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Das politische Kino

Heute ist es ganz unpolitisch. Scheinbar. Denn vor dem Kriege und im Kriege war das übliche Maß Patriotismus so selbstverständlich, dass über einen Aktschluß mit Kaisermarsch und über das Interesse für Militär und die Herrlichkeit des Reiches überhaupt nicht zu reden war. Das Kino war ungefähr so unpolitisch wie der Berliner Lokalanzeiger. Aber es könnte anders sein.

»Die Massen können nur in Bildern denken und lassen sich nur durch Bilder beeinflussen. Bloß diese schrecken oder verführen sie und werden zu Motiven ihres Handelns. So haben denn auch die Theatervorstellungen, die das Bild in klarster Sichtbarkeit geben, auf die Masse stets einen ungeheuren Einfluß. Durch nichts wird die Phantasie der Massen aller Art so stark erregt als durch Theatervorstellungen.« Das steht bei Gustav Le Bon in der »Psychologie der Massen«, und es ist sehr richtig. Wenn wir uns an die Masse als Ganzes wenden und, was nicht immer möglich sein wird, an das Individuum durch persönliche Propaganda, so bleibt uns gar nichts weiter übrig, als die Gesetze der Massenbeeinflussung zu befolgen. Die Mächte aller Zeiten haben das getan.

Was fehlt, ist das politische Kino und der politische Film. Der Wege und Mittel sind viele: meiner Ansicht nach wird in Deutschland mit der Fotografie dasjenige viel zuwenig gemacht, was zum erstenmal unsere Freie Welt mit Erfolg begonnen hat: die Fotografie als Tendenzbild zu benutzen. Keine Karikatur kann in gewissen Fällen so wirken, wie es das einfache Wirklichkeitsbild des Fotografen tut. Es gibt Lagen, in denen das fotografierte Bild eines zerschossenen Arbeiters, einer stockigen Proletarierwohnung, eines gedunsenen Reichen mehr wirkt, als Wort und Zeichnung es je zu tun vermögen. Das Bild sagt zum Leben »So siehst du aus!« – und eine kleine Unterschrift genügt, um noch einmal auf das aufmerksam zu machen, worauf es ankommt. »Was G'lehrte durch die Schrift verstahn, das lehrt das G'mähl (Gemalte) dem g'meinen Mann.«

Der Wege und Mittel sind viele: es lassen sich sehr wohl Tendenzfilme ersinnen, die aber nun nicht etwa den Hurrakitsch mit umgekehrtem Vorzeichen äffen dürfen, sondern die schlagkräftig und wahr durch geschickte Gruppierung von Zustandsschilderungen pazifistische, sozialistische und radikale Tendenzen aller Art erkennen lassen können.

Die Hauptschwierigkeit liegt in der Schwerfälligkeit der Organisationen, die an diesem neuen Wege, weil sie die eintretenden Hindernisse wohl erkennen, nicht recht heran wollen. Aber Hindernisse sind dazu da, um überwunden zu werden, und es wäre wohl zu wünschen, dass sich die interessierten Verbände einmal dazu aufrafften, das vorläufig in den Händen der Reaktionäre befindliche Kino zu erobern. Denn reaktionär ist der Film nicht nur da, wo er politisch wirkt (wir haben nur ganz wenige politische Filme), sondern reaktionär sind Anschauungsweise, Weltbild und Lebensauffassung des bürgerlichen Kinos. Es lohnte sich also schon.

Es ist ganz zweifellos, daß, wenn wirklich unsere politische Opposition sich des Kinos bemächtigte, die unfreieste aller Republiken ihren ganzen Verwaltungsapparat aufbieten würde, um eine solche Betätigung unmöglich zu machen. Und wenn der preußische Verwaltungsbeamte nichts kann: schikanieren kann er.

