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"2" und "du" - Denkmaschine

Die unabweisbare Vorstellung einer Verwandtschaft zwischen den Begriffen zwei und du wird sichtbar an denjenigen Sprachen, welche am Verbum und am Substantiv eine besondere Bildungsform für die Zweizahl haben, den Dual. Der Dual ist in den modernen Sprachen fast völlig verloren gegangen. Das ausgebildete Zahlensystem hat die einzige natürliche Zahl, die Zwei, verschlungen und an ihre ordnungsmäßige Stelle gesetzt, wo sie sich an Sprachwert von der 1 und 3 nicht zu unterscheiden scheint. In dem Dual der alten Sprachen liegt aber das Geheimnis versteckt, dass, wie die 2 die einzige Zahl ist, so auch das Wort zwei das einzige Zahlwort, welches aus dem organischen Bau der Gemeinsprachen nicht hinausfällt. Das übrige Zahlensystem ist eine Sammlung wissenschaftlicher Zeichen, welche selbstverständlich zum weiteren Begriffe der Sprache ebenso gut gehören wie die noch allgemeinern algebraischen Zeichen, welche aber nur in dem Maße in der Gemeinsprache Verwendung finden, als die wissenschaftlichen Vorstellungen der Mathematik durch jahrtausendelange Einübung Gemeingut des täglichen Lebens geworden sind. Es ist noch nicht gar so lange her, dass die Rechner eine Tafel mit dem Einmaleins neben sich liegen hatten und hineinblickten, wie sie heute die Logarithmentafeln nachschlagen; damals gehörte zwar schon die Zahl 56 zur Gemeinsprache, als Ordnungszahl eigentlich, welche hinter 55 kam, aber noch nicht die Vorstellung von 56 als ein Produkt von 7 und 8. Und in irgend einer alten Zeit oder bei manchen Indianerstämmen von heute gehört auch die Grundzahl 56 noch nicht zur Gemeinsprache, wenn so ein Rechner den Betrag auch durch die Summierung von zwei Menschen, zwei Händen, dem linken Fuß und einer Zehe des rechten Fußes zustande gebracht haben kann. Daran hat die Ausbildung der Mathematik, der höheren Mathematik und der Metamathematik nichts geändert. So wenig die Logik vor Irrtümern bewahren kann, so wenig kann die Beherrschung der Mathematik oder das Auswendigwissen von 100 sechsstelligen Logarithmen einen Gelehrten davor schützen, einmal 7 x 8 = 54 zu setzen, wenn er das alte Resultat der Einmaleinsrechnung zufällig nicht im Gedächtnis hat. Ist 2 wirklich die einzige echte Zahl, so ließe sich der ganze stolze Bau der Mathematik langsam und sicher herauskonstruieren aus der Urgleichung 2 — 1 = 1. Beispielsweise würden sich die überraschendsten Tatsachen der Zahlentheorie aus dieser Gleichung ergeben. Alle Zahlen, wie dann alle mathematischen Zeichen, erfassen die Welt, welche unser übriges Denken von Seite der in uns erregten Empfindungen, also von Seite ihrer Qualitäten erfaßt, einzig und allein vom Gesichtspunkte der zählbaren Quantität. Sie bilden, immer abgesehen von der Zwei, einen Wert für sich, eine Sprache für sich, vielleicht eben darum eine Weltsprache. Schopenhauer hat einmal den mystischen Ausspruch getan, es sei die Musik die Welt noch einmal. Mit größerem Rechte konnte man sagen, die Zahl sei die Welt noch einmal, und auch Schopenhauer kam zu seinem Worte nur, weil er, angeregt von Pythagoras und den seitdem fortgesetzten Studien über zahlenmäßige Tonharmonien, der Musik Zahlen zugrunde legte. So wenig aber die Zahlenverhältnisse, welche mit den Tonharmonien übereinstimmen, mit unseren Tonempfindungen irgendwie vergleichbar sind, so wenig ist die Welt der Zahlen mit der Sinnenwelt vergleichbar, die wir nicht anders als mit dem metaphysischen Vorbehalt die