Schwulst

Schwulst. (Redende Künste) Die Schwulst in der Rede ist etwas das ihr eine falsche, bloß scheinbare Größe gibt. Longin vergleicht sie mit dem aufgedunsenen Wesen, wodurch ein Wassersüchtiger das Ansehen eines gesunden und wohl genährten Menschen bekommt. Die Schwulst ist ein Fehler der Schreibart, der bisweilen bloß im Ausdruck, bisweilen aber auch in den der Hauptsache beigemischten Begriffen liegt. Blos im Ausdruck liegt sie, wenn ganz gemeine Dinge mit prächtigen, volltönenden, nur in einer hohen pathetischen Sprache gebräuchlichen Worten und in großen wohlklingenden Perioden gesagt werden: in den beigemischten Begriffen liegt sie, wenn man gemeine Dinge durch viel bedeutende und große Begriffe gebende Wörter ausdrückt; oder wenn man der an sich gemeinen Hauptsache hohe Gedanken oder große Empfindungen beimischet, um ihnen ein wichtiges Ansehen zu geben. Beispiele der Schwulst, die bloß im Ausdruck liegt, sind folgende. Wenn man im gemeinen Umgang wo man bloß sagen will: es wird Abend, anstatt des gewöhnlichen Ausdrucks sagte: schon nähert sich die Sonne dem Horizonte; oder wenn man anstatt von einem Menschen zu sagen: er fängt an grau zu werden, wie jedermannn im täglichen Umgang spricht; dieses poetisch sagte: das Eis der Jahre zeigt sich auf seinem Haupte. Schwulst von beigemischten Gedanken, zeigt sich durch prahlende Beiwörter, die weit über die Würde der Begriffe sind, die die Hauptwörter erwecken, wie wenn man sagte: die erhabene Corinna; die göttliche Sappho; auch dadurch, dass man gemeinen Gedanken eine hohe Wendung gibt oder sie durch Zusätze gleichsam mit Gewalt und wieder ihre Natur groß vorstellen will, wie wenn junge Verliebte ihre im Grund ganz gemeine Leidenschaft als ein himmlisches Feuer, das ewig brennen soll, vorstellen.

 Wir haben schon in anderen Artikeln von den verschiedenen Arten des Großen und des Erhabenen gesprochen und daraus erkennt man, dass es auch eben so viel Arten des falschen Großen und Erhabenen gebe. Nämlich wie es eine wahre Größe, die der Gegenstand des Verstandes ist, gibt, so gibt es auch eine falsche Größe die den Verstand zu täuschen sucht. Diese ist eine mystische Schwulst die dunkle unverständliche Wörter braucht, die den Schein haben als bedeuteten sie etwas Großes und Erhabenes, dergleichen man nicht selten von phantastischen geistlichen Rednern hört. Dem Erhabenen und Großen der Phantasie sieht auch seine eigene Schwulst zur Seite, das sogenannte Phöbus oder die schimmernde Pracht einer bilderreichen Schreibart, die im Grund der Einbildungskraft bloße Schattenbilder, ohne wirklichen Körper, vormalet. So gibt es endlich auch eine Schwulst, die in einer falschen Größe der Gesinnungen und Empfindungen besteht, dergleichen man nicht selten in den älteren Romanen antrifft.

 Die Schwulst entsteht entweder aus einem unzeitigen Bestreben oder aus Unvermögen etwas Großes zu sagen; in beiden Fällen aber zeigt sich Mangel der Beurteilung.

 Unzeitig ist das Bestreben nach dem Großen, wenn entweder der Gegenstand seiner Natur nach keine Größe hat oder wenn er schon in seiner natürlichen Einfalt groß ist. Es gibt schwache Köpfe, die sich einbilden, dass in der Beredsamkeit und Dichtkunst alles beständig groß sein müsse; dass deswegen jeder einzele Gedanken, jedes Bild, jedes Wort, es sei nach dem Sinn oder nach dem Klang, etwas Großes haben müsse. Daher sind sie immer gleichsam außer Athem, wollen immer in Begeisterung sein, sich immer gedankenreich, prächtig oder pathetisch zeigen. Hieraus entsteht denn notwendig die Schwulst, die die gemeinsten Sachen mit großen Worten sagt; den gemeinsten Gedanken gegen ihre Natur etwas Großes anklebet und sehr gewöhnlichen Empfindungen eine abenteuerliche Größe und Stärke beilegt.

