Zum Hauptinhalt springen

Laut- und Gebärdensprache

Die tatsächlichen Unterschiede zwischen unseren Zufallssinnen machen es verständlich, dass die Menschen überall zu ihrer Verständigung den Schall der menschlichen Stimme wählten. Es war nicht nur die außerordentliche Leichtigkeit (vielleicht wurde die differenzierte Schallerregung dem Menschen einst schwerer als heute), was die Lautsprache bequemer machte als z. B. irgendeine Gebärdensprache; in dieser hätten sich doch nicht nur Begriffe, sondern auch grammatische Formen ebensogut ausdrücken lassen. Es handelt sich dabei natürlich um die Entscheidung zwischen sichtbaren und hörbaren Zeichen. Anton Marty hat (Über den Ursprung der Sprache S. 130) am besten auf die Vorzüge der Lautsprache hingewiesen.

Hätten die Menschen sich für die Gebärdensprache entschieden, so wäre die Hand das aktive, das Auge das passive Sprachwerkzeug geworden. Sie hätte zu der äußersten Unbequemlichkeit geführt, weil wir unaufhörlich gerade das Auge zur Orientierung in der Welt, die Hand zum Kampfe gegen die Welt nötig haben. So wie wir leben, können wir nicht ohne unaufhörliche Hilfe des Auges und der Hand leben. Marty hat diese Sachlage erkannt. Die Unmöglichkeit einer Gebärdensprache hat er nicht scharf genug ausgesprochen. Und doch war sicherlich zu Anfang der Sprachtätigkeit unser jetziges müßiges Geschwätz noch nicht bekannt. Sprache war sicherlich früher mehr Arbeitsunterstützung als jetzt. Nun denke man sich zwei Männer, die gemeinsam einen Baum fällen wollen. Beider Augen und Hände sind dabei unausgesetzt in Tätigkeit. Es könnte also keiner von ihnen die Hand zum Zeichengeben, das Auge zum Wahrnehmen benutzen. Die Stimme und das Ohr waren unbeschäftigt.

Sodann wäre die Gebärdensprache im Finstern ganz wertlos, in weiterer Entfernung immer wertloser gewesen. Aber auch, wenn die beiden sich Unterhaltenden nur in mäßiger Entfernung voneinander standen, hätten sie sich bei einer Gebärdensprache ununterbrochen ansehen müssen, um den Beginn des Gespräches nicht zu versäumen. Unser flüsterndes Telephon muß den Angerufenen durch ein schrilles Glockenzeichen zur Aufmerksamkeit wecken. Bei einer Gebärdensprache hätte jedes Gespräch mit einem solchen stimmlichen Anruf beginnen müssen. Die Lautsprache vollzog den Anruf von selbst.

* * *