Cephalus und Prokris


Phokus, des Äakus Sohn, mit Cephalus und den Athenern

Sitzend im schönen Gemach, indes noch ruhte der Vater,

Schaute von unbekanntem Gehölz den geglätteten Wurfspieß,

Welchen Cephalus trug, mit goldener Schärfe gespitzet.

Als in dem Wechselgespräch erst weniges dieser geredet:

Ich bin, sprach er, ein Freund von Gebüsch, und des Wildes Erlegung;

Aber aus welcherlei Baume der Schaft, den du führest, gehaun sei,

Zweifel' ich lange bereits. Fürwahr, wenn's ein eschener wäre,

Gelblich erschiene die Farb'; ein kornellener, wär' er geknotet.

Fremd ist mir das Gewächs; allein nicht schönerer Bildung

Haben ein Wurfgerät je unsere Augen gesehen.

 

Drauf antwortet' ihm einer der attischen Brüder: der Nutzen

Ist noch mehr, denn die Schöne, bewunderungswürdig an jenem.

Denn er erreicht, wohin er auch fliegt; kein blindes Verhängnis

Lenkt ihn: und selber zurück zu dem Sendenden flieget er blutig.

 

Eiferig forscht nach allem nunmehr der nereïsche Jüngling:

Wer ihn verlieh, und warum; und woher solch Ehrengeschenk kam.

 

Jener erzählt, was die Scham ihm vergönnt; und das übrige meldend,

Schweiget er, wes zum Lohn er ihn trug. Voll inniger Wehmut

Um das verlorene Weib, mit quellender Träne beginnt er:

 

Dieses Gerät, (wer glaubt es?) o Sohn der Psamathe, macht mich

Weinen anjetzt, und lange hinfort; wenn lange das Schicksal

Mir zu leben verleiht! Dies hat mich samt der Genossin

Ausgetilgt! Oh, hätt' ich doch nie des Geschenks mich erfreuet!

Prokris war, wenn vielleicht von Orithya der Ruf dir

Tönete, Schwester vordem der geraubeten Orithya;

Und wenn vergleichen du willst die Gestalt und Sitte der beiden,

Würdiger selber des Raubs. Die hat mir der Vater Erechtheus,

Die mir Amor gefügt. Ein Seliger hieß ich, und war ich;

(Nicht den Göttern gefiel's!) und vielleicht noch wär' ich es heute!

 

Kaum der andere Mond nach dem bräutlichen Feste verging uns,

Als mich, welcher das Garn ausspannt den gehörneten Hirschen

Auf dem erhabensten Gipfel des stets umblühten Hymettus,

Früh in der Dämmerung schaut die flammenfarbne Aurora,

Und mit Gewalt mich entrafft. Die Wahrheit gönne die Göttin

Mir zu gestehn! Wie jene mit rosigem Antlitz sich ausnimmt,

Wie auch die Grenze des Lichts, und die Grenze der Nacht sie behauptet,

Wie nektarischer Tau sie ernährt: ich liebete Prokris.

Prokris war in der Brust, und stets in dem Munde mir Prokris.

Ehlichen Bund, und die Neue der Lieb', und die frischen Gemächer,

Unser Wort, da das Lager zuerst wir verließen, erzählt' ich.

Drauf die Göttin gerührt: Unfreundlicher, hemme die Klagen;

Habe denn Prokris hinfort! Einst wünschest du, ahn' ich die Zukunft,

Daß du sie nimmer gehabt! So sprach sie im Zorn, und entließ mich.

 

Weil ich, zurück mich wendend, das Wort der Göttin erwäge,

Steigt allmählich die Furcht, ob der Hochzeit Schwüre die Gattin

Unverrückt mir bewahrt. Die Gestalt und das blühende Alter

Machten mir glaublich den Bruch; ihn macht unglaublich die Sitte.

Doch ich war ja entfernt; doch jene, woher ich zurückkam,

War ja der Schuld Beispiel; doch schreckt ja den Liebenden alles.

Selber ring' ich nach Gram, und mühe mich, redliche Treue

Durch Geschenk zu versuchen. Die Furcht begünstigt' Aurora;

Und sie verwandelte mir (ich glaubt' es zu merken) die Bildung.

