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22) Luft als Schutz- und Heilmittel

Es ist eine Tatsache, dass alle jene Dinge, welche wir als die ersten Lebenserfordernisse kennen: Licht, Luft, Nahrungsmittel u. s. w., eine der vorzüglichsten Gelegenheitsursachen zu Krankheiten abgeben, sobald sie nicht im richtigen Verhältnis zu uns und unserer Organisation stehen. Eine andere große Wahrheit, gestützt auf tausendfältige Tatsachen, ist aber auch die, dass zahlreiche Leiden und Gebrechen der Mensch durch jene Dinge, wenn er sie richtig anwendet, ohne alle Arzneien verhüten und heilen kann. Wir betrachten hier noch die reine, frische, atmosphärische Luft als Schutz- und Heilmittel.

a) Gegen Ohnmacht, Schlafsucht und Scheintod durch unreine Luft: Kloakengas, Kohlendunst, stark duftende Blumen, stinkende Ausflüsse von verwesten Pflanzen- und Tierstoffen u. s. w. ist die reine, frische, atmosphärische Luft außerhalb des Hauses das erste und beste Rettungsmittel, welches, neben Waschungen und Begießungen mit kaltem Wasser, durch kein anderes Mittel aus der Apotheke ersetzt werden kann (s. unten Anhang I. B).

b) In den Zeiten, wo in den Tropengegenden das gelbe Fieber herrscht, verbreitet es sich nach vielfältigen Erfahrungen nie weiter, als zwischen dem Äquator und dem 35. Grad der Breite, und zwar nur der nördlichen, nicht der südlichen, — und auch da nur in der Nähe des Meeres, nicht über 30 deutsche Meilen davon. Die wohlhabenden Leute reisen daher, so wie die heiße Regenzeit eintritt, ins Binnenland, 30—40 Meilen weit; andere auf die näher liegenden Berge; ja als einst in Barcelona das gelbe Fieber herrschte, machte man die Beobachtung, dass alle Menschen, die im zweiten oder dritten Stock wohnten, frei davon blieben, und nur diejenigen von der Krankheit ergriffen wurden, welche den untern Teil der Häuser bezogen hatten. — Mangel an Luftelektrizität, welche nach Shecut’s Untersuchung mit der Heftigkeit des gelben Fiebers stets zunimmt (s. o. S. 363), so wie schädliche Erdausdünstungen und zu große Feuchtigkeit, welche die Bewohner höherer Stockwerke weniger treffen, mögen hier wohl von Einfluss sein.

c) Für Kinder, welche an der englischen Krankheit, an Skrofeln, Darrsucht und Abzehrung leiden, ist kein Mittel größer und heilsamer, als reine, frische, trockne Luft und Sonnenschein. Wenn im Frühling und Sommer solche Kinder täglich sechs bis acht Stunden lang in einem kleinen Kinderwagen im Freien umher gefahren werden, so bessern sie sich schneller, als durch alle Arzneien; auch veränderter Wohnort, eine höhere geographische Lage vermag hier viel. Wenn in Prag und ähnlichen Städten, welche zum Teil an einem Berge liegen, wie Brüssel, Edinburg, Algier u. s. w. solche Kinder nur aus dem niedrigen Teile der Stadt auf die höheren Punkt derselben gebracht werden, so bessern sie sich mit jedem Tage augenscheinlich.

Eben so verhält es sich mit dem Wechselfieber; die besten Arzneimittel sind oft nicht im Stande, es zu heilen, nur allein Veränderung der Wohnung: aus dem Tal auf Hochebenen oder Berge. Unter die wirksamsten Mittel gegen das kalte Fieber zählt der geniale Doktor Eisenmann eine Reise im Luftballon zu 10—20,000 Fuß Höhe.

d) Kein Mittel schützt so sehr vor den giftigen Ansteckungsstoffen des Fleck- und Faulfiebers, der bösartigen Pocken, Masern, des Scharlachfiebers, als die frische, reine Luft außer dem Hause, zumal wenn der Mensch, der sich angesteckt glaubt, Stundenlang sich angestrengt darin bewegt, bis er in starken Schweiß gerät. Dieses hat zwei bedeutende Vorteile, erstens: die reine eingeatmete Luft zersetzt chemisch den Ansteckungsstoff, und zweitens: durch den Schweiß wird der im Blute schon vorhandene Ansteckungsstoff wieder aus dem Körper getrieben.

e) Alle asthmatische Personen, namentlich fettleibige Männer zwischen 40 und 60 Jahren, und solche, welche an Verschleimung der Lungen, des Magens, an Gicht und Hämorrhoiden leiden, können die Anfälle von Erstickung durch nichts schneller beschwichtigen, als durch Zugluft, d. h. es müssen, selbst im Winter, Türen und Fenster geöffnet werden; schon wenige Minuten reichen hin, wo die reinere und schwerere Luft ihnen in jedem Atemzug mehr Sauerstoff zuführt, welcher sie neu belebt, so dass ihr Körper, zumal an den kalten Gliedmassen, wärmer wird und ihr kirschbraunes Gesicht die natürliche Farbe wieder annimmt. — Alle Personen, die viel beim Feuer arbeiten: Schmiede, Schlosser u. s. w., sind häufig in der Nacht solchen Anfällen von Erstickung ausgesetzt. Frische Luft und ein paar Tassen starker, schwarzer Kaffee sind hier die besten Hilfsmittel.

f) In allen hitzigen Ausschlagskrankheiten, hitzigen Nerven- und Gallenfiebern, Pocken, Masern, Scharlachfieber, Typhus, ist die frische Luft, gewonnen durch öfteres Lüften der Fenster und Türen des Krankenzimmers, eins der vorzüglichsten Mittel, einen gelinden Verlauf und glücklichen Ausgang der Krankheit herbeizuführen. Die übertriebene Furcht vor Erkältung schadet noch immer sehr. Hat man zwei Zimmer zur Disposition des Kranken, so kann man das eine zwei bis drei Stunden lang durch Zugluft reinigen, das Bett darin aufmachen, dann Fenster und Türen schließen und den Kranken hineinbringen. Hier verweilt er die meisten Stunden des Tages nur in einer gelinden Wärme (10° — 12° + R.), dagegen wird er gegen Abend in das andere, gleichfalls zwei bis drei Stunden lang gelüftete, im Winter nur mäßig erwärmte Zimmer zu Bett gebracht, um die Nacht darin zu schlafen. Dieses Wechseln und tägliche Lüften der Zimmer ist bei ansteckenden Fiebern nicht allein eine große Erquickung für den Kranken, sondern auch ein Schutzmittel für die Umgebung, indem die frische Luft vermöge ihres Anteils an Sauerstoff den Ansteckungsstoff zerstört.