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Affekt

Affekt (lat. affectus = Gemütszustand, gr. pathos) heißt eine vorübergehende, zusammenhängende, stärkere Gemütsbewegung, welche durch äußere Ursachen oder psychische Vorgänge veranlaßt wird und unseren geistigen und leiblichen Zustand stark beeinflußt. Der Affekt hat eine bestimmte Entwicklung, in welcher Anfangsgefühl, Vorstellungsverlauf und Endgefühl unterschieden werden können. Bewußtseinsstärke, Willen, Blutumlauf, Atmung, Absonderung der Drüsen, Muskeltätigkeit und Gliederbewegungen werden durch den Affekt entweder gefördert oder gehemmt. Im Affekt gerät der Mensch, wie man sagt, »außer sich«. Die Wucht, mit der die Affekte auftreten, und die Art, wie sie verlaufen, richtet sich einerseits nach der Konstitution und dem Temperament, nach der Erziehung und dem Bildungsstandpunkt des Menschen, andrerseits nach dem äußeren Anlaß.

Kant (1724-1804) definiert den Affekt als das Gefühl einer Lust oder Unlust im gegenwärtigen Zustande, welche im Subjekt die Überlegung (die Vernunftvorstellung, ob man sich ihm überlassen oder weigern solle) nicht aufkommen läßt, (Anthrop. § 70) oder als Überraschung durch Empfindung, wodurch die Fassung des Gemüts (animus sui compos) aufgehoben wird. (Anthrop. § 71). Man kann die Affekte mit ihm einteilen in sthenische (wackere), welche unser Lebensgefühl fördern, und asthenische (schmelzende), die es hemmen (Anthrop. § 73), oder mit Nahlowsky in aktive und passive oder mit Drobisch in Affekte der Überfüllung und Entleerung. Zu jenen gehören z. B. Zorn, Freude, Begeisterung; zu diesen Scham, Furcht, Verzweiflung. Jene sind dem Rausch, diese der Ohnmacht vergleichbar. Möglich ist auch eine Einteilung der Affekte in allgemeine und besondere. Jene bestehen in einem gesteigerten Gefühl der Lust und Unlust, ohne daß sie eine besondere Eigenart zeigen. Diese dagegen sind 1) Affekte der Erwartung: so Ungeduld, Hoffnung, Verzweiflung, Furcht, Schreck, Überraschung. Sie gründen sich 2) auf ästhetisches Wohlgefallen resp. Mißfallen: so Bewunderung, Schwärmerei, Entzücken und ihr Gegenteil. Sie sind 3) intellektuelle Affekte: so Verlegenheit, Verblüffung, Staunen, Begeisterung. Es gibt 4) moralisch-religiöse Affekte: so Entrüstung, Rührung, Scham, Reue, Verzückung. 5) Aus dem Selbstgefühl entspringen: Mut, Übermut, Zorn, Kleinmut, Niedergeschlagenheit, 6) aus der Antipathie: Neid, Schadenfreude, Groll und Ingrimm. Wundt (geb. 1832) definiert den Affekt als eine zeitliche Folge von Gefühlen, die sich zu einem zusammenhängenden Verlaufe verbindet und sich gegenüber den vorausgegangenen und nachfolgenden Vorgängen als ein eigenartiges Ganzes absondert, das im allgemeinen zugleich intensivere Wirkungen auf das Subjekt ausübt, als ein einzelnes Gefühl; er scheidet die Affekte nach der Qualität in Affekte der Lust und Unlust, nach der Intensität in schwache und starke, nach der Verlaufsform in plötzliche, allmählich ansteigende und intermittierende. (Wundt, Grundriß d. Psychologie 1905, § 13.)

Die Befreiung von Affekten kann einerseits dadurch geschehen, daß man die Anlässe dazu wirklich oder in der Vorstellung des Menschen beseitigt, oder anderseits dadurch, daß der Mensch sich selbst zwingt und überwindet. Ist z. B. jemand in Zorn, so pflegt der Affekt sich zu lösen, wenn man ihm den Gegenstand, der ihn dazu reizt, aus den Augen oder aus dem Sinn schafft und indem man ihn mit anderen Vorstellungen lebhaft beschäftigt. Die Befreiung von den Affekten durch Selbstüberwindung ist die ethische Grundforderung Spinozas.

