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Mythologie in der Sprache

In den Geisteswissenschaften, namentlich in den Anschauungen von der menschlichen Sprache, ist aber dieses mythologische Bedürfnis noch ungescbwächt vorhanden. Was nicht allein Pfaffe und Pöbel von der Sprache behauptet, was fast alle Sprachforscher — einer dem anderen — nachschreiben, daß nämlich die Sprache ein Werkzeug unseres Denkens sei (ein bewunderungswürdiges Werkzeug noch dazu), das erscheint mir als eine Mythologie. Nach dieser Vorstellung, welche heute noch von allen Köpfen geteilt wird, sitzt irgendwo am Strombett der Sprache eine Gottheit, Mannsbild oder Frauenzimmer, das sogenannte Denken, und herrscht unter den Einflüsterungen einer ähnlichen Gottheit, der Logik, über die menschliche Sprache mit Hilfe einer dritten dienenden Gottheit, der Grammatik. Ich würde es für das stolzeste Ergebnis meiner Untersuchung halten, wenn ich die Menschen von der Unwirklichkeit, von der Wertlosigkeit dieser dreieinigen Göttinnen überzeugen könnte, denn der Dienst unwirklicher Götter ist immer opfervoll, also immer schädlich.

Ich vermute, daß "die Sprache", die Sprache im allgemeinen oder das Wesen der Sprache, bei genauer Betrachtung nichts mehr von der Herrschaft des Denkens, der Logik und der Grammatik wird wissen wollen. "Die Sprache" wird sich größtenteils als ein leeres Abstraktum herausstellen; wo wir aber dennoch zwischen den Einzelsprachen, die freilich selbst Abstraktionen sind, tatsächliche Ähnlichkeit wahrnehmen werden, wo "die Sprache" uns eine Bezeichnung werden wird für eine wirkliche Art des menschlichen Handelns, da werden wir niemals nötig haben, auf Denken, auf Logik oder Grammatik als den Ursprung zurückzugehen. Vielmehr werden wir wohl rinden, daß Denken, Logik und Grammatik Merkmale der Sprache sind, gewissermaßen in der Sprache drinstecken und nur von müßigen Ordnungsfanatikern herausgezogen worden sind. So gibt es in der Natur kein anderes Blau als an blauen Erscheinungen. Es wäre auch da, wenn die Sprache das Ad-jektivum blau zu abstrahieren sich nicht die Mühe genommen hatte. Wie die Elektrizität da war, bevor man sie entdeckte, d. h. ihre Wirkungen unseren Sinnen wahrnehmbar machte. Wie in der Natur alle die Elemente schon da sind, die wir noch nicht kennen.

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