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Staatsverfassung

Staatsverfassung. „Das größte Problem für die Menschengattung, zu dessen Auflösung die Natur ihn zwingt, ist die Erreichung einer allgemein das Recht verwaltenden bürgerlichen Gesellschaft. Da nur in der Gesellschaft, und zwar derjenigen, die die größte Freiheit, mithin einen durchgängigen Antagonism ihrer Glieder, und doch die genaueste Bestimmung und Sicherung der Grenzen dieser Freiheit hat, damit sie mit der Freiheit anderer bestehen könne — da nur in ihr die höchste Absicht der Natur, nämlich die Entwicklung aller ihrer Anlagen, in der Menschheit erreicht werden kann, die Natur auch will, daß sie diesen, so wie alle Zwecke ihrer Bestimmung, sich selbst verschaffen solle: so muß eine Gesellschaft, in welcher Freiheit unter äußeren Gesetzen im größtmöglichen Grade mit unwiderstehlicher Gewalt verbunden angetroffen wird, d. i. eine vollkommen gerechte bürgerliche Verfassung, die höchste Aufgabe der Natur für die Menschengattung sein; weil die Natur nur vermittelst der Auflösung und Vollziehung derselben ihre übrigen Absichten mit unserer Gattung erreichen kann“, G. i. weltbürg. Abs. 5. Satz (VI 10). „Das Problem der Errichtung einer vollkommenen bürgerlichen Verfassung ist von dem Problem eines gesetzmäßigen äußeren Staatenverhältnisses abhängig und kann ohne das letztere nicht aufgelöst werden“, ibid. 7. Satz (VI 12); vgl. Geschichte.

„Da ... jede Einschränkung der Freiheit durch die Willkür eines andern Zwang heißt: so folgt, daß die bürgerliche Verfassung ein Verhältnis freier Menschen ist, die (unbeschadet ihrer Freiheit im Ganzen ihrer Verbindung mit anderen) doch unter Zwangsgesetzen stehen: weil die Vernunft selbst es so will, und zwar die reine a priori gesetzgebende Vernunft, die auf keinen empirischen Zweck (dergleichen alle unter dem allgemeinen Namen Glückseligkeit begriffen werden) Rücksicht nimmt.“ Der bürgerliche Zustand ist auf folgende „Prinzipien a priori“ gegründet: „1. Die Freiheit jedes Gliedes der Sozietät, als Menschen. 2. Die Gleichheit desselben mit jedem anderen, als Untertan. 3. Die Selbständigkeit jedes Gliedes eines gemeinen Wesens, als Bürgers. — Diese Prinzipien sind nicht sowohl Gesetze, die der schon errichtete Staat gibt, sondern nach denen allein eine Staatseinrichtung reinen Vernunftprinzipien des äußeren Menschenrechtes überhaupt gemäß möglich ist“, Theor. Prax. II (VI 87). Die Regierung soll nicht patriarchalisch-despotisch, sondern „patriotisch“ (s. d.) sein, ibid. (VI 88). Die bürgerliche Verfassung beruht auf einem ursprünglichen Vertrag. — Alle rechtliche Verfassung ist, was die Personen betrifft, die darin stehen, „1. die nach dem Staatsbürgerrecht der Menschen in einem Volke (ius civitatis), 2. nach dem Völkerrecht der Staaten in Verhältnis gegeneinander (ius gentium), 3. die nach dem Weltbürgerrecht, sofern Menschen und Staaten, in äußerem aufeinander einfließenden Verhältnis stehend, als Bürger eines allgemeinen Menschenstaats anzusehen sind (ius cosmopoliticum“, Z. ew. Fried. 