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Politik im Cabaret

Es gilt nicht für taktvoll in Deutschland, im Cabaret Politik zu machen. Die Cabaretleute sind böse, weil sie sich amüsieren und keine Leitartikel hören wollen, und die Politiker sind böse, weil die heilig ernste Sache ihrer Politik ins Cabaret heruntergezogen wird. In diesem Lande wird die Politik bestenfalls im Kegelverein gemacht (der sich auch monistisch geben kann).

Ruiniert durch eine rettungslos verblödete Zensur, sah insbesondere das berliner Publikum des vorigen Friedens gar nicht mehr, wie sehr ihm ja doch immer wieder in den Coupletgesängen Politik, wenn auch eine von seichtester Sorte, verzapft wurde. Der schmetternde Bierbauch im Frack pries dem Publikum die preußische als die beste aller Welten, die Soubrette umtänzelte voller Begeisterung das Militäridol, ihren Herren Leutnant, und kräftige Hiebe fielen allerseits auf die weichlichen Welschen, die tabakspuckenden Ingos und die großkarierten Briten. Traugott von Jagow, der noch jüngst im Ministerium des Innern ein- und auszog wie der alte Knauer persönlich, jener selbe Traugott verfügte sofort Verbot und Fegefeuer, wenn in einem Sang oder in einem Brettlspaß eine der herrschenden Gewalten des Landes auch nur leise angepflaumt wurde. Lieber ließ er zehn Ferkeleien durchgehn als einen politischen Witz. »Das Cabaret dient dem Verkehr. Ich warne Neugierige!«

Dieser Traugott sitzt den Berlinern heute noch sehr in den Knochen. Sie sind persönlich erbost, wenn der Cabaretier politisch überhaupt Stellung nimmt, die natürlich nicht immer mit der ihren übereinstimmen kann. Aber ich kann mir sehr wohl denken, dass ich eine witzige deutschnationale Parodie – allerdings ist mir diese Verbindung noch nicht untergekommen – mit anhöre, mich über ihre Frechheit scheckig lache und ihre Tendenz doch nicht billige. Ein Parteicabaret freilich ist ein Unsinn – ein politisches Cabaret sollte es schon geben.

Weil wir aber durch den Rotstift und Rotkoller jenes Jagow (siehe oben) in Jahrzehnten dazu erzogen worden sind, uns mit bloßen Namensanspielungen zu begnügen, wo ein Hieb und ein Stich hätten sitzen müssen, will es heute noch nicht recht in die Köpfe, dass man nicht gleich Zetermordio zu schreien braucht, wenn da oben einer etwas aufsagt, das im Parteiprogramm der Gegner zu finden ist. Und es wäre hübsch, wenn alle begriffen, dass nicht jeder freche Vers nun gleich den Kommunismus heraufführt, und dass man gegen das Achselstück demonstrieren kann, ohne die allgemeine Güterteilung zu wollen, und dass sich nun mal leider die Kunst, die immer revolutionär und oppositionell gewesen ist, der Unterdrückten und der Schwächeren annimmt. Und das sind noch immer die, die gerade nicht an der parlamentarischen Regierung sitzen …

Wie dem immer auch sei: Werft mit faulen Äpfeln. Das Recht hat jeder. (Wenn auch nicht immer die Apfel.) Aber macht es nicht so, wie ich es schon ein paarmal las: Bringt ein Cabaret etwas Nationalistisches, dann lobt die Deutsche Tageszeitung die Gesinnung, das Cabaret, Kunst und Künstler und Gott den Herrn. Bringt ein Cabaret etwas Oppositionelles, dann fragt die Deutsche Zeitung, ob es vielleicht eine Heldentat sei, vor geputzten Kavalieren und ihren Dämchen das Pfaterland in den Staub zu zerren …

Auf meinem dicken alten Punschglas steht in Goldschnörkeln der schöne Satz:

»WIE MANS MACHT, ISTS FALSCH«

Einen vollen Zug daraus auf euer aller Gesundheit!

Ignaz Wrobel
Schall und Rauch, Juni 1920, Nr. 7, S. 1.