Aktäon


Häufig gefärbt war ein Berg mit mancherlei Wildes Ermordung;

Und schon kürzte der Tag die mittleren Schatten der Dinge,

Und gleich weit war entfernt von jeglichem Ende die Sonne:

Als die Genossen der Jagd, die in Dickichten schweiften des Forstes,

So mit ruhigem Mund aussprach der hyantische Jüngling:

 

Feucht ist Garn, o Genossen, und Stahl vom Blute des Wildes;

Glück genug gab heute der Tag. Wann morgen das Licht uns,

Steigend in safranfarbnem Geschirr, Aurora zurückführt,

Dann erneuen wir unser Geschäft. Nun schwebet im Mittel

Beider Gestade die Sonn', und zerreißt mit Gluten die Felder.

Hemmt für jetzo das Werk, und enthebt die geknoteten Garne.

 

Folgsam hören die Männer das Wort, und ruhn von der Arbeit.

Dort war ein Tal voll Föhren und hochgespitzter Zypressen,

Welches Gargaphia hieß, der geschürzten Diana geheiligt.

Eine bewaldete Grott' ist tief im Winkel des Tales,

Ungebildet durch Kunst; doch ahmte der Kunst die Natur nach,

Durch selbständigen Trieb: denn sie hatt' aus lebendem Bimsstein

Und leichthangendem Tof den natürlichen Bogen gewölbet.

Rechts ihr murmelt ein Quell mit sanft durchscheinendem Wasser,

Rings vom grasigen Bord das gebreitete Becken umgürtet.

Hier war's, wo nach der Jagd die ermüdete Göttin der Wälder

Oft mit lauterem Tau jungfräuliche Glieder besprengte.

 

Jetzt auch trat sie hinein, und der waffentragenden Nymphe

Reichte sie Speer und Köcher zugleich mit entspannetem Bogen;

Eine nahm in die Arme den aufgelegeten Mantel;

Zwei entziehn ihr der Füße Geflecht; und die Tochter Ismenus,

Krokale ordnet geschickt das flatternde Haar um den Nacken

Zum geknoteten Wulst, obgleich es ihr selber gelöst hing.

Nephele schöpft das Gesprudel, und Hyale, Psekas und Rhanis,

Phiale auch; und sie strömen herab die geräumigen Urnen.

 

Während Titania hier im gewöhnlichen Borne sich kühlet;

Siehe, da kommt, nach verschobenem Werk, der Enkel des Kadmus,

Durch das fremde Gehölz nachlässige Schritte bewegend,

Und durchdringt den geweiheten Hain: so führt ihn das Schicksal.

Als er kaum in die Grotte mit tauenden Quellen hineintrat;

Plötzlich, entblößt wie sie waren, zerschlugen die Brust sich die Nymphen,

Vor dem gesehenen Mann; von schleunigem Jammergeheul scholl

Rings umher das Gehölz; und sie stürzten sich all um Diana,

Schützend mit eigenem Leibe die Herrscherin: Aber sie selber

Ragte vor allen empor mit überschauendem Antlitz.

So wie mit Gluten gefärbt von der hell ausstrahlenden Sonne

Oftmals entflammt ein Gewölk, wie in Purpurschimmer Aurora:

Also erschien das Gesicht der unverhüllten Diana.

Diese, wiewohl sorgsam der Genossinnen Trupp sie umdrängte,

Stand doch quer auf die Seite geschmiegt, und beugte das Antlitz

Rückwärts, und mit dem Wunsch, bei der Hand die Pfeile zu haben,

Schöpfte sie, was sie hatte, die Flut, und beströmte des Mannes

Angesicht, und das triefende Haar, mit rächenden Wassern;

Und im Sprengen erhub sie die Graun weissagenden Worte:

 

Jetzo verkündige du, ich sei unverhüllt dir erschienen,

Wenn du verkündigen kannst! Und schnell, nicht mehreres drohend,

Gibt sie dem Haupt das Gehörn des uralt werdenden Hirsches,

Streckt in die Länge den Hals, und spitzt die gegipfelten Ohren;

Auch zu Füßen die Händ', und zu ragenden Beinen die Arme,

Wandelt sie ihm, und kleidet mit fleckigem Balge die Glieder;

Ängstlichkeit fügt sie hinzu: es entflieht der Autonoe Sprößling,

Mitten im hurtigen Lauf die eigene Schnelle bewundernd.