2. Abs. 1. Anm. (VI 125 f.). „Die erstlich nach Prinzipien der Freiheit der Glieder einer Gesellschaft (als Menschen), zweitens nach Grundsätzen der Abhängigkeit aller von einer einzigen gemeinsamen Gesetzgebung (als Untertanen), und drittens die nach dem Gesetz der Gleichheit derselben (als Staatsbürger) gestiftete Verfassung — die einzige, welche aus der Idee des ursprünglichen Vertrags hervorgeht, auf der alle rechtliche Gesetzgebung eines Volks gegründet sein muß, ist die republikanische. Diese ist also, was das Recht betrifft, an sich selbst diejenige, welche allen Arten der bürgerlichen Konstitution ursprünglich zum Grunde liegt“, ibid. 1. Definitivartikel (VI 126 f.). Der Republikanismus ist nicht mit der „demokratischen“ Verfassung zu verwechseln. Er ist „das Staatsprinzip der Absonderung der ausführenden Gewalt (der Regierung) von der gesetzgebenden“. — Die Demokratie (bei welcher alle herrschen) ist „ein Despotism, weil sie eine exekutive Gewalt gründet, da alle über und allenfalls auch wider Einen (der also nicht mit einstimmt), mithin alle, die doch nicht alle sind, beschließen; welches ein Widerspruch des allgemeinen Willens mit sich selbst und mit der Freiheit ist“. „Alle Regierungsform nämlich, die nicht repräsentativ ist, ist eigentlich eine Unform, weil der Gesetzgeber in einer und derselben Person zugleich Vollstrecker seines Willens (so wenig wie das Allgemeine des Obersatzes in einem Vernunftschlusse zugleich die Subsumtion des Besonderen unter jenem im Untersatze) sein kann“, ibid. (VI 128 f.).

„Wenn ein Volk auch nicht durch innere Mißhelligkeit genötigt würde, sich unter den Zwang öffentlicher Gesetze zu begeben, so würde es doch der Krieg von außen tun indem nach der vorher erwähnten Naturanstalt ein jedes Volk ein anderes es drängende Volk zum Nachbar vor sich findet, gegen das es sich innerlich zu einem Staat bilden muß um als Macht gegen diesen gerüstet zu sein. Nun ist die republikanische Verfassung die einzige, welche dem Recht der Menschen vollkommen angemessen, aber auch die schwerste zu stiften, vielmehr noch zu erhalten ist, dermaßen, daß viele behaupten, es müsse ein Staat von Engeln sein, weil Menschen mit ihren selbstsüchtigen Neigungen einer Verfassung von so sublimer Form nicht fähig wären.“ Aber die Natur kommt dem „in der Vernunft gegründeten Willen“ durch den Egoismus der Menschen selbst zur Hilfe. „Das Problem der Staatserrichtung ist, so hart wie es auch klingt, selbst für ein Volk von Teufeln (wenn sie nur Verstand haben) auflösbar und lautet so: ‚Eine Menge von vernünftigen Wesen, die insgesamt allgemeine Gesetze für ihre Erhaltung verlangen, deren jedes aber insgeheim sich davon auszunehmen geneigt ist, so zu ordnen und ihre Verfassung einzurichten, daß, obgleich sie in ihren Privatgesinnungen einander entgegenstreben, diese einander doch so aufhalten, daß in ihrem öffentlichen Verhalten der Erfolg ebenderselbe ist, als ob sie keine solche bösen Gesinnungen hätten‘.“ „Ein solches Problem muß auflöslich sein. Denn es ist nicht die moralische Besserung der Menschen, sondern nur der Mechanism der Natur, von dem die Aufgabe zu wissen verlangt, wie man ihn an Menschen benutzen könne, um den Widerstreit ihrer unfriedlichen Gesinnungen in einem Volk so zu richten, daß sie sich unter Zwangsgesetze zu begeben einander selbst nötigen und so den Friedenszustand, in welchem Gesetze Kraft haben, herbeiführen müssen.“ „Hier heißt es also: Die Natur will unwiderstehlich, daß das Recht zuletzt die Obergewalt erhalte“, Z. ew. Fried. 2. Abs. 1. Zusatz (VI 145 ff.).

