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Irrtum

Irrtum. „Irrtümer entspringen nicht allein daher, weil man gewisse Dinge nicht weiß, sondern weil man sich zu urteilen unternimmt, ob man gleich noch nicht alles weiß, was dazu erfordert wird.“ „Daher ist es möglich, den Irrtümern zu entgehen, wenn man gewisse und deutliche Erkenntnisse aufsucht, ohne gleichwohl sich der Definitionen so leicht anzumaßen“, Nat. Theol. 3. Btr. § 2 (V 1, 137). „Man irrt nicht deswegen, weil der Verstand die Begriffe regellos verknüpft, sondern weil man dasjenige Merkmal, was man in einem Dinge nicht wahrnimmt, auch von ihm verneint und urteilt, daß dasjenige nicht sei, wessen man sich in einem Dinge nicht bewußt ist“, ibid. § 1 (V 1, 135). Irrtum und Wahrheit sind nur im Urteil. Die Sinne irren nicht, weil sie nicht urteilen; in einer Erkenntnis, die mit den Verstandesgesetzen durchgängig zusammenstimmt, ist kein Irrtum. Der Irrtum wird „durch den unbemerkten Einfluß der Sinnlichkeit auf den Verstand“ bewirkt, „wodurch es geschieht, daß die subjektiven Gründe des Urteils mit den objektiven zusammenfließen und diese von ihrer Bestimmung abweichend machen“. Das irrige Urteil ist also „die Diagonale zwischen zwei Kräften“, KrV tr. Dial. Einl. I (I 314 f.—Rc 380 ff.); vgl. Schein.

„Das Gegenteil von der Wahrheit ist die Falschheit, welche, sofern sie für Wahrheit gehalten wird, Irrtum heißt. — Ein irriges Urteil — denn der Irrtum sowohl als Wahrheit ist nur im Urteile — ist also ein solches, welches den Schein der Wahrheit mit der Wahrheit selbst verwechselt.“ „Wie Wahrheit möglich sei: — das ist leicht einzusehen, da hier der Verstand nach seinen wesentlichen Gesetzen handelt. Wie aber Irrtum in formaler Bedeutung des Wortes, d. h. wie die verstandeswidrige Form des Denkens möglich sei: das ist schwer zu begreifen, so wie es überhaupt nicht zu begreifen ist, wie irgendeine Kraft von ihren eigenen wesentlichen Gesetzen abweichen solle.“ „Im Verstande selbst und dessen wesentlichen Gesetzen können wir also den Grund der Irrtümer nicht suchen, so wenig als in den Schranken des Verstandes, in denen zwar die Ursache der Unwissenheit, keineswegs aber des Irrtumes liegt. Hätten wir nun keine andere Erkenntniskraft als den Verstand, so würden wir nie irren. Allein es liegt, außer dem Verstande, noch eine andere unentbehrliche Erkenntnisquelle in uns. Das ist die Sinnlichkeit, die uns den Stoff zum Denken gibt und dabei nach anderen Gesetzen wirkt als der Verstand. — Aus der Sinnlichkeit, an und für sich selbst betrachtet, kann aber der Irrtum auch nicht entspringen, weil die Sinne gar nicht urteilen.“ „Der Entstehungsgrund alles Irrtumes wird daher einzig und allein in dem unvermerkten Einflüsse der Sinnlichkeit auf den Verstand, oder genauer zu reden, auf das Urteil gesucht werden müssen. Dieser Einfluß nämlich macht, daß wir im Urteilen bloß subjektive Gründe für objektive halten und folglich den bloßen Schein der Wahrheit mit der Wahrheit selbst verwechseln. Denn darin besteht eben das Wesen des Scheins, der um deswillen als ein Grund anzusehen ist, eine falsche Erkenntnis für wahr zu halten.“ „Was den Irrtum möglich macht, ist also der Schein, nach welchem im Urteile das bloß Subjektive mit dem Objektiven verwechselt wird.“ Urheber der Irrtümer ist der Verstand nur aus Mangel an erforderlicher Aufmerksamkeit auf den Einfluß der Sinnlichkeit. Zum Irrtum „verleitet uns unser eigener Hang zu urteilen und zu entscheiden, auch da, wo wir wegen unserer Begrenztheit zu urteilen und zu entscheiden nicht vermögend sind“. „Aller Irrtum, in welchen der menschliche Verstand geraten kann, ist aber nur partial, und in jedem irrigen Urteile muß immer etwas Wahres liegen. Denn ein totaler Irrtum wäre ein gänzlicher Widerstreit wider die Gesetze des Verstandes und der Vernunft.“ Um Irrtümer zu vermeiden, muß man die „Quelle derselben, den Schein“ zu entdecken und zu erklären suchen. Der gemeine Menschenverstand ist „auch an sich ein Probierstein, um die Fehler des künstlichen Verstandesgebrauches zu entdecken“. „Allgemeine Regeln und Bedingungen der Vermeidung des Irrtums sind 1. selbst zu denken, 2. sich an die Stelle eines anderen zu denken, und 3. jederzeit mit sich selbst einstimmig zu denken“, Log. Einl. VII (IV 58 ff.). „Der Irrtum entspringt 1. aus der Begierde zum Erkenntnisse. 2. Aus dem Mangel der nötigen Grundbegriffe. 3. Aus der Unterlassung der Aufmerksamkeit“, N 2242. „Wir können uns nur des Irrtums bewußt werden durch unsern Verstand, und wir können also nur irren, indem der Verstand seinen eignen Regeln entgegen handelt. Dieses aber ist unmöglich.“ Wie der gesetzmäßig fallende Körper nur durch äußeren Widerstand abgelenkt werden kann, „so verknüpfen sich mit den Urteilen des Verstandes andere Tätigkeiten der Seele als der Reiz, Einbildung usw. und man irret, indem man sich dieser vermischten Wirkung als eines Verstandesurteils bewußt wird“, N 2244. „Wenn wir eine reine Vernunft und reinen Verstand hätten, so würden wir niemals irren; und wenn wir einen reinen Willen hätten (ohne Neigung), so würden wir nicht sündigen“, N 2246. Vgl. Schein, Dialektik, Wahrheit, Sinnestäuschung, Sinn.