Die Bestimmung des Begriffs der Affekte hat vielfach geschwankt. Bald sind die Affekte enger nur als Gemütsbewegungen gefaßt worden, bald sind sie weiter auch als Willensvorgänge gedacht, bald sind sie als vorübergehende Zustände, bald auch als dauernde Zustände definiert und dann mit den Leidenschaften (s. d.) vermischt worden. Vielfach greift die Erörterung über die Affekte in die Ethik ein. Die Kyrenaiker (im 4. Jhrh. v. Chr.) unterschieden zwei Affekte (pathê), nämlich ponos und hêdonê, Unlust und Lust, und sahen in jener eine reißende, in dieser eine sanfte Bewegung (Kyrênaikoi – dyo pathê hyphistanto, ponon kai hêdonên; tên men leian kinêsin, tên hêdonên; ton de ponon tracheian kinêsin Diog. Laert II, 8 § 86.) Die Lust ist nach Aristippos’ (um 435-355) Lehre das Ziel des Lebens.

Aristoteles (384-322) definiert die Affekte als seelische Vorgänge, die mit Lust oder Unlust verbunden sind (legô de pathê – hois hepetai hêdonê ê lypê. Eth. Nicom. II 4 p. 1105b 21-23). Er zählt folgende Affekte auf: epithymia (Begierde), orgê (Zorn), phobos (Furcht), thrasos (Mut), phthonos (Neid), chara (Freude), philia (Freundschaft), misos (Haß), pothos (Sehnsucht), zêlos (Eifer), eleos (Mitleid). Er ist sich aber auch bewußt, daß diese Seelenvorgänge mit körperlichen verbunden sind (eoike de kai ta tês psychês pathê panta einai meta sômatos) und führt als Beispiele solcher seelisch-körperlichen Vorgänge thymos (Erregung), praotês (Sanftmut), phobos (Furcht), eleos (Mitleid), thrasos (Mut), to philein (Liebe), to misein (Haß) an (De anim. Ip. 403 a 16-18).

Die Stoiker sahen von Zenon (350-258) ab in den Affekten vernunftlose und naturwidrige Gemütsbewegungen oder das Maß überschreitende Triebe. (’Esti de auto to pathos, kata Zênôna, hê alogos kai para physin psychês kinêsis ê hormê pleonazousa Diog. Laert. VII, 63 § 110). Sie entspringen aus Fehlern des Urteils, aus falschen Meinungen über gegenwärtige oder zukünftige Güter und Übel. Aus der falschen Meinung über gegenwärtige Güter entspringt die Lust (hêdonê), über zukünftige die Begierde (epithymia); aus der falschen Meinung über gegenwärtige Übel entspringt die Bekümmernis (lypê),über zukünftige die Furcht (phobos) tou pathous – prôta – einai – tessara, epithymian, phobon, lypên, hêdonên. epithymian men oun kai phobon proêgeisthai, tên men pros to phainomenon agathon, tên de pros to phainomenon kakon. epigignesthai de toutois hêdonên kai lypên, hêdonên men hotan tynchanômen hôn epithymoumen ê ekphygômen, ha ephoboumetha, lypên de hotan apotynchanômen hôn epithymoumen ê peripesômen, hois ephoboumetha. (Stobaios Eclog. II, 166-168). Die Tugend wird nur erlangt durch Überwindung der Affekte.

Von den neueren Philosophen versteht Descartes (1596-1650) unter den Affekten (passiones) Vorstellungen oder Empfindungen oder Erregtheiten der Seele, die man nur auf sie selbst bezieht und die durch gewisse Bewegungen der Lebensgeister bewirkt, unterhalten und verstärkt werden (Pass. anim. I, 27). Er unterscheidet sechs Grundaffekte: Bewunderung, Liebe, Haß, Verlangen, Freude, Traurigkeit. – Spinoza (1632-1677) nimmt als Grundaffekte nur die drei: Verlangen, Freude, Traurigkeit an und gründet auf die Lehre von den Affekten seine Ethik. Er versteht unter den Affekten Zustände des Körpers, durch welche die Fähigkeit desselben zu handeln vermehrt oder vermindert, gefördert oder eingeschränkt wird, und zugleich die Ideen dieser Zustände (corporis affectiones quibus ipsius corporis agendi potentia augetur vel minuitur, iuvatur vel coërcetur, et simul harum affectionum ideas Eth. III, 3). Der den Affekten unterworfene Mensch ist unfrei. Der über die Affekte siegende Mensch ist frei. Diese Befreiung erfolgt durch die wahre Erkenntnis der Affekte, die in die intellektuelle Gottesliebe ausmündet (Eth. III – V). Kants und Wundts Einteilung der Affekte ist bereits berührt. Vgl. Lotze, Medizinische Psychologie, S. 441f., Waitz, Psychologie § 44, Feuchtersleben, Diätetik der Seele VI – VIII, Wundt, Grundz. d. phys. Psych. II, 404 ff. Bain, the emotions and the will 1859, Ribot, psychologie des sentiments 1896. Essai sur les passions Paris 1907.