Laune

Laune. (Schöne Künste) Bedeutet eben das, was man gemeiniglich auch im Deutschen mit dem französischen Wort Humeur ausdrückt; nämlich eine Gemütsfassung in der eine unbestimmte angenehme oder verdrießliche Empfindung so herrschend ist, dass alle Vorstellungen und Äußerungen der Seele davon angesteckt werden. Sie ist ein leidenschaftlicher Zustand, in dem die Leidenschaft nicht heftig ist, keinen bestimmten Gegenstand hat; sondern bloß das Angenehme oder Unangenehme das sie hat, über die ganze Seele verbreitet. In einer lustigen Laune sieht man alles von der ergötzenden und belustigenden Seite, in einer verdrießlichen aber, ist alles verdrießlich. Wie ein von gelber Galle kranker Mensch alles gelb sieht, so erscheint einem Menschen in guter oder übler Laune alles lustig oder verdrießlich; seine Urteile, Empfindungen, Handlungen, haben dann etwas falsches oder übertriebenes an sich. Von der Laune wird die Vernunft nicht so völlig als von der heftigen Leidenschaft gehemmet; aber sie bekommt doch eine schiefe Lenkung, dass sie keinen Gegenstand in seiner wahren Gestalt oder in seinem eigentlichen Verhältnis sieht. Menschen von lebhafter und sehr empfindsamer Gemütsart, denen es sonst an Vernunft nicht fehlet, werden von Gegenständen, die lebhaften Eindruck auf sie machen, so ganz durchdrungen, dass sie eine Zeitlang halb aus Überlegung und halb aus blinder Empfindung handeln und urteilen; und in diesem Zustande schreibt man ihnen eine Laune zu. In Absicht auf die schönen Künste ist dieser Zustand wichtig; denn die Laune vertritt nicht selten die Stelle der Begeisterung, indem sie das Gemüt des Künstlers in den Ton stimmt, der sich zu seinem Gegenstand schickt und auch nicht selten die eigentlichsten Einfälle, Gedanken und Bilder darbietet: facit indignatio versum. Gar oft hat der Künstler keine Muse zum Beistand als seine Laune. Jedes lyrische Gedicht muss von der Laune seinen Ton bekommen. Die Horazische Ode an den über See seegelnden Virgil, ist fast ganz die Wirkung der verdrießlichen Laune des Dichters, der um seinen Freund besorgt ist. Alles kommt ihm gefährlicher vor als es ist und er schimpft in dieser Laune auf die Verwegenheit des Menschen, die diese Art zu reisen erfunden hat.

 Wir beobachten den Menschen nie mit mehr Aufmerksamkeit als wenn wir ihn in einer merklichen Laune sehen; auch ist in diesen Umständen fast alles, was wir an ihm sehen, belustigend oder lehrreich. Was wir in seiner wahren Gestalt und mit seinen natürlichen Farben sehen, das sieht der launige Mensch in veränderter Gestalt und in verfälschter Farbe. Es befremdet uns, dass er die Sachen nicht so sieht, wie wir; und daher nähert sich der launige Zustand dem Lächerlichen und dient uns zu belustigen. Lehrreich ist er für den Philosophen, der daraus erkennen lernt, auf wie vielerlei seltsame Weise die Urteile verdräht werden und wie die wunderlichsten Trugschlüsse entstehen.

 Auf der komischen Schaubühne macht die Laune der Hauptpersonen oft das Vornehmste aus. Nichts ist belustigender zu sehen und zu hören als die Farb und der Ton, den die Laune allen Handlungen und Urteilen der Menschen gibt; und die merkwürdigsten Gegensätze entstehen da, wo Personen von entgegengesetzter Laune sich für einerlei Gegenstände intreßiren, da der eine alles von der verdrießlichen, der andere von der lustigen Seite ansieht. Der Dichter hat auch nirgendwo bessere Gelegenheit als bei solchen Contrasten, uns die gerade Richtung der Vernunft sichtbar zu machen. Die wichtigsten Beobachtungen, die der Mensch über sich selbst machen könnte, wären ohne Zweifel die, die er über den Einfluss seiner Laune, auf seine Urteile machen würde. Wir müssen uns oft über uns selbst verwundern, dass wir zu verschiedenen Zeiten, so verschiedene Urteile über dieselben Sachen fällen. Sie sind eine Wirkung der Laune. Der komische Schauspieler kann uns dergleichen Beobachtungen erleichtern.

Wer für die komische Bühne arbeiten will, muss sich in jede Art der Laune zu setzen wissen. Darin fin det er das sicherste Hülfsmittel, den Zuschauer zu ergötzen und zu unterrichten. Darum ist es sein Hauptstudium die Menschen in jeder Gattung der Laune zu beobachten. Er kann es als eine Grundmaxime annehmen, dass er gewiss nur in den Szenen recht glücklich ist, wo es ihm gelungen, sich selbst in die Laune zu setzen, die er zu schildern hat. Auch in dem gemäßigten lyrischen Ton, besonders in Liedern, tut die Laune fast alles. Man merkt es gar bald, wenn das Gemüt des Dichters nicht in dem Ton gestimmt gewesen, den er annimmt. Wir ergötzen uns an der wollüstigen Laune des Anakreons, die ihn so naiv macht; aber bei so manchen seiner deutschen Nachahmer verrät sich gar bald eine wirklich wilde und ausschweifende Gemütsart, die nichts als Ekel erweckt.

 Die Reden und Handlungen, die aus Laune entstehen, gefallen allemal, wegen des sonderbaren und charakteristischen, das darin ist. Das Allgemeine und Alltägliche hat nichts, das die Aufmerksamkeit reizt; aber jede merkliche Laune hat etwas an sich, das uns gefällt und wobei wir mit Vergnügen die Abweichungen von der ruhigen Vernunft beobachten. Die Laune ist die wahre Würze der komischen Handlung und wer nicht launisch sein kann, wird in diesem Fach nie etwas ausrichten; durch bloße Vernunft kann keine gute Komödie gemacht werden.

 


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