Annibale Caracci



- Rom: Palazzo Farnese, San Gregorio


Annibale begab sich demzufolge im Jahr 1600 nach Rom und begann nun, nachdem er sich dem Kardinal durch ein Bild der heil. Katharina empfohlen hatte, seine Tätigkeit. Er war ungemein fleißig und unter dem Eindruck der Antiken, der Werke Michelangelos und Raphaels, entwickelte sich jetzt auch hier sein Stil, der sich bis daher noch, immer in den Reminiszenzen des Correggio und Paolo Veronese bewegt hatte, zu jener Macht der Darstellung, welche die Elemente jener großen Meister und der Werke des klassischen Altertums, wie er sie verstand, zu vereinigen strebte. Durch das Studium dieser erhabenen Kunstmonumente erkannte er, dass zur Vollendung der Malerei noch etwas anderes gehöre, als Farbe, Helldunkel und Harmonie — die ideale Form, und in seinen Gemälden bemerkte man fortan eine viel reinere und schönere Zeichnung, was auch sogleich auf seine Schüler überging; denn diejenigen von ihnen, welche ihm nach Rom folgten und nach seinem Tode in dieser Stadt noch fortarbeiteten, zeichneten sich besonders dadurch vor denen die in Bologna unter der Leitung seines Oheims zurückgebliehen waren, vorteilhaft aus.  

Das erste Bild, welches er in Rom malte, war ein Christus mit dem kananäischen Weib für die Kapelle des Kardinals Farnese. Sodann überging er eine von seinem Schüler Lucio Massari für einen Edelmann des Kardinals ausgeführte Kopie eines seiner eigenen Gemälde im Dom zu Reggio, eine h. Margaretha, welche in der Kirche Santa Caterina de' Funari zu Rom aufgestellt wurde, und malte hernach in dem Giebelfelde des nach seiner Zeichnung ausgeführten Tabernakels, welches jenes Gemälde umgibt, selbst eine Krönung der heil. Jungfrau. Indem er sich sofort anschickte, die ihm aufgetragenen Gemälde im Palazzo Farnese zu entwerfen, wurde er in den Erfindungen derselben durch seinen wissenschaftlich gebildeten Bruder Agostino, den er deshalb nach Rom berufen, und den gelehrten Prälaten Giov. Bat. Agucchi vielfach unterstützt. Ehe er aber Hand an deren Ausführung legte, malte er vorher noch eine Reihenfolge von Bildern in einem Kabinet desselben Palastes, in denen er Herkules am Scheidewege, denselben, wie er die Welt trägt und wie er von seinen Arbeiten ausruht; Amphinomus und Anapus, ihre Eltern aus dem brennenden Catania rettend; Ulysses bei Circe; Ulysses und die Sirenen; Perseus, im Begriffe das Haupt der Medusa vom Rumpf zu trennen (sämtliche Bilder gest. v. N. Mignard) darstellte. Während er sich sodann mit den Malereien im Palazzo Farnese beschäftigte, entstanden überdies mehrere Altargemälde für verschiedene Kirchen Roms, u.a. eine Himmelfahrt der Maria in einer Kapelle von Santa Maria del Popolo (die drei Gemälde am hinteren Tonnengewölbe derselben Kapelle wurden nach seinen Erfindungen von seinem Schüler Innocenzio Tacconi ausgeführt); den heil. Gregor betend, von einigen Engeln umgeben, in San Gregorio; die Mutter Gottes mit dem Leichnam Christi nebst der h. Magdalena und dem h. Franciscus u.s.w. Auch führte er viele andere Bilder aus der heiligen und Profangeschichte, aus der Mythologie Und nach eigener Erfindung, die sich in den verschiedenen europäischen Galerien und Kabinetten befinden, aus.  