 

Unerkennbar geh' ich zur attischen Stadt der Minerva,

Und ich betrete das Haus. Nichts war in dem Hause zu tadeln;

Alles verkündete Zucht, und Sorg' um den fehlenden Hausherrn.

Kaum durch mancherlei List zu der Erechthide gelangend,

Sah ich sie jetzo, und staunt', und verließ beinahe der Treue

Ausgedachten Versuch; schwer hielt ich mich, daß ich die Wahrheit

Eingestand, schwer, daß ich mit ziemenden Küssen ihr nahte.

Traurig saß sie für sich; doch kann nicht schöner ein Weib sein,

Als die traurige war; sie glühete heiß vom Verlangen

Ihres entrißnen Gemahls. Urteile du, welcherlei Anmut,

Phokus, jene geschmückt, die selbst im Kummer noch einnahm.

Was erzähl' ich, wie oft sie meine Versuchungen abtrieb

Mit unreizbarem Sinn! wie oft sie sagte: dem einen

Bin ich getreu, wo er immer auch ist, sein bin ich auf ewig!

Wem von gesundem Verstand war nicht die Probe der Unschuld

Bündig genug? Mir genüget sie nicht; und in eigene Wunden

Wüt' ich, indem für die Gunst ein reiches Geschenk ich verheiße,

Und durch erhöhtere Gabe zuletzt zum Wanken sie bringe.

Und ich rief. ich verstellter, ich heillos handelnder Buhler

Bin dein Gemahl! Treulose, mein eigenes Zeugnis verdammt dich!

Jen' antwortete nichts; nur gebeugt von stiller Beschämung

Floh sie das Haus voll Tücke zugleich mit dem hämischen Gatten;

Und da die Kränkung von mir der Männer Geschlecht ihr verleidet,

Irrte sie durch die Gebirge, den Dienst der Diana besorgend.

 

Doch mir Verlassenen drang noch ungestümere Flamme

Durch das Gebein; ich bekannte den Fehl, und fleht' um Verzeihung.

Ich auch hätte vermocht, gleich ihr, zu erliegen der Schwachheit.

Sagt' ich, nach solchem Geschenk; ward solch ein Geschenk mir geboten!

Als ich dieses bekannt, und die Kränkung der Scham sie gerächet,

Kehrt sie zurück, und verlebt glückselige Jahre der Eintracht.

Überdies, als wäre sie selbst ein zu kleines Geschenk, mir

Schenkt sie den Wurfspieß hier, den du in den Händen mir siehest.

 

Cephalus sprach's, und verstummt. Was tat denn Böses der Wurfspieß?

Fragt' ihn Phokus darauf. Sein Tun verkündiget jener.

 

Freuden sind, o Phokus, der Anfang unseres Leides.

Jene denn meld' ich zuerst. Mich entzückt der Gedanke der alten

Seligkeit, Äakus' Sohn, da in früheren Jahren der Ehe

Froh der Gattin ich war, und froh war jene des Gatten.

 

Zärtlich begegnende Sorg' und gemeinsame Liebe vereint' uns.

Nicht würd' unserer Lieb' auch Jupiters Lager sie vorziehn,

Noch war, mich zu verleiten, ob Venus selber auch käme,

Mächtig ein Weib; gleich brannten in ähnlicher Flamme die Herzen.

 

Wann die Sonne zuerst die Höhn der Berge bestrahlte,

Pflegt' ich jugendlich oft zur Jagd in die Wälder zu gehen.

Weder begleitende Diener, noch Ross' und spürende Hunde,

Ließ ich gehen mit mir, noch knotige Garne mir folgen.

Sicherheit gab mir der Spieß. Doch wann von des Wildes Erlegung

Satt die Rechte mir war, dann sucht' ich erfrischende Schatten,

Und aus luftigem Tale mich sanft anatmende Kühlung.

Kühlung sucht' ich beständig in Mittagsgluten zum Labsal;

Kühlung wünschte mein Herz, um auszuruhn von der Arbeit.

Kühlung, pflegt' ich zu singen, o komm, du liebliche Freundin!

Trösterin, komm, und spiele mir hold um den offenen Busen!