Wirklichkeitswelt nennen können. Die Welt der Zahlen ist ein fremdes Element in unserer Begriffssprache, immer abgesehen von der Zwei freilich, welche dem Erkenntnisse der Gleichheit einen Namen gegeben hat; und es ist vielleicht nicht bloß Zufall, wenn wir im Deutschen für "der gleiche", das heißt der zweite auch sagen können "der nämliche", das heißt der genannte. Die Mystik, mit welcher Pythagoras die Mathematik seiner Zeit zur Aufklärung der Welträtsel benutzen wollte, gilt heute nicht mehr für gefährlich; es ist aber nur eine feinere Mystik, wie wir jetzt endlich sehen, wenn neuerdings die außerordentlich ausgedehnte Anwendung der Mathematik auf die Naturwissenschaften und zuletzt auf die Logik mehr bieten will, als Ersparnis, Übersicht und Klarheit, wenn sie Erklärung sein will und aus der Welt der Zahlen die Lösung der Welträtsel hofft. Die Welt der Zahlen hat ihren eigenen Schlüssel, der zu den Rätseln der Sinnenwelt nicht paßt. Ernst Schröder versteigt seine Phantasie so weit, dass er einmal (I. S. 125) durch  die Algebra der Logik die Erfindung einer "Denkmaschine" für  möglich hält, "analog oder vollkommener wie die Rechenmaschine, welche den Menschen einen sehr beträchtlichen Teil ermüdender Denkarbeit fortan abnehmen wird, gleich wie die Dampfmaschine es mit der physischen Arbeit erfolgreich tut." Vielleicht soll eine künftige Zeit, indem ein schlichter Mann oder ein elektrischer Motor die Kurbel der Denkmaschine dreht, so die sieben Welträtsel lösen oder doch einige neue Naturgesetze entdecken. Die Lehre von der Erhaltung der Energie hätte dem geistreichen Manne sagen sollen, dass auch eine Denkmaschine nichts hervorbringen kann, was nicht vorher in sie hineingesteckt worden ist. Der Vergleich mit der Rechenmaschine ist vortrefflich, aber spricht nicht zugunsten der Denkmaschine. Die Rechenmaschine ist möglich, weil ihre Ergebnisse einzig und allein innerhalb der autonomen Zahlenwelt Gültigkeit haben und niemand von der Rechenmaschine Auskunft darüber verlangt, ob nachher die Münze der Zahlung falsch ist oder nicht, ob die Zahlen auf Äpfel oder Nüsse bezogen werden sollen. Die Denkmaschine jedoch hat es entweder mit der Wirklichkeitswelt zu tun, und dann fehlt die Brücke von der Maschine zur Welt, oder sie wird nach den Prinzipien der algebraischen Logik, nach dem Logikkalkül konstruiert, und dann wird sich wohl herausstellen, dass die so stolz als exakte Logik auftretende Algebra der Logik nichts ist, wie schon gesagt, als Statistik und dergleichen, dass sie das Ende der Logik ist, das Ende des Glaubens, eine Lehre von den Denkgesetzen könne anders als durch eine gewisse Übung das Denken fördern. Mir scheint die Anwendung der Mathematik auf die Logik, gerade in ihrer bewundernswerten Ehrlichkeit und Konsequenz, den Sturz der modernen mathematischen Mystik vorzubereiten. Auch auf sie trifft zu, was Ernst Mach (Mechanik S. 479) warnend gesagt hat: "Die Erinnerung ist keine eigentliche Arbeit, sondern eine Auslösung von zweckmäßigerer Arbeit. Gerade so verhält es sich mit der Verwendung wissenschaftlicher Gedanken. Wer Mathematik treibt, ohne sich in der angedeuteten Richtung Aufklärung zu verschaffen, muß oft den unbehaglichen Eindruck erhalten, als ob Papier und Bleistift ihn selbst an Intelligenz überträfen. Mathematik in dieser Weise als Unterrichtsgegenstand betrieben ist kaum bildender als die Beschäftigung mit Kabbala oder dem magischen Quadrat. Notwendig entsteht dadurch eine mystische Neigung, welche gelegentlich ihre Früchte trägt."