Oper, Opera

Oper, Opera. Bei dem außerordentlichen Schauspiel, dem die Italiener den Namen Opera gegeben haben, herrscht eine so seltsame Vermischung des Großen und Kleinen, des Schönen und Abgeschmackten, dass ich verlegen bin, wie und was ich davon schreiben soll. In den besten Opern sieht und hört man Dinge, die so läppisch und so abgeschmackt sind, dass man denken sollte, sie seien nur da um Kinder oder einen kindisch gesinnten Pöbel in Erstaunen zu setzen; und mitten unter diesem höchst elenden, den Geschmack von allen Seiten beleidigenden Zeuge, kommen Sachen vor, die tief ins Herz dringen, die das Gemüt auf eine höchstreizende Weise mit süßer Wollust, mit dem zärtlichsten Mitleiden oder mit Furcht und Schrecken erfüllen. Auf eine Szene bei der wir uns selbst vergessen und für die handelnden Personen mit dem lebhaftesten Interesse eingenommen werden, folgt sehr oft eine, wo uns eben diese Personen als bloße Gaukler vorkommen, die mit lächerlichem Aufwand, aber zugleich auf die ungeschickteste Weise, den tummen Pöbel in Schrecken oder in Verwunderung zu setzen suchen. In dem man von dem Unsinn, der sich so oft in der Oper zeigt, beleidigt wird, kann man sich nicht entschließen, darüber nachzudenken: aber so bald man sich jene reizende Szenen der lebhaftesten Empfindung erinnert, wünschet man, dass alle Menschen von Geschmack sich vereinigen möchten, um diesem großen Schauspiel die Vollkommenheit zu geben, deren es fähig ist. Ich muss hier wiederholen, was ich schon anderswo gesagt habe [In der Abhandlung sur l'Energie in den Memoires de l'Acad. Roy. des Scien. et Belles-Lettrespour l'Année MDCCLXV]. Die Oper kann das Größte und Wichtigste aller dramatischen Schauspiele sein, weil darin alle schönen Künste ihre Kräfte vereinigen: aber eben dieses Schauspiel beweißt den Leichtsinn der Neuern, die in demselben alle diese Künste zugleich erniedriget und verächtlich gemacht haben.

Da ich mich also nicht entschließen kann, die Oper in diesem Werk ganz zu übergehen; so scheint mir das Beste zu sein, dass ich zuerst das, was mir darin anstößig und den guten Geschmack beleidigend vorkommt, anzeige, danach aber meine Gedanken über die Verbesserung dieses Schauspiels an den Tag lege. Poesie, Musik, Tanzkunst, Malerei und Baukunst vereinigen sich zu Darstellung der Opera. Wir müssen also, um die Verwirrung zu vermeiden, das was jede dieser Künste dabei tut, besonders betrachten.



Inhalt:


Kritik der Operndichtung
Kritik der Opernmusik
Opernstoff und Operndichtung
Gesang und Musik der Oper
Schaubühne, Kostüme, Schauspiel

 © textlog.de 2004 • 29.03.2024 15:39:50 •
Seite zuletzt aktualisiert: 23.10.2004 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright  A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  Z