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Modale Konsequenz

Endlich kennen die Logiker noch ein Ungetüm von Schluß, die modale Konsequenz. Es ist undankbar, diesen Satz zuerst in eine vernünftige Form zu bringen, um nachher seine Unvernunft zu beweisen. Man sagte früher: "ab oportere ad esse, ab esse ad posse valet consequentia; a posse ad esse, ab esse ad oportere non valet consequentia." Wenn etwas notwendig ist, so wird es auch wirklich, tatsächlich sein, wenn es wirklich ist, wird es auch möglich sein; und wenn etwas nicht möglich ist, wird es auch nicht wirklich sein, wenn nicht wirklich, auch nicht notwendig. Ich mache darauf aufmerksam, dass die Begriffe Notwendigkeit, Tatsächlichkeit und Möglichkeit nur Grade unserer Überzeugung, unserer subjektiven Gewißheit aussprechen, dass sie also in die Schullogik, wenn sie logisch wäre, gar nicht hineingehörten. In dem logischen Gebäude unseres Denkens dürfte nur für die Notwendigkeit ein Platz sein, nicht aber für die Möglichkeit, also auch nicht für notwendige Schlüsse aus der Möglichkeit. Die Logik aber hat recht, wo sie unlogisch ist; unser Denken ist nur notwendig, soweit es tautologisch ist, unsere Überzeugung aber von dem Eintreffen eines neuen Ereignisses hat immer nur Wahrscheinlichkeit für sich; den höchsten Grad der Wahrscheinlichkeit nennen wir — auf die Hypothese der Kausalität gestützt — Notwendigkeit, die geringeren Grade nennen wir Möglichkeit. Der Schluß aber von dem höheren Grad auf den niederen, von dem Mangel des niederen Grades auf die Unwahrheit des höheren, dieser Schluß ist so armselig wie die anderen unmittelbaren Schlüsse. Man hat törichterweise eine neue Art geschaffen, weil es sich um den verzwickten Begriff der Möglichkeit handelte. Aus der Notwendigkeit geht aber die Möglichkeit nicht anders hervor, als aus dem Satze "jeder Hund ist ein Tier" der Satz "mancher Hund ist ein Tier". In der Notwendigkeit steckt die Möglichkeit wie in der großen oder gar in der unendlichen Zahl die kleinere; und wirklich drückt man ja den Grad der Wahrscheinlichkeit durch Zahlen aus. Wobei nicht zu übersehen, dass Wahrscheinlichkeitsrechnung nur für die Eechnung mit großen Zahlen etwas lehrt, für den Einzelfall jedoch im ganz klaren Kopfe nicht einmal eine Erwartung erregt, sondern nur einen Wunsch. Man wird auf den Exponenten der Möglichkeit nur aufmerksam. (Vergleiche mein "Wörterbuch der Philosophie" unter dem Schlagworte Wahrscheinlichkeit II. 568 ff.)

Nun aber haben die Logiker zwischen die Notwendigkeit und die Möglichkeit noch einen Mittelbegriff gesteckt, die Wirklichkeit oder Tatsächlichkeit, was in der lateinischen Form ganz verzweifelt schulgemäß mit dem leersten aller Begriffe, mit "Sein" wiedergegeben wird. Wir wollen also den Satz meinetwegen so ausdrücken: es folgt aus der Gültigkeit des apodiktischen Urteils die des assertorischen, aus der Gültigkeit des assertorischen Urteils die des problematischen. Das apodiktische Urteil behauptet eine Notwendigkeit, das problematische Urteil behauptet nur eine Möglichkeit; das ist klar. Was aber behauptet das assertorische Urteil? Es behauptet eben, es spricht eine Behauptung aus; es ist also ein leeres Gerede, es ist erschütterte Luft, solange es nicht auf den Grad seiner Wahrscheinlichkeit geprüft worden ist, solange es nicht als notwendig oder als möglich empfunden worden ist.

Es wäre eine feine Aufgabe für die Historiker der Philosophie, zu zeigen, wie der Schluß aus der modalen Konsequenz in die Logik überhaupt hineingekommen ist. Man müßte wieder auf Aristoteles zurückgehen, der sich nach seiner verhältnismäßigen Unschuld in der Notwendigkeit wohl eine Art Gottheit dachte, die über der Wirklichkeit steht und die in ihrem freien Willen überlegt, ob sie ja oder nein sagen wolle, ob sie sich zur Wirklichkeit, zur Existenz herablassen wolle. Es wird schon so sein; und aus diesem Herablassen, diesem Tiefersteigen der erhabenen Notwendigkeit zur gemeinen Wirklichkeit ergab sich dann — wenn einem der Verstand auch dabei stille steht — die Unterordnung der Existenz, des Weltganzen unter die Notwendigkeit, die doch nur ein menschlicher Begriff ist, — ergab sich die Aufstellung des assertorischen Urteils, der gaffenden Behauptung, zwischen die Notwendigkeit und die Möglichkeit. Und das haben die Logiker (bis auf Schuppe) nachgesprochen. Wir aber wissen, dass Notwendigkeit und Möglichkeit nur Abstraktionen sind für die Wahrscheinlichkeit unserer Behauptungen, unserer "assertorischen Urteile" (um das dumme Wort zu wiederholen), dass unsere Behauptungen aber nur die zusammenfassenden Erinnerungen sind an unsere Sinneseindrücke, unser Gedächtnis der Wirklichkeit.

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