Acht Jahre lang hatte sich Annibale mit den Gemälden im Palazzo Farnese beschäftigt, auch unter der Zeit die Freude erlebt, seinen Oheim bei sich zu sehen, der auf sein inständiges Ersuchen im Jahr 1602 nach Rom gekommen war, dem Neffen bei seinen Malereien in allen nötigen Sachen mit Rat und Tat treulich beigestanden, ihm mehrere Bilder übergangen, auch Einiges eigenhändig selbst gemalt hatte. Die Bilder des 90 Palm langen und 25 Palm breiten Saals dieser sogegenannten Galerie Farnese stellen Gegenstände aus der alten Mythologie, und zwar: in der Mitte des Deckengewölbes den Triumph des Bacchus und der Ariadne; in zwei Bildern zu beiden Seiten jenes Gemäldes: Pan, der die Wolle seiner Ziege der Diana zum Opfer bringt, und Merkur, welcher dem Parts den Apfel überreicht. Die beiden folgenden Darstellungen: Aurora mit dem von ihr geraubten Cephalus und Galathea auf dem Meere*) sind von Agostino (siehe diesen) gemalt. Unter die Hauptbilder gehört ferner: Polyphem, welcher, um die Gunst der Galathea zu erwerben, auf der Syrinx spielt und wie er dem mit der Galathea entfliehenden Acis ein Felsenstück nachwirft. Über diesen beiden Gemälden ist in zwei kleineren Bildern Apollo, der den Hyazinthus raubt und die Entführung des Ganymed durch den Adler Jupiters vorgestellt. In vier anderen ebenfalls kleineren Bildern sieht man: Juno, die mit dem Gürtel der Venus geschmückt zu Jupiter kommt; Luna, die den schlafenden Endymion umarmt; Herkules und Omphale; Anchises, die Venus Ton dem Kothurn entkleidend. — Die in acht Rundungen in Bronzefarbe gemalten Reliefs zeigen folgende Gegenstände: Leander, zu der Hera schwimmend; Pan, der die Syrinx verfolgt; Salmacis, den Hermaphrodit umarmend; Amor, einen Pan an einen Baum bindend; Apollo, der den Marsyas schindet; den Raub der Orityia durch Boreas; Eurydike, die in die Unterwelt zurückgerufen wird und die Entführung der Europa durch Jupiter. — Die beiden großen Gemälde an den schmalen Seitenwänden des Saals stellen dar: Perseus, wie er den Phineus und seine Gefährten durch das Haupt der Meduse in Steine verwandelt, und Perseus, wie er damit die Andromeda von dem Meerwunder befreit. — Über den Nischen und Fenstern sieht man in acht kleinen Bildern: Arion, der von einem Delphin über das Meer getragen wird; Prometheus, den von ihm gebildeten Menschen belebend; Herkules, den Drachen erlegend, der die Apfel der Hesperiden bewachte; Herkules, den Prometheus befreiend; Ikarus, der ins Meer stürzt; die Entdeckung der Schwangerschaft der Calisto; die Verwandlung derselben in eine Bärin; Apollo, der aus den Händen Merkars die Leier empfängt. Sodann über dem Eingang in einem kleinen sehr anmutigen von Dominichino nach Annibale's Karton gemalten Bilde: ein Mädchen, das ein Einhorn, ein Sinnbild des Farneseschen Hauses liebkost. Endlich sollen die aus zwei Amoren bestehenden Gruppen an jeder der vier Ecken des Deckengewölbes in dem Kampfe und der Vereinigung der irdischen und himmlischen Liebe die allegorische Bedeutung des Zyklus der mythologischen Bilder des ganzen Saals versinnlichen.  

Diese von Annibale mit Hülfe seines Bruders und seiner Schüler Domenichino, Lanfranco und Guido Reni ausgeführten Freskogemälde (gest. von Pietro Aquila in 21 Blättern; von Carlo Cesio in 41 Blättern; von J. Belly in 52 Blättern), zeigen die von den Caracci eingehaltene Kunstrichtung in ihrer vorzüglichsten Vollkommenheit. Von künstlerischer Seite aus sind sie der höchsten Bewunderung wert. Schon die Technik des Fresko hat kein vollendeteres Vorbild aufzuweisen; dann ist die Verteilung an dem Gewölbe des großen Saales so ausgezeichnet geistreich und glücklich, dass sie in Beziehung auf malerische Anordnung nur von der Decke der sixtinischen Kapelle, deren nackte Ausfüllungsfiguren, als belebte architektonische Kräfte, hier in freier Weise nachgeahmt sind, übertroffen wird. Die Zeichnung ist überaus meisterhaft, namentlich im Nackten, und Modellierung, Farbe und Helldunkel sind innerhalb der Grenzen seiner Kunstrichtung vollkommen zu nennen. Der Saal soll, namentlich wenn man ihn mit Kerzen erhellt sieht, worauf seine Wirkung berechnet ist, ein wahres Wunderwerk des Kolorits bilden.  

Der Ruhm, dessen sich diese Bilder allenthalben zu erfreuen hatten, veranlaßte den Kardinal, den Künstler nun auch mit der Ausschmückung eines weiteren Saales seines Palastes, in welchem die Taten des Alessandro Farnese dargestellt werden sollten, zu beauftragen; auch wollte er durch Annibale die bereits, aber in schlechtem Stil, ausgemalte Kuppel der Kirche del Gesù mit neuen Gemälden verzieren lassen, der schmählich geringe Preis von 500 Scudi aber, den der Kardinal auf Anraten eines spanischen Höflings für sämtlich Malereien der Galerie Farnese, das ganze damals so hochgepriesene große Werk, dem Künstler ausbezahlen ließ, beugte denselben so nieder, dass sein schon von Natur zur Schwermut geneigter Geist beschloss, den Pinsel für immer niederzulegen. Auf Zureden seiner Freunde ließ er sich jedoch später wieder bewegen, eine dem heil. Diego geweihte Kapelle in San Giacomo degli Spagnuoli in Gemeinschaft mit F. Albani, der nach seinen Kartons arbeitete, mit Fresken zu schmücken. Seine Melancholie nahm aber so überhand und wirkte so nachteilig auf seine Gesundheit, dass ihm die Ärzte rieten, nach Neapel zu reisen, um dieselbe dort wieder zu befestigen. Allein die Verfolgungen, die er von den dortigen Malern auszustehen hatte, ließen ihn auch in dem neuen Aufenthaltsort keine Ruhe. Plötzlich und ohne die für seine Gesundheit so gefährliche Jahreszeit zu berücksichtigen, reiste er nach Rom zurück, wo er alsbald in ein hitziges Fieber verfiel und binnen ganz kurzer Zeit im 49. Jahre seines Alters den Geist aufgab. Er ward im Pantheon an der Seite Raphaels beerdigt.  

 

*) Abgebildet in den Denkmälern der Kunst. Atlas zu Kuglers Handb. der Kunstgesch. Taf. 94, Fig. 1.  

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