Diejenige Verfassung eines Volkes allein ist „an sich rechtlich und moralisch gut“, „welche ihrer Natur nach so beschaffen ist, den Angriffskrieg nach Grundsätzen zu meiden, welche keine andere als die republikanische Verfassung, wenigstens der Idee nach, sein kann,“ Str. d. Fak. 2. Abs. 6 (V 4, 132). „Es ist aber hiermit nicht gemeint, daß ein Volk, welches eine monarchische Konstitution hat, sich damit das Recht anmaße, ja auch nur in sich geheim den Wunsch hege, sie abgeändert zu wissen; denn seine vielleicht sehr verbreitete Lage in Europa kann ihm jene Verfassung als die einzige anempfehlen, bei der es sich zwischen mächtigen Nachbarn erhalten kann“, ibid. 1. Anm. (V 4, 132). Als Prinzip der Staatsverfassung kann nicht „Wohlfahrt“ dienen, weil sie (als das „Materiale des Willens“) keiner Allgemeinheit (Regel) fähig ist. Die Verfassung beurteilt sich vielmehr rein nach dem „formalen Prinzip“ des Willens. Sie ist eine solche, bei welcher das Volk „mitgesetzgebend ist“. „Autokratisch herrschen und dabei doch republikanisch, d. h. im Geiste des Republikanismus und nach einer Analogie mit demselben regieren ist das, was ein Volk mit seiner Verfassung zufrieden macht“, ibid. 2. Anm. (V 4, 133 f.). Eine Verfassung, „die nicht kriegssüchtig sein kann“, ist die republikanische, „die es entweder selbst der Staatsform nach sein mag oder auch nur nach der Regierungsart, bei der Einheit des Oberhaupts (des Monarchen) den Gesetzen analogisch, die sich ein Volk selbst nach allgemeinen Rechtsprinzipien geben würde, den Staat verwalten zu lassen“, ibid. 2. Abs. 7 (V 4, 134). „Die Idee einer mit dem natürlichen Rechte der Menschen zusammenstimmenden Konstitution: daß nämlich die dem Gesetz Gehorchenden auch zugleich, vereinigt, gesetzgebend sein sollen, liegt bei allen Staatsformen zum Grunde, und das gemeine Wesen, welches, ihr gemäß durch reine Vernunftbegriffe gedacht, ein platonisches Ideal heißt (respublica noumenon), ist nicht ein leeres Hirngespinst, sondern die ewige Norm für alle bürgerliche Verfassung überhaupt und entfernt allen Krieg.“ Es ist Pflicht, in eine solche Verfassung einzutreten, vorläufig aber „Pflicht der Monarchen, ob sie gleich autokratisch herrschen, dennoch republikanisch (nicht demokratisch) zu regieren, d. i. das Volk nach Prinzipien zu behandeln, die dem Geiste der Freiheitsgesetze (wie ein Volk mit reifer Vernunft sie sich selbst vorschreiben würde) gemäß sind, wenngleich dem Buchstaben nach es um seine Einwilligung nicht befragt würde“, ibid. 8 (V 4, 138).