Eine Möglichkeit gibt ihm dazu zunächst einmal das neue Filmzensurgesetz von 1920, in dessen § 1 sich die dehnbare Bestimmung befindet: »Die Zulassung eines Bildstreifens (das ist die sprachlich falsche Preußenübersetzung des Wortes Film) erfolgt auf Antrag. Sie ist zu versagen, wenn die Prüfung ergibt, dass die Vorführung des Films geeignet ist, die öffentliche Ordnung oder Sicherheit zu gefährden, die Religion oder religiöse Einrichtungen herabzuwürdigen, verrohend oder entsittlichend zu wirken, das deutsche Ansehen oder die Beziehungen Deutschlands zu auswärtigen Staaten zu gefährden.« Mit dieser Begründung kann man jeden politischen Film verbieten. Der Zusatz, der da folgt, hilft auch nicht viel: »Die Zulassung darf wegen einer politischen, sozialen, religiösen, ethischen oder Weltanschauungstendenz als solcher nicht versagt werden. Die Zulassung darf nicht versagt werden aus Gründen, die außerhalb des Inhalts des Bildstreifens liegen.« Wir kennen die preußische Zensur »als solche«. Da in der kaiserlichen Republik Deutschland noch die lächerlichsten Büttelbestimmungen aus der Zeit der alten preußischen Könige für die Polizei in Geltung sind, so hat der Staat außer den Kautschukbestimmungen dieses Zensurgesetzes auch noch die Möglichkeit, einem Film durch Verwaltungsmaßnahmen das Kinolicht auszublasen. Es brauchte bei der schwachsinnigen Auffassung des Begriffs »Öffentlichkeit« durch die preußische Behörde nur eine Schlägerei bei der Vorführung eines solchen Films vorzukommen – und das Verbot wäre da. Wir wissen, wie das gemacht wird. Wozu hätten wir unsere Assessoren?

Die Filmzensur, die da nach dem Grundsatz »Frauen haben keine Beine« zensiert, wird also Schwierigkeiten machen.

Aber eben dagegen wäre anzukämpfen. Wir haben ja schließlich im Laufe der Jahrzehnte dies und das erreicht – warum sollte es nicht möglich sein, dieser Paragraphenbehörde mit politischer Gewalt klarzumachen, dass die Öffentlichkeit uns allen und nicht ihr gehört, und dass es jedem unbenommen ist, Filme, die ihm nicht gefallen, nicht anzusehen. »Da müßte denn doch die Polizei – –!« Sie müßte eben nicht, Herr Meyer. Sondern es muß den Staatserhaltenden und den Radikalen klar sein, dass jeder Gegner jeden politischen Film drehen darf.

Der Staat würde Schwierigkeiten machen. Aber diese Schwierigkeiten wären durch planvolles Zusammenwirken aller Organisationen zu überwinden.

Schwierig wird es ferner sein, Filmgesellschaften für solche neuen und zunächst etwas gewagten Pläne zu interessieren. Weil sich aber in diesen Filmgesellschaften der Kapitalismus am heftigsten offenbart, so wird es einfach eine Sache des Geldes sein, die Branche für diesen neuen politischen Zweck dienstbar zu machen. Unerläßlich wäre dazu freilich, dass sich die interessierten Parteien und Gruppen ein paar Kinotheater pachteten, denn das normale bürgerliche Kinotheater würde sich sicherlich bedanken, gute sozialistische Filme vorzuführen. Der Herr Reichswehr-Feldwebel, der sonntags mit Fräulein Feldwebelin ausgeht, dürften böse werden.

Dies ist keine Utopie. Dies ist kein Plan, der unausführbar oder gar nur spaßig zu nehmen wäre. Die Aufklärung durch das Bild und vor allem durch das Kinobild kann gar nicht hoch genug veranschlagt werden. Lesen mag einer, was er will – die Anschauung ist mächtiger. Was der Mann des praktischen Lebens einmal gelesen hat, kann er möglicherweise vergessen; was er gesehen hat, nie. Der Weg zum Herzen der Masse geht nicht durch den Verstand, er geht durch die Sinne. Und weil wir wissen, dass der Verstand auf unserer Seite ist, dürfen und müssen wir diesen Weg gehen: den Weg zum politischen Kino.

Ignaz Wrobel
Freiheit, 10.05.1920.