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Die Pointenwiederholer

Manchmal, im Theater … immer im Theater sitzen da zwei ältere Damen, vor denen habe ich eine furchtbare Angst. Ich sehe sie mir schon, bevor der Vorhang aufgeht, daraufhin an, ob sie es sind. Ja, sie sinds. Sie gehören zur Familie der Pointenwiederholer.

Mein Billett habe ich nur einmal bezahlt – doch, ich bezahle meine Billetts immer. Man kann dann hinterher besser schimpfen. Überhaupt, die Unabhängigkeit der Theaterkritik … da hatte ich mal einen Onkel Paul (folgt eine lange Geschichte von Onkel Paul, die kein Mensch wissen will. Gestrichen). Mein Billett habe ich einmal bezahlt – aber das Stück höre ich zweimal.

»So bohr ich denn in dies verruchte Weib mein Schwert!« sagt Kortner, und da hat er ganz recht. Links von mir zischelt Fräulein Klacksmann zu Frau Pinselbrenner: »So bohr ich denn in dies verruchte Weib mein Schwert!« Und sie zischelt es deutlich, sauber artikuliert, schön laut, damit die andern Leute auch etwas davon haben. Warum sie das tut, ist nicht ganz klar. So viele schwerhörige Begleiterinnen kann es nicht geben. Es muß wohl so sein, dass manche Leute nicht so richtig zuhören können. So wie andre maulfaul sind, so sind sie ohrenfaul. Und da haben sie sich denn ein Privat-Theater ins Theater mitgebracht. Und das Privat-Theater sagt alles noch mal.

»Sieht Ihre Schwiegermutter vielleicht aus wie ein Edamer Käse?« fragt der Komiker. Ungeheure Heiterkeit. Aber deutlich, klar und deutlich mit allen ss und rrs, höre ich neben mir: »Sieht Ihre Schwiegermutter vielleicht aus wie ein Edamer Käse?« Und dann erst lacht die Frau Pinselbrenner – denn warum sollte sie vorher lachen? Vorher hat sie nichts verstanden. Sie geht nach.

Daß im Kino immer mindestens einer seiner Braut alle Titel laut vorliest, kann ja kaum noch vorkommen, weil wir doch jetzt den Tonfilm haben, wo die Titel laut gesprochen werden; wobei zu bemerken wäre, dass die alten Titel meist besser waren als jetzt der Text. Aber warum im Theater die Pointenwiederholer ihr Wesen treiben … Ich habe mir darüber so meine kleinen Gedanken gemacht: man denkt ja manchmal nach, wenn man auch im ernsten Berufsleben steht – aber man macht sich doch so seine Gedanken … und dies ist meine Theorie:

Es muß Menschen geben, die etwas erst dann richtig aufnehmen, wenn sie es selber gesagt haben. Sie täten auch Herrn Einstein seine Theorie nicht glauben, bis sie sie nicht selber aufgesagt haben. Und da führen sie denn das ganze Stück noch einmal für ihre Ohren auf, und dann, dann erst haben sie alles richtig kapiert. Es ist nicht so sehr ein Liebesdienst, den sie dem andern erweisen – sie bringen das Stück für sich selber ins reine. Und klappern den ganzen Abend über mit dem Text nach. Dabei müssen sie sich sehr beeilen, weil es doch oben auf der Bühne weitergeht, und daher sagen sie die Sätze mitunter sehr rasch, schleifend, hopphopphopp – mit einem kleinen Lachgluckser in der Kehle, und dabei gewinnt der Text sehr. So möchte ich auch einmal aufgesagt werden – ach, muß Ruhm schön sein!

Für uns ist das aber gar nicht schön.

Es ist schon schlimm genug, dass man gewisse Stücke überhaupt einmal hören muß, denn so, wie es Stücke gibt, die sich für keine Premiere eignen, so gibt es wiederum welche, die eignen sich nur für eine Premiere – für die Premieren, wo der Klub der Harmvollen versammelt ist: jene, denen mies ist vor Berlin, vor sich selber und vor dem Theater, und die das dadurch dokumentieren, dass sie dauernd dahin laufen, wo sie alles drei zusammen haben können. Ich bin noch nie in einem Löwenkäfig gewesen. Aber ich bin schon mal in einer berliner Premiere gewesen. Ja, und diese Stücke müssen wir nun alle doppelt hören, weil doch Fräulein Klacksmann der Frau Pinselbrenner das Stück erzählen, erklären und wiederholen muß – und wenn wir Glück haben, dann hören wir es dreimal, und es kostet gar nicht mehr: das ist gratis. Manchmal hört man auch noch die Souffleuse, und dann ist es wie in einem akustischen Spiegelkabinett.

Wenn Sie heute abend ins Theater gehen: denken Sie bitte an mich. Und wenn die beiden Pointenwiederholer wieder dasitzen, dann drehen Sie sich nicht um und sagen Sie nicht: »Pst!« – Sie nähmen den Leuten ihr tiefstes Vergnügen an der dramatischen Kunst. Denn wie heißt es beim Dichter so schön? »Du mußt es dreimal sagen!« (Das Echo: »Du mußt es dreimal sagen!« – Das Doppelecho: »Du mußt es dreimal sagen!«)

Neulich, da gab Pallenberg in Hamburg, der süßen Stadt, ein Gastspiel. Ich hin. Denn seine heimschen Künstler soll man ehren. (Das Echo: »Denn seine heimm'schen Künstler soll man ehren!«) Und da saßen auch zwei solche Pointenwiederholerinnen neben mir. Im zweiten Akt aber zog ich meine Tabakpfeife aus der Tasche, hielt das Mundstück meiner Nachbarin vor die Brust und flüsterte streng, aber gerecht: »Wenn Sie noch ein einziges Wort sagen, sind Sie ein Kind des Todes.« Die beiden Damen sind die einzigen Personen im Theater gewesen, die nicht über Pallenberg gelacht haben. Und nach dem Theater bin ich sehr schnell nach Hause gegangen, weil ich noch viel Geschäftliches zu erledigen hatte.

Zieht ihnen das Trommelfell über die Ohren! Schlagt sie tot – das Weltgericht fragt euch nach den Gründen nicht! Amen.

Peter Panter
Vossische Zeitung, 26.09.1930, Nr. 454.