Zum Hauptinhalt springen

Naturgesetze für die Tiere

In ihrer Art verstehen sich die Tiere sogar schon auf Naturgesetze.

Wenn die Gesetzmäßigkeit der Natur erst aus den menschlichen Wissenschaften klar würde, wenn wir die Regelmäßigkeit der Natur erst beschwatzen müßten, um uns nach ihr zu richten, so hätte die Wissenschaft und die Sprache überhaupt dem Leben der Menschen vorausgehen müssen. Die Menschen haben aber gewiß, noch bevor sie sprechen konnten, schon mit apodiktischer Sicherheit gewußt, dass es in der Sonne wärmer ist als im Schatten, wie denn auch ein neugeborenes Kücken die Sonne aufsucht, wenn es seine Glucke nicht gleich finden kann. Die Tiere nehmen die apodiktische Wahrheit der ihnen interessanten Naturgesetze als gegeben an. Die Schwimmbewegungen des Hundes, der Flügelschlag des Vogels, die Wanderungen der Zugvögel, die Benützung der Luftblase durch die Fische, alles geht auf unfehlbare Wahrheit physikalischer Naturgesetze zurück, ohne dass das unerforschte Denken dieser Tiere (welches man darum Instinkt nennt) zu sprachlichen Urteilen gediehen wäre.

Für den Hund ist es eine apodiktische Wahrheit, dass ihm sein Herr, der Hundegott, jeden Tag um 12 Uhr sein Fressen vorsetzen wird. Geschieht das einmal nicht, so macht der Hund zuerst ein dummes Gesicht und wird dann wild. So verläßt sich der Mensch darauf, dass der Erdboden im ganzen und großen fest bleiben werde, dass es im Sommer abwechselnd warmen Sonnenschein und Regen geben werde. Bleibt einmal Sonne oder Regen ganz aus, so macht er ein dummes Gesicht und wird wild wie ein hungriger Hund. Und wackelt die Erde gar, so wird er an seinem Gotte irre. Das Erdbeben von Lissabon hat dem Glauben an die Teleologie mehr geschadet als der Darwinismus.

Ich will also sagen: Das berühmte metaphysische Problem von der Zusammenstimmung unseres Denkens mit der Wirklichkeit stimmt wieder einmal am unrechten Ende. Die oberflächlichsten Gesetze der Wirklichkeit kennt und befolgt auch das Tier; der Mensch hat namentlich mit Hilfe seiner Experimente auch verborgene "Gesetze" zu erkennen und zu benützen gelernt, und hat damit seinen Komfort auf Erden in mancher Beziehung vermehrt. Die Sprache war dabei nicht ganz unnütz, insofern die Kenntnis der ersten Beobachter Gemeingut werden konnte. Aber so wenig zwischen der Naturerkenntnis des Hühnchens und seinem Handeln das Piepsen von Bedeutung ist, so wenig ist die Sprache ein wichtiges Bindeglied zwischen der weit reicheren Naturerkenntnis des Menschen und seinem Handeln. Als Euler blind geworden war, vermehrte er noch unsere optischen Wirklichkeitskenntnisse. So kann auch ein Taubstummer nicht nur logisch handeln, sondern auch, wenn er darauf dressiert wird, ein tüchtiger Philologe werden.