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Wir besitzen von Samuel Collenbusch ein Miniaturporträt aus dem Jahre 1798. Ein schmächtiger Mann mittlerer Größe, ein Sammetkäppchen auf den weißen Locken, bartlos, eine Adlernase, ein freundlicher offener Mund und ein energisches Kinn, im Antlitz Spuren ehemals überstandener Pocken, die Augen getrübt durch den grauen Star – so sah dieser Mann fünf Jahre vor seinem Tode aus. Er lebte anfangs in Duisburg, später in Barmen und zuletzt in Gemarke, von wo auch der folgende Brief datiert ist. Von Beruf Arzt, nicht Pastor, war er der bedeutendste Führer des Pietismus im Wuppertal. Sein geistiger Einfluß wirkte sich in mündlicher Aussprache, daneben aber in einem umfangreichen Briefwechsel aus, dessen meisterhafter Stil von einer Fülle schrulliger Einzelheiten durchwoben ist. So verbindet er z. B. genau wie in seinen Sprüchen, die in der Gemeinde die Runde machten, auch in den Briefen gewisse Worte, die innerhalb ihres Zusammenhangs unterstrichen sind, mit andern, ebenfalls unterstrichenen, durch besondere Linienzüge, ohne daß beide Worte das mindeste mit einander zu tun hätten. Man hat von Collenbusch sieben Briefe an Kant, von denen aber nur die wenigsten abgeschickt sein dürften. Der folgende ist der erste der Reihe und hat Kant erreicht, ist aber von ihm, soviel man weiß, nicht beantwortet worden. Im übrigen waren beide Männer Altersgenossen im genauen Sinne. Geboren sind sie 1724. Collenbusch ist ein Jahr vor Kant, 1803, gestorben.

Samuel Collenbusch an Immanuel Kant

23. Januar 1795.

Mein lieber Herr Professor!

Die Hoffnung erfreut das Herz.
Ich verkaufe meine Hoffnung nicht für tausend Tonnen Goldes.
Mein Glaube hofft erstaunlich viel Gutes von Gott.
Ich bin ein alter, siebzigjähriger Mann, ich bin beinahe blind, als Arzt urteile ich, daß ich in kurzer Zeit völlig blind sein werde.
Ich bin auch nicht reich, aber meine Hoffnung ist so groß, daß ich mit keinem Kaiser tauschen mag.
Diese Hoffnung erfreut mein Herz!
Ich habe mir diesen Sommer Ihre Moral und Religion ein paarmal vorlesen lassen, ich kann mich nicht überreden, daß es Ihnen ein Ernst sein sollte, was Sie da geschrieben haben. Ein von aller Hoffnung ganz reiner Glaube und eine von aller Liebe ganz reine Moral, das ist eine seltsame Erscheinung in der Republik der Gelehrten.
Der Endzweck, so etwas zu schreiben, ist vielleicht eine Lust, sich zu ergötzen über die Inklination solcher Menschen, welche die Gewohnheit haben, sich über alles zu verwundern, was seltsam ist. Ich halte es mit einem hoffnungsreichen Glauben, der durch die sich selbst und den Nächsten bessernde Liebe tätig ist.
Im Christentum gelten keine Statuten, keine Beschneidung noch Vorhaut etwas, Gal. 5, keine Möncherei, keine Messen, keine Wallfahrten, kein Fischessen usw. Ich glaube, was Johannes schreibt, Joh. 4, 16: Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibet, der bleibet in Gott, und Gott in ihm.
Gott ist die seine vernünftige Kreaturen bessernde Liebe, wer in diesem Glauben an Gott und den Nächsten bessernde Liebe bleibet, der wird es von Gott in dieser Welt mit geistlichem Segen, Eph. 1, 3, 4, und in der zukünftigen Welt mit persönlicher Herrlichkeit und einem reichen Erbe wohl belohnt werden. Diesen hoffnungsreichen Glauben kann meine Vernunft und mein Wille unmöglich vertauschen mit einem von aller Hoffnung ganz reinen Glauben.
Es tut mir leid, daß I. Kant nichts Gutes von Gott hofft, weder in dieser noch in der zukünftigen Welt, ich hoffe viel Gutes von Gott. Ich wünsche Ihnen eine gleiche Gesinnung und verharre mit Hochachtung und Liebe zu sein

Ihr Freund und Diener
Samuel Collenbusch.

Gemarke, den 23. Jan. 1795.

Nachschrift:
Die Heilige Schrift ist ein stufenweiser, aufsteigender, mit sich selbst übereinstimmender, zusammenhängender, vollständiger Plan der seine Kreaturen bessernden Liebe. Z. E.: Die Auferstehung der Toten halte ich für eine Ausübung der seine Kreaturen bessernden Liebe Gottes.
Ich freue mich darauf.