 

Aber sobald er im Wasser das Antlitz gesehn und die Hörner:

Wehe mir, weh! so begann er den Ruf; stumm haftet das Wort ihm.

Seufzer vertreten das Wort; und ihm stürzet die Trän' auf die Wangen,

Ach, nicht seine! hinab: nur bleibt ihm die alte Besinnung.

Was zu tun? Heimkehren vielleicht zum Königspalaste?

Oder sich bergen im Wald? Hier Furcht, dort schrecket die Scham ihn.

 

Ihn, den Zweifelnden, schauten die Hund', und der erste, Melampus,

Gab, mit dem Spürer Ichnobates, gleich laut bellend das Zeichen.

Gnosier war von Geburt Ichnobates, Sparter Melampus.

Alle nun kamen daher wie die stürmenden Winde geflogen:

Pamphagus, Dorkeus auch, und Oribasus, Arkader alle;

Auch des Nebrophonos Kraft, und der trotzige Theron mit Lälaps;

Pterelas, hurtig zu Fuß, und Agre mit witternder Schnauze;

Und Hyläus, den jüngst ein rasender Eber verwundet;

Nape, gezeugt vom Samen des Wolfs, und der Herde Gesellin

Pömenis; auch Harpya, von Zwillingssöhnen begleitet;

Und mit schmächtiger Weiche der Sikyonier Ladon;

Dromas und Stikte zugleich, und Kanache, Tigris und Alke,

Leukon mit weißlichen Zotten, und Asbolus wallend mit schwarzen;

Auch der gewaltige Lakon, und tapferen Laufes Aëllo;

Thous zugleich, und rasch mit dem cyprischen Bruder Lyciska;

Und, an der dunkelen Stirne mit schneeiger Blasse gezeichnet,

Harpalos, Melaneus auch, und die rauchgezottelte Lachne;

Auch von diktätischem Vater gezeugt und lakonischer Mutter,

Labros, Agriodos auch, und mit gellender Stimme Hylaktor;

Und die zu nennen verdreußt. Sie all, in Begierde des Raubes,

Eilen durch Fels und Geklipp, und des Zugangs mangelnde Zacken,

Schwierige Bahnen sowohl, als Ungebahntes, durchstürmend.

Jener entflieht durch Örter, wo oft zu verfolgen er pflegte;

Ach, selbst flieht er das eigne Gesind'! Ausrufen nun wollt' er:

Schonet! ich bin Aktäon! Erkennt ihr eueren Herrn nicht?

Worte gebrachen dem Geist. Es erschallt vom Gebelle der Äther.

 

Melanchätes zuerst verwundete jenem den Rücken;

Nächst ihm Theridamas auch; Oresitrophos packte den Bug an.

Später liefen sie aus; doch den Richtsteig wählend des Berges,

Kamen im Lauf sie zuvor, da den Herrn aufhielten die andern.

Ringsher strömt das Gewühl, und dränget die Zähn' in die Glieder.

Und schon fehlt zu Wunden der Ort. Tief seufzt er, und winselt,

Ach, ein Getön, wenn auch nicht ein menschliches, doch wie ein Hirsch nie

Winselte; und er erfüllt die vertraulichen Höhen mit Angstruf

Demutsvoll auf die Knie gestreckt, und dem Bittenden ähnlich,

Wendet er schweigend umher, statt flehender Arme, das Antlitz.

 

Doch das Gefolg', unkundig der Tat, mit gewohnter Ermahnung

Hetzt es den reißenden Trupp, und sucht mit den Augen Aktäon;

Und als wär' er entfernt, so rufen sie eifernd Aktäon.

Jener kehrt nach dem Namen das Haupt. Daß er fern sei, beklagt man,

Und daß träg' er versäume die Schau des gebotenen Fanges.

Fern, ach, wünscht' er zu sein; nah weilet er! selber mit ansehn

Möcht' er, allein nicht fühlen, die Wut der traulichen Hunde!

Rings umstehn sie, und tauchen das Maul in den Leib, und zerreißen

Selbst den eigenen Herrn in Gestalt des täuschenden Hirsches.


 © textlog.de 2004 • 19.03.2024 12:45:27 •
Seite zuletzt aktualisiert: 05.12.2006 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright