlaß mit schweren Geschäften abgibt; und schließt endlich mit der Vermahnung, im widrigem Glücke sich herzhaft und im günstigem vorsichtig zu zeigen, welches ebenfalls in einer sehr kurzen und vortreflichen Allegorie geschieht.

 

Rebus angustis animosus atque

Fortis appare; sapienter idem

Contrahes vento nimium secundo

Turgida vela.

 

Hier sieht man sehr deutlich, wie eine gemeine Vorstellung durch das Genie des Dichters zur Ode geworden.

Aus der fünften Ode des ersten Buches sehen wir, wie ein bloßer Verweis, den der Dichter einem Frauenzimmer wegen ihrer Unbeständigkeit in der Liebe gibt, zu einer sehr schönen Ode wird. Der Dichter wollte im Grund nichts sagen als dieses einzige: du bist eine Unbeständige, die mich nicht mehr anlocken wird. Die Wendung die er diesem Gedanken gibt und der höchstlebhafte Ausdruck, macht ihn zur Ode. »Wen magst du nun gefesselt halten, o! Pyrrha? – Ach der Unglückliche weiß nicht wie bald du ihm untreu werden wirst! Ich bin aus deinen Fesseln, wie aus einem Schiffbruch gerettet und habe meine nassen Kleider aus Dankbarkeit dem Neptunus geweiht!«

Man sieht aus diesen Beispielen, wie ganz gemeine Gedanken durch den starken Affekt in dem sie vorgetragen werden und durch Einkleidung in lebhafte Bilder zur Ode werden. Würde jemand sagen; seitdem Sybaris die Lydia liebt, hasset er die freie Luft und die Leibesübungen etc. so lag ehedem der Sohn der Thetis versteckt; so weiß man nicht, ob er ein satyrisches Epigramma machen oder bloß die seltsame Wirkung der Liebe an diesem Beispiel, in philosophischem Ernste zeigen will. Wenn aber dieser Zustand des Verliebten einen Dichter von lebhaftem Genie in leidenschaftliche Empfindung setzt; wenn er ausruft: »Um aller Götter willen, o! Lydia, warum stürzest du durch deine Liebe den Sybaris ins Elend? Warum hasst er die freie Luft? u.s.w.«, so fühlt jeder sogleich den Ton der Ode.

So kann auch eine bloße Schilderung eines Gegenstandes, wenn sich wahre Leidenschaft und starke dichterische Laune darin mischt, zur Ode werden. Nichts anders ist die Ode an die Tyndaris als eine bloße mit viel Affekt gezeichnete Schilderung der Annehmlichkeit eines der Horazischen Landsitze, die er mit der Geliebten zu teilen wünscht. So entstehen auch aus poetischen und bilderreichen Schilderungen des inneren Zustandes, darin ein Mensch durch irgend eine Leidenschaft gesetzt worden, die angenehmsten, die feurigsten, die zärtlichsten, die erhabensten Oden.

Dieses kann hinlänglich sein, um von der Natur und den verschiedenen Charaktern der Ode sich wahre Begriffe zu machen. Nur muss man dabei nicht vergessen, dass es Dichter gibt, die bisweilen durch Kunst, Zwang oder aus bloßer Lust nachzuahmen, ihr Genie in dem Ton der Ode stimmen und das, was sie mit so viel Affekt oder Laune ausdrücken, nicht wirklich fühlen. Aber der Dichter muss sehr schlau sein und seine Ode mit erstaunlichem Fleiß ausarbeiten, wo wir den Betrug nicht merken und wo wir seine verstellte Empfindung für wahr halten sollen. Es begegnet ihm sehr leicht, dass das, was er sagt, mit dem Ton, darin es gesagt wird, nicht so vollkommen übereinstimmt als es in der wirklichen Empfindung geschieht. Selbst Horaz konnte sich nicht allemal so verstellen, dass man den Zwang nicht merkte: seine Ode an den Agrippa [L. l. Od. 6] ist gewiss nur eine Ausrede, wo der Dichter das, was er von seinem Unvermögen sagt, nicht im Ernst meint. Von solchen Oden kann man nicht erwarten, dass sie das Leben oder die Wärme der Einbildungskraft und Empfindung haben als die, welche in der wirklichen Begeisterung geschrieben worden. Da es aber eine der Eigenschaften des dichterischen Genies ist, sich leicht zu entzünden; so kann auch die durch Kunst oder Nachahmung entstandene Ode, der Wahren von der Natur eingegebenen, sehr nahe kommen.


 © textlog.de 2004 • 06.12.2024 06:36:41 •
Seite zuletzt aktualisiert: 23.10.2004 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright  A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  Z