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§ 18. Identifikation als eine Grundform der Synthesis.

Universale Synthesis der transzendentalen Zeit

Betrachten wir die Grundform der Synthesis, nämlich die der Identifikation, so tritt sie uns zunächst als allwaltende, passiv verlaufende Synthesis gegenüber in der Form des kontinuierlichen inneren Zeitbewußtseins. Jedes Erlebnis hat seine Erlebniszeitlichkeit. Ist es ein Bewußtseinserlebnis, in dem als cogitatum (wie in der Würfel-Wahrnehmung) ein weltliches Objekt erscheint, so haben wir zu unterscheiden die objektive Zeitlichkeit, die erscheint (z. B. dieses Würfels) von der inneren Zeitlichkeit des Erscheinens (z. B. der des Würfelwahrnehmens). Dieses strömt dahin in seinen Zeitstrecken und -phasen, die ihrerseits kontinuierlich sich wandelnde Erscheinungen sind von dem einen und selben Würfel. Ihre Einheit ist Einheit der Synthesis — nicht überhaupt eine kontinuierliche Verbundenheit von cogitationes (gewissermaßen ein äußerliches Aneinandergeklebtsein), sondern Verbundenheit zu Einem Bewußtsein, in dem sich Einheit einer intentionalen Gegenständlichkeit als derselben mannigfaltiger Erscheinungsweisen konstituiert. Die Existenz einer Welt, und so die des Würfels hier, ist vermöge der epoché eingeklammert, aber der eine und selbe erscheinende Würfel ist als solcher dem strömenden Bewußtsein kontinuierlich immanent, deskriptiv in ihm, wie auch deskriptiv in ihm ist das ein und dasselbe. Dieses In-Bewußtsein ist ein völlig eigenartiges Darinsein, nämlich nicht Darinsein als reelles Bestandstück, sondern als intentionales, als erscheinendes Ideell-darin-Sein oder, was dasselbe besagt, Darin-Sein als sein immanenter gegenständlicher Sinn. Der Gegenstand des Bewußtseins in seiner Identität mit sich selbst während des strömenden Erlebens kommt nicht von außen her in dasselbe hinein, sondern liegt in ihm selbst als Sinn beschlossen, und das ist als intentionale Leistung der Bewußtseinssynthesis.

Nun kann derselbe Würfel — bewußtseinsmäßig derselbe — auch zugleich oder nacheinander in getrennten, sehr verschiedenartigen Bewußtseinsweisen bewußt sein, z. B. in gesonderten Wahrnehmungen, Wiedererinnerungen, Erwartungen, Wertungen usw. Wieder ist es eine Synthesis, welche das Bewußtsein der Identität als einheitliches, diese gesonderten Erlebnisse übergreifendes Bewußtsein herstellt und damit jedes Wissen von Identität möglich macht.

Aber schließlich ist auch jedes Bewußtsein, in dem Nicht-Identisches einheitlich bewußt wird, jedes Mehrheitsbewußtsein, Relationsbewußtsein usw., in diesem Sinne eine Synthesis, ihr eigentümliches cogitatum (Mehrheit, Relation usw.) synthetisch oder, wie hier auch gesagt wird, syntaktisch konstituierend, mag übrigens diese syntaktische Leistung als eine pure Passivität des Ich oder als dessen Aktivität zu charakterisieren sein. Selbst Widersprüche, Unverträglichkeiten sind Gebilde von freilich wieder andersartigen Synthesen.

Synthesis liegt aber nicht nur in allen einzelnen Bewußtseinserlebnissen und verbindet nicht nur gelegentlich einzelne mit einzelnen; vielmehr ist das gesamte Bewußtseinsleben, wie wir schon vorweg gesagt haben, synthetisch vereinheitlicht. Es ist also ein universales, alle je sich abhebenden einzelnen Bewußtseinserlebnisse synthetisch in sich fassendes cogito mit seinem universalen cogitatum, in verschiedenen Stufen fundiert in den mannigfaltigen Sonder-cogitata. Doch besagt diese Fundierung nicht einen Aufbau im zeitlichen Nacheinander einer Genesis, da vielmehr jedes erdenkliche Einzelerlebnis nur Abgehobenheit in einem immer schon einheitlich vorausgesetzten Gesamtbewußtsein ist. Das universale cogitatum ist das universale Leben selbst in seiner offen unendlichen Einheit und Ganzheit. Nur weil es immer schon als Gesamteinheit erscheint, kann es auch in der ausgezeichneten Weise aufmerkend-erfassender Akte betrachtet und zum Thema einer universellen Erkenntnis gemacht werden. Die Grundform dieser universalen Synthesis, die alle sonstigen Bewußtseinssynthesen möglich macht, ist das allumspannende innere Zeitbewußtsein. Sein Korrelat ist die immanente Zeitlichkeit selbst, dergemäß alle je reflektiv vorzufindenden Erlebnisse des Ego als zeitlich geordnet, als zeitlich anfangende und endende, als gleichzeitig und nacheinander sich darbieten müssen — innerhalb des ständigen und unendlichen Horizontes der immanenten Zeit. Die Unterscheidung zwischen Zeitbewußtsein und Zeit selbst kann auch ausgedrückt werden als zwischen innerzeitlichem Erlebnis, bzw. seiner Zeitform, und seinen temporalen Erscheinungsweisen als den entsprechenden Mannigfaltigkeiten. Da diese Erscheinungsweisen des inneren Zeitbewußtseins selbst intentionale Erlebnisse sind und in der Reflexion wieder notwendig als Zeitlichkeiten gegeben sein müssen, so stoßen wir auf eine paradoxe Grundeigenheit des Bewußtseinslebens, das so auch mit einem unendlichen Regreß behaftet zu sein scheint. Die verstehende Aufklärung dieser Tatsache bereitet außerordentliche Schwierigkeiten. Aber wie immer, sie ist, und sogar apodiktisch, evident und bezeichnet eine Seite des wundersamen Für-sich-selbst-Seins des Ego, nämlich hier zunächst des Seins seines Bewußtseinslebens in Form des Auf-sich-selbst-intentional-zurückbezogen-Seins.