Die drei Gewalten im Staat (s. d.), die aus dem Begriff eines gemeinen Wesens überhaupt hervorgehen, sind nur soviel „Verhältnisse des vereinigten, a priori aus der Vernunft abstammenden Volkswillens und eine reine Idee von. einem Staatsoberhaupt, welche objektive praktische Realität hat“. „Dieses Oberhaupt (der Souverän) aber ist sofern nur ein (das gesamte Volk vorstellendes) Gedankending, als es noch an einer physischen Person mangelt, welche die höchste Staatsgewalt vorstellt und dieser Idee Wirksamkeit auf den Volkswillen verschafft. Das Verhältnis der ersteren zum letzteren ist nun auf dreierlei verschiedene Art denkbar: entweder daß einer im Staate über alle, oder daß einige, die einander gleich sind, vereinigt über alle andere, oder daß alle zusammen über einen jeden, mithin auch über sich selbst gebieten; d. i. die Staatsform ist entweder autokratisch oder aristokratisch oder demokratisch“, MSR § 51 (III 167). Die Änderung der Staatsverfassung ist nur dem Souverän möglich. Die Staatsformen sind nur der Buchstabe der ursprünglichen Gesetzgebung, aber der Geist des ursprünglichen Vertrages enthält die Verbindlichkeit der konstituierenden Gewalt, die Regierungsart der Idee jener Gesetzgebung (allmählich) angemessen zu machen, bis daß sie mit der „einzig rechtmäßigen Verfassung, nämlich der einer reinen Republik, ihrer Wirkung nach zusammenstimme, und jene alten empirischen (statutarischen) Formen, welche bloß die Untertänigkeit des Volks zu bewirken dienten, sich in die ursprünglichen (rationalen) auflösen, welche allein die Freiheit zum Prinzip, ja zur Bedingung alles Zwanges macht, der zu einer rechtlichen Verfassung, im eigentlichen Sinn des Staats, erforderlich ist und dahin auch dem Buchstaben nach endlich führen wird“. „Dies ist die einzig bleibende Staatsverfassung, wo das Gesetz selbstherrschend ist und an keiner besonderen Person hängt.“ „Alle wahre Republik aber ist und kann nichts anderes sein als ein repräsentatives System des Volks, um im Namen desselben, durch alle Staatsbürger vereinigt, vermittelst ihrer Abgeordneten (Deputierten) ihre Rechte zu besorgen“, ibid. § 52 (III 169 f.).

Arten der Staatsverfassung sind: „A. Gesetz und Freiheit ohne Gewalt (Anarchie). B. Gesetz und Gewalt ohne Freiheit (Despotism). C. Gewalt ohne Freiheit und Gesetz (Barbarbei). D. Gewalt mit Freiheit und Gesetz (Republik).“ Nur die letztere ist eine wahre bürgerliche Verfassung; „Republik“ bedeutet aber hier nur einen „Staat überhaupt“. Das höchste Gesetz einer bürgerlichen Gesellschaft ist nicht das „Sinnenwohl“ (die Glückseligkeit der Bürger), sondern das „Verstandeswohl“, d. h. „die Erhaltung der einmal bestehenden Staatsverfassung“. Denn jene Gesellschaft besteht nur durch diese, Anthr. 2. T. E, Grundzüge der Schilderung... (IV 287). Durch den Soziakontrakt hat das Volk nicht mehr das Recht des Widerstandes, aber wohl das „der Ge envorstellungen und Bekanntmachung der Ideen des Besseren“. „Was ein Volk nicht über sich selbst beschließen kann (z. B. einen unveränderlichen Kirchenglauben festzusetzen), das kann auch der Souverän nicht über das Volk beschließen. Das Volk hat kein Recht zu Feindseligkeiten gegen den Oberherrn, weil dieser das Volk selbst vorstellt.“ „Aus dem Willen des Souveräns selbst muß die Reform hervorgehen. Dieser ist aber in facto nicht der vereinigte Volkswille, sondern dieser soll allmählich herauskommen. Schriften müssen das Oberhaupt wie das Volk instand setzen, das Ungerechte einzusehen.“ „Das, was man sich nicht getraut, öffentlich als seine Maxime anzukündigen, und dessen Ankündigung der Maxime sich selbst vernichten würde, ist dem öffentlichen Rechte zuwider“, Bruchstücke aus dem Nachlaß (VIII 291). „Der Staat ist ein Volk, das sich selbst beherrscht. Die Faszikeln aller Nerven sind die Zustände, welche durch die Gesetzgebung entstehen. Das sensorium commune des Rechts entsteht aus ihrer Zusammenstimmung“, ibid. (VIII 295). Vgl. Staat, Revolution, Völkerrecht, Geschichte, Friede, Recht, Politik.