Zum Hauptinhalt springen

Abstrakt

Abstrakt (lat.), abgezogen, heißt ein Begriff, welcher durch Abstrahieren (s. d.) gebildet ist, also von dem Individuellen und Zufälligen des Einzelobjekts befreit ist und nur die mehreren konkreten Dingen oder Vorstellungen gemeinsamen, wesentlichen (s. d.) Merkmale enthält. So ergibt die Vergleichung von Bäumen, Sträuchern, Blumen, Moosen usw. den abstrakten Begriff einer Pflanze, während wir durch Betrachtung des einzelnen Baumes nach allen seinen Merkmalen den konkreten Begriff einer Pflanze finden. Die Vergleichung verschiedener ausdauernder Holzgewächse mit Stamm und Krone und die Zusammenfassung der ihnen gemeinsamen Merkmale ergibt den abstrakten Begriff Baum. Auf dieselbe Weise bilden wir Abstrakta auf dem Gebiete jeder Wissenschaft, z. B. Staat, Kirche, Tugend, Menschenliebe u. s. f. Mit Ausnahme der Eigennamen bezeichnen alle Worte der Sprache abstrakte Begriffe, können aber von dem Sprechenden im okkasionellen Gebrauch überall konkret gebraucht werden. (Vgl. Sprache.) Weil ein abstrakter Begriff nicht bloß von einem Gegenstand gilt, sondern als Merkmal in verschiedenen Dingen vorkommt, nennt man ihn auch einen allgemeineren oder höheren; vgl. die Stufenreihe der Begriffe: Sokrates, Athener, Grieche, Mensch. Verliert man bei der Bildung abstrakter Begriffe den konkreten Ausgangspunkt und die leitenden Gesichtspunkte aus dem Auge, so wird der Begriff leer. Daher kann durch das beziehungslose Abstrahieren kein rechtes Wissen erlangt werden. Der erste Philosoph, der die Kunst des Abstrahierens praktisch übte und zwar auf ethischem, nicht auf mathematischem oder naturwissenschaftlichem Gebiete, war Sokrates (469-399). Aristoteles (384-322) stellte die Abstraktion (aphairesis) der Determination (prosthesis) (s. d.) entgegen (Met. XII, 2p. 1077b, 9f.), verstand aber unter dem Abstrakten die von der Materie losgelöste Form, z. B. die mathematische Größe. Die spätere Logik bildete namentlich in der Neuzeit das Verfahren des Abstrahierens methodisch aus. Vgl. Überweg, Logik § 51. – Im Sprachgebrauche der Grammatik versteht man unter einem Abstraktum in Anlehnung an Aristoteles etwas, das nur selbständig gedacht wird, während zur Bezeichnung für einen Gegenstand, der von Natur selbständig ist, Konkretum genommen wird. Vgl. Überweg, Logik § 47. Eucken, Geistige Strömungen. Leipzig 1904, S. 52.