Nahe mir sanft, wie du tust, die brennende Glut mir zu lindern!

Manch liebkosendes Wort (so leitete mich das Verhängnis)

Fügt' ich vielleicht noch hinzu, und: Oh, mir Wonne des Himmels!

Rief ich mit innigem Laut, du, du erquickst mich, und stärkst mich!

Du verschönst mir den Wald, du einsame Wüsten! O laß mich

Deinen Hauch mit lechzendem Mund einatmen, du Süße!

 

Heimlich vernahm aufhorchend, ich weiß nicht wer, des Gesanges

Doppelsinn; er wähnte, die oft gerufene Kühlung

Sei wohl Nymphe des Orts, und meint', ich liebe die Nymphe.

Straks dann geht er zu Prokris, ein unbesonnener Melder

Nichtiger Schuld, und zischelnd vertrauet er, was er gehöret.

Leicht ist die Liebe betört. Sie sank vor betäubender Wehmut,

Wie er erzählt', ohnmächtig dahin; und endlich zum Leben

Wiedergebracht: O mir Armen, mir Unglückseligen! rief sie;

Und wehklagt' um die Treu'; und empört vom eitelen Vorwurf,

Fürchtet sie, was nichts ist, und erschrickt vor dem ledigen Namen,

Ach! und traurt, als wäre die Nebenbuhlerin wirklich.

Oftmals zweifelt sie doch, und hofft sich zu täuschen, die Gute;

Und mißtraut dem Bericht; und wofern nicht selbst sie gesehen,

Will sie nicht verdammen die Untat ihres Gemahles.

 

Gleich, wie die Nacht sich verzog vor dem folgenden Licht der Aurora,

Geh' ich hinaus in den Wald; und vom Sieg' ausruhend im Grünen,

Sang ich: O Schmeichlerin, komm, und lindere mir die Ermattung!

Plötzlich schien wie Geseufz ein dunkeler Laut in die Worte

Meines Gesangs zu ertönen; doch: Komm, Holdselige! rief ich.

Als nun mit leisem Geräusch das gefallene Laub sich bewegte,

Glaubt' ich ein Wild in dem Busch, und sandte den fliegenden Wurfspieß.

Prokis war's; und tragend die Wund' in der Mitte des Busens:

Wehe mir! schrie sie auf. Wie den Ruf der treuesten Gattin

Kaum ich erkannt, so enteil' ich zum Ruf sinnlos und verwildert.

Halb entseelt, die Gewande mit strömendem Blute besudelnd,

Wie sie ihr eignes Geschenk (ich Elender!) zog aus der Wunde,

Find' ich sie dort; und den Leib, der teurer mir war, wie der meine,

Heb' ich mit Armen der Schuld; und das Kleid mir am Busen zerreißend,

Bind' ich die schreckliche Wund', um das Blut, wo möglich, zu hemmen;

Daß sie mich Freveler nicht durch Tod vereinsame, fleh' ich.

 

Jene, der Kräfte beraubt, die schon Hinsterbende, mühsam

Sagt sie das Wenige noch: Bei dem heiligen Bunde des Lagers,

Bei den Unsterblichen fleh' ich, den oberen, ach und den meinen!

Bei den Verdiensten um dich, wofern ich etwas verdienet,

Und bei des Tods Ursache, die jetzt auch dauert, der Liebe!

Nicht in unser Gemach laß gehn die gerufene Freundin!

Prokris sprach's; erst jetzo erkannt' ich den täuschenden Irrtum;

Und ich belehrte sie des. Allein was frommte Belehrung?

Ach sie sank, und es flohn mit dem Blut die wenigen Kräfte.

Und so lange zu schaun sie vermag; mich schaut sie, und in mich

Fließt die bekümmerte Seel', in meine Lippen geatmet.

Heiterer scheinet indes der Beruhigten sterbendes Antlitz.

 

Weinend erzählt es der Held den Weinenden. Siehe, da wandelt

Äakus her mit dem dopplen Geschlecht, und der streitbaren Jugend,

Die er dem Cephalus gibt, mit mächtigen Waffen gerüstet.


 © textlog.de 2004 • 19.03.2024 03:52:26 •
Seite zuletzt aktualisiert: 05.12.2006 
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