 Dieser unglückliche Hang zur Schwulst hat eine Unempfindlichkeit für feinere Schönheit zum Grund. So wie Menschen von unempfindlichen oder schon abgenutzten Werkzeugen des körperlichen Geruchs und Geschmacks durch diese Sinne nichts empfinden als was einen beißenden und gleichsam ätzenden Geruch und Geschmack hat; so ist bei jenen schwülstigen der Geschmack am Schönen zu grob, um von feinerer Wahrheit, Vollkommenheit und Schönheit gerührt zu werden; sie sind nicht empfindsam genug durch stillere, obgleich tief in empfindsame Herzen eindringende Leidenschaften, gerührt zu werden; alles muss pochen und poltern, wenn es sie zur Empfindung reizen soll. Ein stiller Schmerz ist für sie nichts; er muss sich durch Heulen und Verzweiflung erst fühlbar machen. Bescheidene Großmut ist ihnen nicht merkbar; sondern nur die, die sich durch äußeres Gepräng ankündigt u.s.w.

 Aber etwas ähnliches kann doch auch bei sonst guten Köpfen und bei Gemütern, denen es an Empfindsamkeit nicht fehlt, aus Mangel an Erfahrung, aus noch unreifer Beurteilung und nicht hinlänglich geübtem Geschmack herkommen. Wer überhaupt von den in den Werken der schönen Künste liegenden feineren Kräften, sie wirken auf den Verstand, auf die Phantasie oder auf das Herz, gehörig gerührt werden soll, muss entweder von Natur ein sehr glückliches und scharfes Gefühl oder lange Übung haben. Daher kommt es, dass junge Künstler, deren Urteil und Gefühl noch nicht fein genug ist, am leichtesten in die Schwulst fallen.

 Darum ist auch das beste Mittel sich dafür zu bewahren, dass man bei Zeiten seinen Geschmack durch fleißiges Lesen der Redner und Dichter, die sich durch Einfalt und stille Größe, feine und nicht rauschende Schönheiten auszeichnen, zu einem scharfen Gefühl bilde. Wer früher den Seneka als den Cicero, den Lucanus oder Silius als den Virgil ließt, läuft Gefahr aus Mangel des feinern Gefühles, der Schwulst günstig zu werden. Überhaupt ist es sehr wohl getan, dass man in der Jugend die Schönheiten der besten prosaischen Schriftsteller fühlen lehre, ehe man an die Dichter geht. Es ist mit dem Geschmack in den schönen Künsten, wie mit dem, der auf das Äußerliche in den Manieren geht. Wer noch keinen Umgang mit Menschen von feinerer Art gehabt hat, wird an lebhaften, etwas wilden Manieren, weit mehr Gefallen haben als an dem feinern und stillern, obgleich höchst eleganten Betragen der Menschen von edler Erziehung.

 Wenn die Schwulst ein wirkliches Unvermögen groß zu denken und zu empfinden zum Grunde hat, so ist ihr nicht abzuhelfen. Denn schwachen Köpfen kann kein Unterricht und kein Studium das Vermögen geben, groß zu denken. Und da nach ihrem Urteil das Große in äußerlichem Geräusch, Poltern und hochtrabendem Wesen besteht; so lassen sie sich durch nichts abhalten, das einzige Mittel das sie haben die Sinne zu rühren, bei jeder Gelegenheit zu brauchen.

 Die Schwulst ist unstreitig einer der ärgsten Fehler gegen den guten Geschmack und besonders Menschen von etwas feiner Denkungsart höchst anstößig. Darum sollen junge Schriftsteller von etwas lebhaftem Genie sich für nichts mehr in Acht nehmen als der Gefahr schwülstig zu werden. Wer irgend eine Anlage dazu in sich bemerkt, tut am besten, wenn er sich lange in der einfachsten Art zu schreiben übet, um dem unglücklichen Hang zu entgehen. Wir raten solchen, dass sie mit der ernstlichsten Überlegung die Abhandlung des berühmten Werenfels de Meteoris orationis fleißig lesen.

  Longin bedient sich, wo er von der Schwulst spricht, verschiedener Ausdrücke, die einer genauen Überlegung wohl wert sind, weil sie verschiedene Arten der Schwulst anzuzeigen scheinen. Wir müssen uns begnügen, sie anzuzeigen und hoffen, dass sich etwa ein Kenner finden werde, der diese Materie, wie sie es verdient, in einer besonderen Abhandlung gründlich ausführe. Die sehr bedeutenden Ausdrücke des erwähnten Kunstrichters, sind folgende: 1. das falsche Tragische; 2. Das Falschenthusiastische; 3. Das Hochtrabende; 4. Das Hochtönende; Und endlich 5. das Blendende; das nur den Schein der Wirklichkeit hat.

 


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