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Bewußtsein und Aufmerksamkeit

Es wäre nun ganz hübsch, den schwierigen Begriff des Bewußtseins zu eliminieren und das Bewußtsein in die beiden Zustände oder Tätigkeiten der Aufmerksamkeit und des Gedächtnisses aufzulösen. Was wir im Bewußtsein zu haben glauben, das wird durch die blitzschnelle Aufmerksamkeit erworben und durch das dauernde Gedächtnis festgehalten. Die Summe der menschlichen Erfahrung oder die Sprache wäre dann eine Art fixierter Momentaufnahmen. Aber die Worte Bewußtsein, Aufmerksamkeit und Gedächtnis sind selbst wieder Teile dieser Summe, sind selbst wieder Bestandteile der Sprache und narren uns, wenn wir sie nach dieser verführerischen Erklärung noch einmal von der anderen Seite betrachten. Da ist zunächst eine Beobachtung, welche die Aufmerksamkeit unserem Gedächtnisse übermittelt hat, in unserem Bewußtsein nur dann, wenn wir eine innere Aufmerksamkeit abermals auf sie richten. Das Bewußtsein ist also nicht eliminiert; wir können das Wort vorläufig nicht entbehren, weil wir die unbewußte Aufmerksamkeit (wir erinnern uns z. B. eine Stunde später, eine Uhr schlagen gehört zu haben, ohne daß wir es sofort wahrgenommen hätten) von der bewußten unterscheiden wollen. Da ist ferner die Unmöglichkeit, Aufmerksamkeit und Gedächtnis jemals radikal zu trennen, weil jedes Aufmerken ein Beachten von Ähnlichkeiten und Unähnlichkeiten, also ein Bemühen des Gedächtnisses ist, und weil jede kleinste Erinnerung der Erregung einer bewußten oder unbewußten Aufmerksamkeit bedarf. Schließlich würde auch noch die Frage der Willkürlichkeit hineinspielen. So entdecken wir auch auf diesem Punkte, wie schwer es ist, die Sprache mit Sprachwerten zu kritisieren. Alle Erkenntnistheorie ist zuletzt Psychologie, und an eine wissenschaftliche Psychologie ist nicht zu denken, solange die psychologischen Grundbegriffe unklar und undeutlich im Sprachgebrauche schwanken.

Das so wohlbekannte Gefühl der Aufmerksamkeit ist darum für die psychologische Untersuchung kaum zu enträtseln. Wir stehen wieder einmal vor einem der Fälle, wo wir eine Seelenäußerung oder einen geistigen Zustand analysieren müssen, um das Wesen der Sprache besser kennen zu lernen, und wo wir zugleich den Begriff sprachkritisch analysieren müssen, um das Schwanken der Wortbedeutung festzustellen. Wir stehen wieder einmal vor einem der Fälle, wo die Psychologie irre führt, wenn wir nicht eine klare Definition des Wortes vorausschicken, und wo wir keine Definition aufstellen können, ohne vorher die Hauptgebiete der Psychologie für diese Definition durchforscht zu haben. Wir stehen wieder einmal an der Grenze der Sprache, wieder einmal vor der Aufgabe — um ein oft gebrauchtes Bild etwas zu ändern — mit eigenen Händen den Stuhl aufzuheben, auf welchem wir sitzen.