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9) Atemholen beim Menschen

Zwischen Tier und Pflanze ist der Unterschied wichtig, dass die Tiere gerade dasjenige ausatmen, was die Pflanzen einatmen, Kohlensäure, und wieder einatmen, was die Pflanzen ausatmen: Sauerstoff. So erklärt sich die Tatsache, dass Anpflanzungen von jungen Bäumen nicht allein die unreine Luft der Kirchhöfe, Schwindgruben, Kloaken u. s. w. verbessern und die Menschen, welche in deren Nähe wohnen, vor Krankheiten schützen, sondern dass solche Anpflanzungen auch ungemein gedeihen und den üppigsten Pflanzenwuchs zeigen. Auch hier sehen wir, dass das chemische Element bei Betrachtung des Lebens im Reiche des Organischen von größerer Wichtigkeit ist, als manche Ärzte und Naturforscher noch vor wenigen Dezennien glaubten, und dass wir gegenwärtig, gestützt auf unsere Fortschritte in der Chemie, die Lebensprozesse im Organischen als den chemischen sehr analoge, wissenschaftlich nachzuweisen im Stande sind, welche unsere Alten bei ihrem dürftigen chemischen Wissen nur ahnend und empirisch durch den Instinkt aufzufassen vermochten (s. Liebigs vortreffliche o. a. Schrift). Nach den neuen Untersuchungen über das Atemholen beim Menschen, welche Andral und Gavarret, zumal über das Quantum der exspirirten Kohlensäure dabei, anstellten, vorgelegt der Academie des sciences am 16. Januar 1843, haben wir neue und überraschende Resultate gewonnen. Zu den Versuchen diente folgender Apparat. Durch eine luftdichte Maske, gehörig weit, um eine ganze Exspiration aufzunehmen und fest auf das Gesicht angelegt, wurde mit Hilfe mehrerer, zuvor luftleer gemachter Gasballons ein Strom atmosphärischer Luft unterhalten. In diesem beständig fortgehenden Strome lebte das Individuum während der Dauer des Versuchs. Die Stärke des Stroms wurde mit Hilfe eines graduierten Hahns reguliert, so dass Inspiration und Exspiration frei und ohne Anstrengung von statten gingen. Alle Vorsichtsmassregeln waren getroffen, dass kein Verlust des exspirierten Gases stattfinden und dass dieselbe Luftmenge immer nur einmal der Tätigkeit der Lungen unterworfen sein konnte. Alle Versuche wurden unter möglichst ähnlichen Umständen an gesunden Subjekten, zu gleicher Tageszeit (zwischen ein und zwei Uhr), in gleicher Distanz von den Mahlzeiten, und unter möglichst gleichen Verhältnissen der Ernährung, Muskelanstrengung und des Gemütszustandes angestellt, und die Experimente wurden vielfach — mitunter sechsmal bei demselben Individuum, angestellt. Das Ergebnis war folgendes:

a) Die Menge der in einer gegebenen Zeit von der Lunge ausgeatmeten Kohlensäure ist verschieden nach dem Alter, dem Geschlecht und der Konstitution des Subjekts.

b) Diese Menge erleidet, beim Manne wie beim Weibe, Modifikationen nach dem Lebensalter, unabhängig vom Körpergewicht der betreffenden Individuen.

c) Der Mann und das Weib unterscheiden sich in allen Perioden ihres Lebens vom achten Jahre an bis zum höchsten Greisenalter durch die Verschiedenheit der in einer gegebenen Zeit ausgeatmeten Kohlensäuremenge. Unter sonst ganz gleichen Umständen wird vom Manne immer eine beträchtlichere Menge ausgeatmet, als vom Weibe. Diese Verschiedenheit ist besonders ausgezeichnet zwischen dem 16. und 40. Lebensjahre; während dieser Lebensepoche liefert die Lunge des Mannes durchschnittlich beinahe doppelt so viel Kohlensäure, als die des Weibes.

d) Beim Mann nimmt die Menge der ausgeatmeten Kohlensäure vom 8. bis zum 30. Jahre beständig zu, und diese fortdauernde Zunahme wird plötzlich sehr stark in der Pubertätsepoche. Vom 30. Jahre an fängt die Kohlensäure-Exhalation an abzunehmen, und diese Abnahme erreicht einen um so bedeutenderen Grad, je mehr sich der Mann dem höchsten Greisenalter nähert, so zwar, dass im letzten Abschnitte des Lebens die Kohlensäure-Exhalation durch die Lungen wieder zu dem zurück sinken kann, was sie im zehnten Jahre war.

e) Beim Weibe nimmt während der ganzen Dauer des zweiten Kindesalters die Kohlensäure-Exhalation nach denselben Gesetzen, wie beim Manne zu. Aber in der Pubertätsepoche, zugleich mit dem Eintreten der Menstruation, steht die Kohlensäure-Exhalation umgekehrt mit dem Vorgange beim Manne, plötzlich in ihrer Zunahme still und bleibt stationär (so ziemlich, wie sie in der Kindheit war), so lange die Menstruation ihren ungestörten Fortgang hat, mit dem Aufhören der Menses nimmt die Kohlensäure-Exhalation plötzlich bedeutend zu; dann nimmt sie, wie beim Mann, wieder ab, je mehr sich das Weib dem höchsten Greisenalter nähert.

f) Während der ganzen Dauer der Schwangerschaft ist die Kohlensäure-Exhalation vermehrt, bis zu der Menge, welche das Weib in der Epoche der zessierenden Menstruation liefert.

g) Bei beiden Geschlechtern und in allen Lebensälteren ist die Menge der ausgeatmeten Kohlensäure um so größer, je stärker die Konstitution und je entwickelter das Muskelsystem ist. Dies Resultat findet seine Bestätigung in anderen Beobachtungen, wo in Folge einer ganz pathologischen Schwächung der Konstitution auch die Kohlensäure-Exhalation aus den Lungen abnahm (s. Grisinger in Roser’s und Wunderlich’s Archiv für Physiol. Heilkunde. 1843. Jahrg. 2. Heft 1. S. 161).